Jemand
musste mich zu so etwas wie einem Reiseleiter bestimmt haben, denn ich sah mich
in einem Tageslichtballon inmitten eines ringsum wolkig verschwimmenden Raumes
stehen. Der, den ich da in mir erkannte, blickte freundlich, aber auch ein
wenig verwirrt auf zwei Jungen, die 13-jährig wie damals nach einer
Schülertheateraufführung vor ihm standen. Wir wussten natürlich beide, er und
ich, dass diese Knaben inzwischen längst in Amt und Würden waren, der nette
Aike als Zahnarzt und der alle Unfälle auf sich ziehende Jan als Pfarrer, der
wieder einmal so beharrlich mit seinem Zeigefinger auf mich, der ich dort
stand, einstach, bis man, also er, ich meine mein Ich nachgaben und ihm
ermöglichte zu sagen, dass er auch mit wolle. Aber wohin wollte Jan nur? Und
wieso „mit“? Wollte ich oder mein Alter Ego denn irgendwohin?
Bevor
das zu klären war, gab der Dämmer um die kleine Gruppe eine weitere Person frei
und pflanzte ihn als seinen, meinen, unseren(?) – es war schon etwas verwirrend
– jüngeren Kollegen Carsten Bruch, etwa 30 Jahre, quirliger Schlagzeuger der
Schulbigband, dynamisch rothaarig und rhythmisch ständig in Bewegung vor mir
als der Summe von Über-Ich und Es auf. Gottvoll auch hier wieder seine übliche Unbekümmertheit:
„Ja,
Portugal ist geil; bin dabei! Cool.“
Dann
brütete der Dämmer noch einen jungen, vielleicht 19-jährigen Mann aus, von dem
klar war, dass auch er inzwischen das Rentenalter erreicht haben musste.
Freudig überrascht nach 40 Jahren seinen Jugendfreund unverändert wieder zu
sehen, konnten meine gesammelten Ichs sprachlos wie bisher nur Kenntnis nehmen
von den absolut realen Erscheinungen, die sich allesamt als sofort losredend
anmeldeten, obwohl sie eigentlich alle nur aus Kopfkörpern bestanden. Ohne den
Unterkiefer mehr als unbedingt nötig zu öffnen – sofort kam wieder das Bild
eines fressenden Kamels hoch, das seinen Unterkiefer mehr seitlich malend als
einfach nur auf und zu bewegt – nuschelte Robert sein typisch unterdrückt-begeistertes:
„Na, dann los!“
Die
zentrale Erzählfigur versuchte sich jetzt ins Wir des Pluralis Majestatis zu
retten, um der Reise heischenden Übermacht etwas Gleichwertiges
entgegenzustellen: „Na dann wollen mal sehen…“ Aber überzeugend war das nicht,
denn weder mein im Raume stehendes Es wusste etwas von einer Reise, noch mein
beobachtendes Über-Ich. So wusste Ich schon gleich überhaupt nichts. Aber
niemand brach in Panik aus, keiner stellte Fragen. Wenigstens das oder
wenigstens das nicht.
Deshalb
fragte ich wohl – in der Rolle des verantwortungsvollen Über-Ichs – besorgt, ob
denn die Eltern schon informiert und um Erlaubnis gefragt worden seien, denn
immerhin wären die Jungs erst 13 Jahre alt. Aber offenbar war das alles schon
geregelt, allerdings nur bis zu einem Papierladen mit Kaffeetheke, wo
bedenkliche ältere Herren Unterschriften von den Eltern sehen wollten. Da zogen
die Knaben wortlos Vordruckserien wie verkleinerte Scheckhefte heraus, und
hinterlegten von ihnen selbst unterschriebene Erlaubniserteilungen, die aus
Unkenntnis oder Lustlosigkeit sofort akzeptiert wurden. Auch hier wurde die
Frage nach dem Reiseziel gestellt und genauso jungenhaft unbekümmert mit
sympathischem Schulterzucken beantwortet. So sahen Wir(!) uns wieder einmal
genötigt einzuschreiten und, einer spontanen Eingebung folgend, warf mein Ich,
der Einfachheit halber Carstens Vorschlag annehmend, ein: „Selbstverständlich
Portugal. Wohin denn sonst?“
Die
Herren nickten, zwar, aber zogen sich beratend zurück, womöglich weil ihnen die
Elternfrage doch noch nicht zufrieden stellend gelöst erschien.
So
blieb die Verantwortung weiterhin bei mir zwischen Ich und Es, denn Carsten und
Robert waren inzwischen ebenfalls und zwar zusammen mit den Ladenbesitzern in
die Schall schluckenden Schattenschwaden abgetaucht, aus denen keine Hilfe mehr
zu erwarten war.
Als
sich mein Traum-Ich für alles Weitere an die beiden gutgelaunten Jungen wenden
wollte, hatten auch sie, zerfließend wie zwei feine Wolken, mit dem Licht ihren
Körper verloren.
So
leicht und reizvoll die Portugalidee geklungen hatte, so schnell war der
Reisetraum hier bereits als Traumreise zu Ende. Mein Es beschritt den Weg des
geringsten Widerstandes und knipste also das Licht aus, oder war es mein Ich?
Jedenfalls erwachte ich und wusste mit dem Traum nichts weiter anzufangen, als
ihn digital zu sichern, bevor er in Vergessenheit geraten konnte.