Christina Halupczok

Drachenritt

Wie jeden Abend saß Walli auf der Bank neben ihrem Reihenhäuschen, um noch zehn Minuten vor dem Zubettgehen ein wenig Luft zu schnappen.
Sie sah hinauf in den Himmel. Es zeigten sich winzige Punkte, die nicht klar ersichtlich waren, nur drei leuchtende Sterne blickten zu ihr hinab. Sie waren genau über ihr angeordnet.
Sie wusste nicht, welches der vielen Sternbilder sich da zeigte, doch es hatte etwas Faszinierendes.
Die Nacht war freundlich und gemütlich, obwohl der Wind unruhig von einer Richtung in die andere wehte. Sie wickelte sich ihre Stickjacke fester um ihren Körper.
Der Wind begann aus nördlicher Richtung stärker zu wehen und einen Tanz vorzuführen. Dieser Tanz erinnerte an einen Passo Doble. Er schwang durch die leergefegte Straße vor ihrer Reihenhaussiedlung wie ein rassiger, spanischer Torrero, der sich selbst herausforderte.
Fasziniert von der machtvoll wirkenden Dunkelheit, die sich am Himmelszelt zeigte, ließ sie ihren Blick schweifen. So ein wunderbares Gefühl, als forderte der Wind sie auf, seine Tanzpartnerin zu sein. Mehr und mehr erlag sie seiner Macht und steigerte sich in ihre unendliche Fantasiewelt hinein.
Am westlichen Teil des Himmels sah sie, wie ein nebelartiges Gebilde herannahte. Eine große Wolke, geschoben vom Energiebündel Wind. In östliche Richtung schwebend, sah sie jetzt deutlich, wie die Wolke sich in ein Schiff verwandelte. Getragen von den Lüften und getrieben vom Nordwind, der sich jetzt zu einem neuen Spiel mit der Natur mitreißen ließ.
Das Wolkenschiff schwebte langsam auf die drei Sterne zu.
Das Schiff zeigte drei Masten. Einer davon, der Höchste in der Mitte, erschien mit einem Kreuz ganz oben versehen.
Dieses Bild wirkte sehr majestätisch und das Schiff sah aus, wie eines in den früheren Piratenfilmen.
Es könnte auch ein Geisterschiff sein, das von einem unsichtbaren Steuermann gelenkt, durch die Luft segelte, auf dem sturmgepeitschten Meer schaukelte und der Wind trieb es mit seinem Atem voran.
Der mittlere, höchste Mast, mit dem angedachten Kreuz, näherte sich nun mit gefühlter Höchstgeschwindigkeit dem Sternbild und wenn es den Kurs beibehielt, würde es den Unteren der drei Sterne gleich berühren.
Er könnte aus seiner Stellung heraus, von dem Mast wie ein Golfball geschlagen werden, in der Weite des Universums seine Laufbahn nehmen und irgendwann in der Atmosphäre verglühen oder duch eine Supernova eine neue Galaxie gebären.
Es wurde ruhiger. Der Wind hörte auf zu singen und eine unheimliche Ruhe folgte dem ganzen Schauspiel des Himmels und der Fantasie.

Nun begann sich alles wie in einem Zeitraffer zu vollziehen, als hätte jemand die Slowlytaste gedrückt.
Noch bevor der Mast den unteren Stern in der Mitte des Sternbildes erreichte, formte sich aus dem ersten der drei Masten des Schiffes ein neues Bild. Der Mast löste sich auf, um als Drachenkopf neu in Erscheinung zu treten.
Der Kopf sah den alten Bildern in den Drachenmythen sehr ähnlich.
Drachen. Hüter des Schatzes im Herzen. In sehr alten Mythen heißt es, dass jeder Mensch einen Schatz in seinem Herzen trägt und dieser Schatz von seinem eigenen Drachen beschützt wird. Wenn der Schatz abhanden kommt, stirbt auch der Drache mit ihm.
Viele Menschen müssen ihre wahren Schätze verloren haben, dachte Walli, sonst gäbe es vielleicht noch Drachen.
Das Bug des Schiffes in riesige Pranken verwandelt und der mittlere, größte Mast, der das Kreuz in der Mitte zeigte, formte sich zu einem Drachenkörper und das Kreuz verwandelte sich in die Ansätze seiner riesigen Flügel, die von den Schatten der Nacht angedeutet wurden. Der dritte Mast zeichnete den Schwanz des mystischen Gebildes.
Aus dem Schiff ist ein Drache geworden. An dessen Ende hing eine Art kleines, zappeliges Rauchwölkchen. Walli konnte sich jedoch nicht ausmalen, was das sein könnte.
Nach längerem Beobachten formte sich, die mittlerweile größer werdende Rauchwolke, in eine schemenhafte Figur. Walli dachte, es sieht aus wie eine kleine Hexe, die sich krampfhaft versucht auf ihrem Besen zu halten, mit einer Hand am Ende des Drachen festgekrallt.
Sie schaukelte unbeholfen hin und her, als würde sie noch ihren Besen nebenbei zurechtweisen, dass er sich doch bemühte, den Kurs zu halten.
Der Drache befand sich jetzt genau unterhalb des Dreiergestirns, das sie noch genauso anblinzelte, wie zu Beginn ihrer Himmelsbetrachtungen.
Sie schien ihre Blicke zu lange auf den Sternen ruhen zu lassen, denn als sie sich wieder dem Drachenschauspiel zuwendete, sah sie die Hexe bei dem Versuch, sich langsam vom Ende des Drachen nach vorne zu kämpfen, was bei dem heftig regierenden Ostwind nicht einfach schien.
Sie gewann den Kampf und landete genau auf dem Rücken des Drachen. Ein errungener Sieg und es sah aus, als würde sie beide Hände in die Lüfte strecken, in einer Hand ihren erschöpften Besen. Der Wind heulte noch einmal richtig auf und schubste Walli, die langsam aufgestanden war, in Richtung ihrer Haustüre.
Raus aus dem Zeitraffer. Die Hexe ritt ´gen Süden auf ihrem Drachen davon. Wohin der Wind sie wohl trägt? Welche Abenteuer auf die zwei wohl warten?
Jetzt wird es Zeit, ins Bett zu gehen, dachte Walli und freute sich über eine Gute-Nacht-Geschichte, die ihr gerade der Himmel, die Sterne, der Wind und eine Wolke erzählten.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.01.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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