Joana Angelides

Der Jäger

Sie fuhr die Küstenstrasse entlang und bewunderte wieder einmal die herrlichen Klippen und die dunkle Farbe des Meeres. Die Wellen brachen sich an den Felsen und dort wo nur Sand war, liefen sie übermütig dem Strand entlang, bis sie sich auflösten. Es war ein ewiges Spiel.

Nach der kleinen Biegung tauchte auch schon das kleine Dorf auf. Es hatte sich nichts verändert; zumindest konnte man es nicht so auf den ersten Blick sehen. Es veränderte sich jedes Jahr etwas, nichts gravierendes oder entscheidendes. Es entstanden manches Mal kleine neue Häuser mit einem Vorgarten davor oder in einem der Gärten wurde ein Pool eingebaut.

Sie freute sich schon auf die nächsten Wochen der Ruhe und Besinnlichkeit, die sie hoffte erleben zu können. Sie hatte die Hektik der Großstadt hinter sich gelassen und nur ein paar Bücher, ein paar CD´s mit Musik mitgenommen.
Sie hatte auch beschlossen, nicht ans Telefon zu gehen und das Handy auszuschalten, oder nur zu benutzen, wenn sie selbst telefonieren wollte.

Sie fuhr die Hauptstraße entlang und entdeckte einige bekannte Gesichter. Sie blieb jedoch nicht stehen um sie zu begrüßen. Heute noch nicht. Sie wollte vorerst in aller Ruhe ihre Sachen ins Haus bringen und sich den ersten Abend „einwohnen“ wie es ihre Mutter immer genannt hatte. Das heißt, alle Dinge an ihren Platz stellen, die Stühle und kleine Möbelstücke wieder so zu rücken, daß man es gemütlich hatte. Die Bett-Decken entlüften und auf den Balkon hängen und sich bei einer Tasse Tee und einem guten Buch für die erste Nacht vorzubereiten.
Als sie abbog, sah sie ihn. Er stand am Gehsteig und wollte gerade die Straße überqueren. Als er ihrer ansichtig wurde, lächelte er und nickte ihr zu.
Ohne sein Lächeln zu erwidern, fuhr sie weiter und spürte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg. Wie viele Jahre war es nun her? Sie dachte angestrengt nach und hätte fast die Verkehrsampel, die auf Rot sprang übersehen, sie musste scharf bremsen.
Es begann vor drei Jahren, durchfuhr es sie. Damals hatten sie einander das erste Mal gesehen, in einem Lokal an der Küstenstraße. Sie war mit einer größeren Gesellschaft zum Essen gekommen und er saß bereits da, umringt von einigen Freunden. Ihre Augen begegneten sich und konnten sich den ganzen Abend nicht mehr loslassen. Immer wieder kreuzten sich ihre Blicke, er lächelte ihr zu, sie deutete ihr Lächeln nur an, doch er intensivierte seine Blicke und sein Lächeln.
Seine Gesellschaft löste sich schön langsam auf und auch er verließ das Lokal. Doch sie konnte sehen, daß er gegenüber unter der brennenden Laterne stehen blieb und weiterhin zu ihr herüber blickte. Als sie dann ebenfalls das Lokal verließ und sich nach Hause bringen ließ, fuhr er hinter ihnen nach und blieb dann in einiger Entfernung mit seinem Wagen stehen und löschte die Lichter.
Sie stieg aus, verabschiedete sich und ging ins Haus.
Sie musste nun doch unwillkürlich lächeln. Er stand noch lange davor. Sie ging ins Bad und dann hinauf in ihr Schlafzimmer. Als sie ans Fenster trat, sah sie ihn noch immer dort gegenüber stehen und zu ihr hinauf blicken. Sie löschte das Licht und ging zu Bett. Irgendwann musste er weggefahren sein, denn am Morgen war der Platz gegenüber leer.
Lautes Hupen holte sie in die Wirklichkeit zurück. Es war inzwischen Grün geworden und sie stand noch immer da und ein Lächeln umspielte ihren Mund.
Sie fuhr den Wagen an und bog dann in „ihre“ Straße ein. Hier hatte sich nichts verändert, das war irgendwie beruhigend.
Im Laufe des Abends vergaß sie ihn wieder. Sie hatte einige Mühe alles Gepäck ins Haus zu schaffen und Ordnung zu machen. Sie war nun ein Jahr fort gewesen und es hatte sich doch einiger Staub überall hingelegt. Sie nahm sich vor, gleich morgen früh Barbara zu rufen, die ihr helfen sollte, das Haus wieder sauber zu bekommen. Barbara war seit vielen Jahren der helfende Hausgeist und wohnte gleich gegenüber.
Nachdem sie sich Tee gemacht hatte, ging sie müde die Treppe in den oberen Stock hinauf und löschte im Hinaufgehen auch gleich die Lichter im Untergeschoß. Sie schlug die Bettdecke zurück und legte sich mit dem Buch, welches sie sich mitgenommen hatte, bäuchlings aufs Bett.

Doch sie war sehr müde, spürte, wie ihr die Buchstaben vor den Augen verschwammen und der Kopf schwer wurde. Sie löschte das Licht und stand auf, um das Fenster halb zu schließen.
Da stand er wieder gegenüber, mit seinem kleinen roten Auto und sah zu ihr hinauf.
Sie fuhr mit dem Kopf zurück und zog den Vorhang vor. Sie blieb noch eine Weile hinter dem Vorhang stehen und beobachtete ihn. Er blieb im Wagen sah unverwandt zu ihr herauf und zündete sich eine Zigarette an.
Es war wie vor drei Jahren. Sie sah ihn damals täglich vorbeifahren, manches Mal blieb er gegenüber stehen, zündete sich eine Zigarette an, um dann nach einer Weile wieder weiterzufahren.
Er kam immer wieder in ihr Stammlokal, wo sie sich das erste Mal gesehen hatten, lächelte ihr zu.
Am Strand war er immer wieder zu sehen, lag einige Meter von ihr entfernt im Sand und sah zu ihr hinüber. Langsam wurde sie von Unbehagen ergriffen. Sie beschloss, die Initiative zu ergreifen.
Sie stand auf, nahm ihr Handtuch und ging geradewegs auf ihn zu und stellte ihn zur Rede.
Er gab unumwunden zu, daß er sie verfolge, doch er bewundere sie sehr und bat sie gleichzeitig um ein Rendezvous.
Es wurde eine heftige und leidenschaftliche Affäre von ca. zwei Wochen. Sie sprachen von Liebe, er versicherte ihr leidenschaftlich, ohne sie nicht mehr leben zu wollen und sie glaube ihm, sie wollte ihm glauben. Sie hatte noch eine Woche Urlaub, als er plötzlich nicht mehr kam. Sie erwartete ihn täglich am vereinbarten Treffpunkt, doch er kam nicht mehr. Sie rief ihn am Mobile-Phone an, doch er nahm das Gespräch nicht an. Als sie abreiste, war sie sehr verwirrt.
Zu Hause angekommen, wartete sie ein paar Tage, dann rief sie ihn an. Welche Ausrede er hatte, weiß sie heute gar nicht mehr. Es waren noch ein paar Telefongespräche, die hin und her gingen, dann schlief die Sache wieder ein. Es war eben eine Episode, dachte sie sich und im Laufe der Zeit verschwand jeder Gedanke an ihn.
Als sie das darauf folgende Jahr wieder kam, tauchte er plötzlich wieder auf und das Spiel begann von neuem. Er beobachtete sie, stand gegenüber dem Haus, tauchte immer wieder in ihrem Gesichtsfeld auf. Eines Tages am Strand sprach er sie wieder an. Sie wollte ihn kühl abblitzen lassen, doch er ließ nicht locker, versprühte seinen ganzen Charme, beteuerte sein Unschuld, er war krank oder wurde versetzt, oder ähnliches.
Sie unterlag seinem Charme. Bis er dann wieder ausblieb und sie ihn den Rest des Urlaubes nicht mehr zu Gesicht bekam. Als sie wegfuhr, war sie eigentlich wütend. Nicht auf ihn, sondern auf sich selbst. Wie konnte sie ihm wieder glauben?

Ein Vergleich kam ihr in den Sinn. Er war wie ein Jäger, der sein Wild erspäht. Er musste es jagen bis er es erlegt hat, um dann das Interesse daran zu verlieren. Das geschossene Wild wird in einer Reihe aufgelegt und das Halali geblasen. Es war ihr gar nicht wohl dabei, zu erkennen, daß sie das erlegte Wild war.

Sie ging vom Fenster weg und legte sich nun rücklings aufs Bett und starrte auf die Decke.
Nein, diesmal würde sie es ihm nicht gestatten, sie wie ein erlegtes Wild abzulegen um seinen Triumph auszukosten.
Sie löschte das Licht drehte sich auf die Seite und kuschelte sich in den Polster hinein. Sollte er bis Morgen früh da unten stehen.

Am nächsten Morgen war ihr erster Weg zum Fenster und, wie erwartet, war er nicht mehr da. Doch sie war sicher, er würde wieder überall auftauchen, wo sie war und sie verfolgen, bis er wieder eine Möglichkeit witterte um sich ihr zu nähern.

Beim Frühstück blätterte sie in ihrem Telefonbuch und da kam ihr eine wunderbare, böse Idee.
Sie hatte noch einige Freundinnen aus der Schulzeit in der Stadt, die hier geblieben waren, geheiratet hatten oder hier arbeiteten. Sie rief alle an und versuchte mit ihnen ein Treffen in zehn Tagen am Silberstein zu arrangieren. Das war eine abgelegene Hütte, hoch oben am Berg, zu der man nicht mit dem Auto fahren konnte, sondern mühsam aufsteigen musste. Einige sagten zu, sie waren neugierig auf die versprochene Sensation. Als Bedingung nannte sie, daß sie alle gemeinsam kommen mussten, nicht einzeln.


Dann rief sie ihn an. Er war hoch erfreut, daß sie so plötzlich mit ihm Kontakt aufnahm und auch er versprach zu kommen. Allerdings versprach sie ihm ein einsames Treffen, nur sie beide für eine Nacht auf der Hütte.
Sie bat ihn, Blumen zu besorgen, Wein einzukühlen und romantische Musik zu spielen und sie in einem leichten Hausmantel zu erwarten. Er sagte begeistert zu.
Dann legte sie den Hörer auf und ein zufriedenes Lächeln breitete sich über ihr ganzes Gesicht. Sie selbst würde an diesem Tag ihre Heimreise antreten und sich am Rückweg die Szene in all ihren Facetten vorstellen.
Diesmal wird der Jäger das erlegte Wild sein.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.08.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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