Christin Leucht

Nachts


Viel zu kalt und schon das zweite Mal diese Nacht. Ihr fiel auf wie schmutzig der Badezimmer Spiegel in dem schwachen Licht doch aussieht. Immer nörgelte sie mit ihm, er würde den Spiegel immer dreckig machen. Man könne sich die Zähne auch putzen ohne alles drum herum zu verwüsten. Wenn sie sich nicht beeilt, würde sie nicht wieder einschlafen können. Zu viel Licht, zu viel Bewegung. Die Unterbrechungen des Schlafs machten ihr schwer zu schaffen. Sie fragte sich warum in Gottes Namen hatte sie sich darauf eingelassen nur noch im Bad zu rauchen. Verdammt. Würde es ihm auffallen wenn sie schummelt und unten im Wohnzimmer weiter rauchen würde. Er kommt doch eh erst in drei Tagen zurück. Und warum war der Spiegel so dreckig obwohl er nicht zu Hause war?
 
Die Tabletten, welche  ihr eine ruhige, entspannte Nacht bereiteten, hatte  sie schon vor einigen Tagen abgesetzt. Am Montag wurde sie durch das markerschütternde Schrillen des falsch eingestellten Weckers aus dem Schlaf gerissen. Sie hatte erst wenige Stunden vorher die Tabletten eingenommen und der nun vorhandene metallische Geschmack auf der Zunge wollte weggespült werden. Auf dem Weg in die Küche war sie jedoch noch so benommen und unfähig einen festen Schritt vor den anderen zu setzen, dass die paar Stufen runter ins Erdgeschoss zum Höllentrip wurden. Unten angekommen verspürte sie den pulsierenden Schmerz der Beulen am Bein und das geprellte Steißbein machte es ihr seit dem unmöglich, normal und ohne Kissen irgendwo Platz zu nehmen. Warum war er auch wieder weg? Er wusste doch wie unwohl, ja geradezu ängstlich sie sich alleine in dem großen Haus fühlte. Die Angstzustände bekam sie auch wenn er in der Nähe war, doch immerhin war jemand in der Nähe.
 
Er wird es nicht merken. Unten im Wohnzimmer angekommen, drückte sie sich an der rechten Wand entlang um möglichst weit von der riesigen Fensterfront, die sich um das halbe Wohnzimmer zog, entfernt zu bleiben. Gestern nahm Greta alle Vorhänge ab um sie zu reinigen und jetzt starrte sie direkt hinaus ins Nichts. Sie hatte es vergessen. Das Meerrauschen war heute irgendwie weiter weg als sonst. Sie hatten rund um das Haus alles beleuchtet. Doch nachts mochte sie noch weniger aus dem Fenster gucken wenn sie alles sehen konnte. Somit einigten sie sich auf die Bewegungsmelder .Verbunden mit der Alarmanlage wurden diese aktiviert, sobald sie ihren Hochzeitstag auf dem Display eingab und sich das leise Geräusch von 34 verriegelnden Schlössern an Türen und Fenstern durch das Haus zog. Das damit verbundene Ritual war zwar auch anstrengend, doch für sie war es das kleinere Übel. Er musste sich regelmäßig auf den Weg machen um zu kontrollieren was den Melder aktiviert hatte wenn das Haus plötzlich hell erleuchtet wurde. Sie blieb meist starr vor Angst sitzen und wünschte sich nichts sehnlicher als unsichtbar zu werden. Er tat es gerne für sie. Er liebte sie. Sie liebte ihn. Die Liebe zwischen den beiden war so unnormal groß, dass sich die Pärchen um sie herum wünschten es wäre anders. Zu klein und ungeliebt kamen sie sich vor.
 
Bis heute fragte sie sich welcher Teufel sie geritten hatte, als sie dem Kauf dieses Hauses zustimmte. Er liebte das Meer, kein langer Weg zur Arbeit und die Möglichkeit vieler romantischer Stunden am Strand waren ihr wichtiger als die große Angst in der Nacht. Mit den Jahren wurde die Angst weniger, sie wurde entspannter. Doch ganz würde es wohl nie aufhören.
Sie mogelte sich langsam auf den riesigen Ohrensessel, der ganz versteckt in der dunkelsten Ecke des Raumes stand. Er hatte diesen Platz mehrfach von draußen in der Dunkelheit überprüft, weil sie sicher gehen wollte, dass man sie auf keinen Fall von draußen sehen konnte wenn sie dort saß. Von draußen konnte man lediglich das Glühen ihrer Zigarette wahrnehmen und das auch nur wenn man seine Nase an die Scheibe drückte. Hier auf dem Sessel fühlte sie sich wieder sicher. Sie wusste, dass die Nacht für sie schon wieder vorbei war als sie sich die dritte Zigarette anzündete. Wieder nicht geschafft. Ihre Kollegen würden ihr Morgen wieder sorgenvoll berichten wie schlecht sie doch aussähe. Zwei Stunden waren schon wieder vergangen und ihr war so als würde die Sonne langsam aufgehen. Doch das tat sie noch lange nicht. Sie war entspannt, stand aus ihrem Sessel auf und ging langsam in Richtung Fenster um die in See gestochenen Fischer zu beobachten, die sie an den kleinen leuchtenden Punkten, die über das Wasser tanzten erkannte. Es sah aus als seien über Nacht ein paar Sterne vom Himmel abgestürzt und sprangen jetzt über das Wasser in der Hoffnung, wieder nach oben zu gelangen. Viel zu selten konnte sie sich dazu durchringen, es anzusehen. Sie beobachtete wie ihr Atem sich auf der Scheibe vergrößerte und langsam wieder kleiner wurde. Ihr fiel ein wie sie sich zu Beginn im Badezimmer kleine Nachrichten auf den beschlagenen Spiegel schrieben. Sie grinste und versuchte nun ihren Atem so lange anzuhalten, bis das Fenster wieder klar wurde.
Doch statt kleiner zu werden wurde die beschlagene Fläche mit einem Mal viel größer und bevor sie verstehen konnte, starrte sie in ein paar fremde grüne Augen. Der Mann atmete auf fast gleicher Höhe an ihr Fenster. Licht, es war kein Licht da. Warum ging das Licht nicht an? Das Licht ging nicht an weil sie die Alarmanlage nicht aktiviert hatte. Wie konnte sie das nur vergessen. Nein, sie hatte es nicht vergessen. Greta kam noch vorbei. Deswegen schaltete sie die Anlage aus und dann?. Du dummes Ding, dummes, dummes Ding, sagte sie sich. Erstaunt, dass sie  nicht schon vor lauter Angst zusammengebrochen war, setzte sie langsam einen Schritt nach dem Anderen zurück und wurde nur von dem stechenden Schmerz der sich von hinten in ihren rechten Lungenflügel bohrte plötzlich gestoppt. Der Mann am Fenster winkte Ihr zu und erst jetzt vernahm sie die Rufe die von draußen in das Haus drangen. Er ist in ihrem Haus, nein, bleiben sie stehen er ist direkt hinter ihnen, schrie der Nachbar ihr zu. Er war erst nachts aus dem Büro gekommen und sah, das bei Sarah jemand ums Haus herum ging. Bob war nicht zu Hause und Sarah würde in dieser Dunkelheit nie einen Fuß alleine vor die Tür setzen. Er kam also um nachzusehen ob alles in Ordnung war. Geschockt von dem was er sah als er durch das Wohnzimmer Fenster blickte, war er kurz unfähig auch nur einen Laut von sich zu geben. Und dann war schon alles zu spät. Der Mann hatte Sarah das Messer in den Rücken gerammt und ließ sie nun langsam auf den Boden sinken. Röchelnd und in dem Bewusstsein, dass es nicht mehr lange dauern würde, sah Sarah wie ihr Atem auf der Fensterscheibe ganz langsam verschwand.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Christin Leucht).
Der Beitrag wurde von Christin Leucht auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.01.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Christin Leucht als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Vor der Zeit im blauen Kleid. Wege aus dem Labyrinth der Erinnerungen von Helke Meierhofer-Fokken



Im Rückblick entrollt die sensible Ich-Erzählerin ihren Erinnerungsteppich und beleuchtet die Staitonen ihres Lebens schlaglichtartig, so dass die einzelnen Bilder immer schärfer hervortreten und sich schliesslich zu einem einzigartigen Patchworkgebilde verbinden.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Spannende Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Christin Leucht

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Seltsame Überraschung an Heiligabend von Ingrid Drewing (Weihnachten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen