Wolfgang Scholmanns

Zwischenmenschliches

„Tolle Arbeitskollegin", mault Stefan.“ Stefan, ein langjähriger Mitarbeiter der Agentur, unterhält sich gerade mit Moni, einer Kollegin aus dem gegenüberliegenden Büro. „Sei doch mal ehrlich, hast du nicht auch den Eindruck, dass diese Frau sich äußerst seltsam benimmt? Ich glaube so langsam, dass es an der Zeit ist, ihr mal mitzuteilen, dass sie sich entweder zu einem Psychologen begibt oder einfach versucht, sich selbst zur Ordnung zu rufen. Damit meine ich, sie soll sich ein bisschen zusammenreißen. Gestern saß sie eine halbe Stunde, wie abwesend an ihrem Schreibtisch, starrte auf den Kalender an der Wand und nickte manchmal mit dem Kopf. Ich könnte noch einige ihrer Auffälligkeiten schildern, und du doch bestimmt auch, Moni.  Das ist doch nicht normal, oder?“ Moni schüttelte den Kopf. „Sei nicht so hart, Stefan. Wer weiß was mit ihr los ist, und was in ihr vorgeht. Bestimmt sind es irgendwelche Sorgen, die sie in diese Situation gebracht haben.“ „Irgendwelche Sorgen, wer hat denn keine? Mir kommt es so vor, als lebe sie in  einer Traumwelt und hat ihre eigene innere Wirklichkeit. Doch so geht das hier nicht. Hier wird Leistung gefordert. Du musst doch auch dein Tagespensum erfüllen. Arbeitest noch für sie mit. Lange sehe ich mir das nicht mehr an, dann werde ich die Geschäftsleitung informieren.“ „Das musst du mir schon überlassen, lieber Stefan. Ich arbeite für sie mit, weil sie im Moment ein Tief hat. Sie hat mir auch schon so manches Mal geholfen, wenn es mir nicht so gut ging.“ „Kapierst du nicht was ich meine, Moni? Diese Frau ist krank, und wenn sie nichts unternimmt, vielleicht auch aus dem Grund, weil sie ihre Krankheit nicht erkennt, muss die Geschäftsleitung ihr dabei helfen. Ich habe schon einmal mit einem Menschen zusammengearbeitet, dessen Leben, bzw. Erleben, von paranoid – schizoiden Positionen diktiert wurde. Diese Leute biegt man, wenn überhaupt, nur mit therapeutischer Hilfe wieder gerade. Das Selbst dieser Personen ist wie ich schon sagte, die eigene Wirklichkeit, die Traumwelt eben. Wir wissen, dass das Selbst die Realität benötigt um wachsen zu können, diese kranken Menschen müssen es erst wieder lernen.“ „Jetzt redest du aber ganz anders, Herr Kollege. Deine Worte hören sich gut an, hilfsbereit und irgendwie auch verständnisvoll.“ „Ich weiß, vorhin war ich ein wenig nervös. Habe den Schreibtisch voller Arbeit liegen und Madame schaut aus dem Fenster oder starrt an die Wand. Da kann man schon mal ausflippen.“ „Ja, ist schon gut, ich weiß ja, dass du ein weiches Herz hast. Ich habe letztens in einem Buch, indem ein Psychotherapeut über psychoanalytische Untersuchungen und Therapien berichtet, von einem Fall gelesen, bei dem es um eine Frau ging, die, wenn sie sich zurückzog, eine Welt des idealisierten Zusammengehörens erlebte. Sie suchte nach Hilfe, weil ihr etwas zu schwer wurde, konnte aber nicht ausdrücken, was ihr zu schwer wurde. Diese Welt war die Basisstation die sie benötigte, um anderen, hier z.B. dem Therapeuten, ihr Erleben von Nichtzugehörigkeit, Fremdheit und des sich nicht aufgehoben gefühlt seins,  mitteilen zu können. Es war für sie eine umstürzende Entdeckung, als es ihr in der Psychoanalyse gelang, dem Therapeuten diese Zurückgezogenheit zu erkennen zu geben. Von da an ließ sie nicht mehr davon ab zu versuchen, auszudrücken, was sie fühlte, womit sie meinte, von den Schrecken und Tröstungen ihrer inneren Welt so zu sprechen, wie sie es erlebte, und dabei das Gefühl zu haben, dass der Therapeut erkannte wovon sie sprach.“ “Furchtbar, diese psychischen Krankheiten, aber es ist wohl so, dass jemand, der solche Situationen noch nicht erlebt oder mitgemacht hat, da nur wenig, oder gar nicht, mitfühlen kann. So aber nun an die Arbeit. Ich werde nachher mal mit unserer Kollegin sprechen. Vielleicht ist sie ja froh darüber, wenn sie spürt, dass man sich ihrer annimmt. 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.01.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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