Jabl Williams

Zufall oder Schicksal? (2)

Er
schlug die Augen auf und schaute auf seinen Wecker. Es war schon 10:31 Uhr. Normalerweise schlief er sonntags nie so lange. Langsam stand er auf und ging ins Badezimmer, wo er sich eiskaltes Wasser in Gesicht spritzte. Gut, dass er nie träumte, sonst hätte er an der Realität des gestrigen Abends gezweifelt. Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht.
 
Noch
immer lag sie im Bett und wollte einfach nicht aufstehen. Es lohnte sich auch gar nicht, denn draußen war es grau und regnerisch. Aber wenn sie jetzt nicht bald in die Gänge käme, würde Anna wieder ihre fiesen Weckmethoden anwenden. Sie hasste es, wenn sie zu etwas gedrängt wurde, was sie nicht wollte. Sei es auch nur durch laute nervige Musik, Fensteraufreißen und Deckewegziehen geweckt werden. Halbschlafend erhob sie sich aus den Kissen und trabte in die Küche, wo Anna bereits frühstückte. „Morg’n“, murmelte sie undeutlich. „Einen wunderschönen guten Morgen, meine Liebe!“ Wie kann man am frühen Morgen nur so gute Laune haben? Das würde ihr immer unverständlich bleiben. So etwas konnte sie auch unglaublich nerven. Sie hatte zwar auch mal gute Laune, aber war sie dabei weiß Gott nicht so unausstehlich. Anna erinnerte sie an die Leute aus Texas, die einmal in ihrer Schule waren und eine Englischstunde gegeben haben. Die waren auch so scheißfreundlich gewesen. Deshalb könnte sie dort auch nie leben. Da waren ihr schwierige Leute, die dafür aber immer neutral gelaunt waren, viel lieber. In ihre Gedanken vertieft verschmierte sie Nutella auf ihrer Brötchenhälfte. Er war ihr lieber, obwohl er sie manchmal ganz schön anblaffte. Sie seufzte leise.  
 
Er
startete den PC, um zu arbeiten. Gleichzeitig könnte er ja gucken, wer so alles online ist. Eine kurze Welle der Enttäuschung machte sich in ihm breit, als Lea nicht da war. Er schaute auf die Uhr. Sie zeigte 11:38 Uhr. Eigentlich müsste sie längst da sein. Sie war gestern wohl doch dort gewesen. Er hatte sich nicht getäuscht. Sie muss es gewesen sein. Um sich nicht weiter in Gedanken zu verlieren, widmete er sich seiner Arbeit.
 
Eigentlich
hatte sie noch gar keine Lust nach Hause zu fahren. Dort würde sie ja eh nur alleine rumsitzen und nichts tun. Deshalb entschloss sie sich, ihr Notebook aus dem Auto zu holen. Sie startete den Messanger. Ein Lächeln glitt über ihre Lippen als sie ihn online sah. Allerdings fand sie, dass er sie diesmal anschreiben könne. Sie hatte es schon das letzte Mal getan.  
 
Er: „guten morgen!“
Sie: „hallo“
Sie: „na, wie war’s gestern?“
Er: „nett.“  
 
Ihn
interessiert eigentlich gar nicht, wie es gestern war, sondern ob sie es gestern war. Ob er fragen soll? Noch immer dachte er darüber nach, als sie ihn aus seinen Gedanken riss.  
 
Sie: „bist du noch müde?“
Er: „nicht wirklich.“
Sie: „arbeitest du?“
Er: „jo.“
Sie: „ah so.“  
 
Warum
arbeitete er eigentlich ständig. Immerhin war Sonntag. Na gut, sie musste eingestehen, dass sie auch was machen würde, wenn sie zu Hause wäre. Trotzdem ärgerte sie sich über seine unglaublich „große“ Mitteilungsgabe an diesem Morgen.  
 
Sie: „dann noch viel spaß!“
Er: „thx“  
 
Er
hatte gerade überhaupt keinen Kopf, um mit irgendwem zu chatten. Völlig vertieft war er mit den Gedanken in die Rahmenrichtlinien und seinen Ärger darüber.  
 
Er: „ich habe ein problem.“
Sie: „was denn für eins?“
Er: „die rahmenrichtlinien.“
Sie: „was ist denn damit?“
Er: „das thema passt dort gar nicht hinein! aber ich muss es dennoch behandeln.“  
 
Ihr
Ärger war mit diesen wenigen Worten wie verflogen. Ja, das war typisch für ihn. Die einzigen Probleme, die er hatte, hatten mit seiner Arbeit zu tun. Kein Wunder, denn er tat ja auch kaum etwas anderes. Sie beschloss nach Hause zu fahren. Er würde sowieso gleich zum Sport gehen und sich erst gegen Abend wieder blicken lassen.  
 
Sie: „ich geh erst mal off. bis später“
Er: „cul8er“
 
Er
sah auf seine Uhr. Es war bereits 14:27 Uhr. Er musste los. Schnell stand er auf und suchte seine Sportsachen zusammen. Er hoffte, dass die Schwimmhalle nicht so voll war. Nichts hasste er mehr als volle Bahnen. Ständig schwamm irgendjemand auf seiner Bahn und behinderte sein sportliches Treiben. Nein, das konnte er nicht ausstehen.
 
"Los Lea, 
ich leihe Dir auch Schwimmsachen. Mein Bikini passt Dir sicher.“ Doch Lea wehrte ab. Sie hasste Schwimmen. Sogar im Sommer ging sie selten ins Wasser, dazu war sie viel zu faul. Außerdem hasste sie es, wenn sie bereits trocken, aber das Handtuch noch ewig nass war. Im Schwimmbad waren sicher wieder lauter Rentner, die sie eh nicht ausstehen konnte. Sie schwammen vor ihr und hielten plötzlich an, um an den Rand zu schwimmen oder ihre Schwimmrichtung ins Entgegengesetzte zu ändern. Oh, wie sie es hasste. „Wofür habe ich Dich eigentlich hier schlafen lassen?“, empörte sich Anna. Lea rollte mit dem Augen. „Du, Anna? Habt ihr mehrere Schwimmbäder?“, wollte sie wissen. Anna beäugte ihre Freundin skeptisch. Normalerweise war es Lea total egal, wo sie schwimmen gingen. Sie wusste ja eh nicht, ob sie dort schon einmal war oder nicht. „Ja, warum fragst Du? Möchtest Du zu einem bestimmten?“, erkundigte sich Anna. Lea wehrte schnell ab: „Nein, nein... mich hat es nur interessiert.“
 
Daniel
bog in die Straße zur Schwimmhalle ein. Der Parkplatz schien nicht allzu voll. Er parkte ein und ging in die Halle. Nachdem er sich umgezogen hatte, begann er in dem großen Becken seine Bahnen zu ziehen. Schon schwamm eine Mutter mit ihrem Kind auf seine Bahn. Der Ärger kroch in ihm hoch, doch er schwamm weiter.  
 
Lea
stand fertig umgezogen in der Umkleide. „Bist Du bald mal fertig?“, drängte sie. Anna beeilte sich ihrer Freundin zu Liebe. Es war immer dasselbe mit ihr. Erst wollte sie nicht und dann wollte sie unbedingt hinein. Sie gingen in Richtung Schwimmbecken, doch Anna musste noch einmal zurückgehen, da sie ihre Uhr nicht abgenommen hatte. Lea ging schon zu den Liegen und breitete ihr Handtuch aus. Sie setzte sich und schaute auf die schwimmenden Menschen. Plötzlich sprang ein alter Herr vom Rand ins Becken. Sie wurde nass. Verärgert schaute sie genauer ins Becken.  
 
Gleich
würde er sich nicht mehr zurückhalten können. Jedes Mal sprang ihm dieser Greis fast ins Kreuz. Schwimmen war einfach Stress. Er wusste auch nicht, warum er es sich jede Woche aufs Neue antat.  
 
Sie
erblickte neben dem Übeltäter einen Mann, der ihr bekannt vorkam. In dem Moment fiel ihr der Vorfall von gestern Abend wieder ein. Wie diese Sprichwörter doch wieder stimmen, denn ihr ging gerade „Man sieht sich immer zwei Mal im Leben“ durch den Kopf. „Lea?“, rief Anna ganz laut, „Legst Du Dich schon wieder mit irgendwem an?“  
 
Lea?
Hatte nicht irgendjemand „Lea“ gerufen? Er drehte sich um. Das gab es doch nicht! Was machte sie denn hier? Verfolgte sie ihn? Doch da fiel ihm wieder ein, dass das unmöglich sein konnte. Sie wusste ja nicht, wer er war. Was tat sie hier? Sie ging doch gar nicht gerne schwimmen. Er konnte sich ihre Anwesenheit nicht erklären. Schon gestern hatte er es nicht gewagt, sie zu fragen. Er rang mit sich. Da war seine zweite Chance und er war sich nicht sicher, ob er sie wahrnehmen sollte. Würden sie sich irgendwann doch einmal treffen, würde sie ihn sicher erkennen. Zumal sie ja gestern schon ineinander gelaufen waren. Aber wenn er so weitermachte, würden sie sich niemals treffen. Jetzt machte er sich schon wieder Gedanken, dabei war schwimmen gegangen, um einmal abzuschalten. Er ärgerte sich über sich selbst.  
 
Ob sie
ihn begrüßen sollte? Eigentlich kannte sie sich ja gar nicht. Vielleicht erinnerte er sich auch gar nicht mehr an sie. Wie er da so seine Bahnen zog... er war sicher öfter hier.  
 
Am
Besten ging er in die Sauna. Dahin würde sie ihm gewiss nicht folgen. Sie ging nie in die Sauna. Das wusste er mit absoluter Sicherheit. Aber wieso wollte er eigentlich abhauen? Sie war kein Alien, eher im Gegenteil. Sie starrte ihn nicht unentwegt an. Manchmal tat sie es, aber es war nicht unangenehm. Vermutlich rätselte sie, ob er der von gestern Abend sei. Er beschloss in die Sauna zu gehen, aber nicht als Flucht, sondern weil er es jetzt wollte. Daniel schwamm zur Leiter und stieg hinaus. Sein Handtuch hatte er über die Schulter gehängt und nun ging er Richtung Sauna. Wo hatte er denn jetzt seine Spindschlüssel? Er schaute sich um, um zu sehen, ob er sie verloren hatte.  
 
„Mensch Lea,
wieso kannst Du nie warten?“ – „Wie?“, drehte sich Lea fragend herum. Plötzlich stieß jemand gegen sie. „Entschuldigung!“, stieß er erschrocken hervor. Sie schaute auf: „Oh... wir scheinen Talent im Ineinanderlaufen zu haben.“ Sie lächelte.  
 
Er
war ganz ihrer Meinung und konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. In diesem Moment musste er einfach fragen...
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.01.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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