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Die Musik dröhnt durch den Raum, lässt die Wände vibrieren
und macht ein jedes Wort fast unverständlich. Der Club ist voll, wie jeden
Freitagabend. Eine bewegte Masse von dunklen Leibern bewegt sich rhythmisch in
einer Ecke des Raumes. Ihre Leiber sind eng aneinander geschmiegt. Man kann die
Hitze spüren, die sie verbreiten. Und man kann es sehen, die gierigen Blicke,
die sich verzehren nach einander, wie sie sich die weißen, bald blutroten
Lippen lecken, und warten, darauf dass das Lied vorbei ist, darauf dass ein
neues beginnt, ein neues Lied, ein neuer Tanz, näher, ihrem Ziel entgegen,
schneller, erregter, bis sie sich ans Ende tanzen und gierig niedersinken auf
Sessel und Hocker, um sich einem anderen Spielchen zu zuwenden.
Mitten im Raum die fünf großen Käfige. Ihre Insassen wie
immer in Aufregung verschiedener Art; Sie versuchen zu entkommen, sich tiefer
in den Käfig zurück zu ziehen, sich so gut wie möglich zu präsentieren, andere
mit hinein zu ziehen, oder sie zu verscheuchen, jedes Schauspiel begleitet von
den Blicken der Masse, die sich daran labt, an den Frauen, die gefangen sind,
die Menge zu unterhalten. Eine von ihnen, die Schönste, bei der sogar ich ab
und zu vergesse, was ich bin, woher ich komme, wohin ich gehe, nur um sie
betrachten zu können, unbeschwert, ihr all meine Aufmerksamkeit widmen kann,
und mir für einen Moment vorstellen zu können, sie wäre mein. Ihr Name ist Sin,
sie ist die personifizierte Sünde, Versuchung, das Gefühl ein Mann zu sein. Nur
lasse ich mich nicht sehr oft darauf ein. Für mich ist sie nur eine Kundin. Und
ihr gilt mein erster Weg, wenn ich diesen Ort besuche, um meine Dienste
anzubieten. So auch heute.
Blicke verfolgen mich, sobald ich den Raum betreten habe.
Sie warten schon darauf, dass ich zu ihnen komme, zappeln auf ihren Stühlen und
fragen sich, ob meine Laune es heute wohl zulässt, dass sie aufstehen und auf
mich zu kommen können, ohne dass ich es ihnen tausendfach heimzahle. Jedes Mal,
kann ich es wieder sehen, wie sie überlegen und sich doch nicht trauen, gut für
sie, denn ein solcher Tag ist mir unbekannt, an dem ich ihnen Güte zollen
würde. Sie sollen nur nicht denken, dass ich sie brauche, sie sind nur Mittel
zum Zweck für mich. Bevor ich mich auf meinen Streifzug begebe, ziehe ich mich
erst einmal in die Ecke zurück, in der sich die Bar befindet. Ohne einen Drink
und eine Anfangsdosis Silberoxid werde ich den Abend nicht überstehen. Solche
Einrichtungen sind nichts für mich, es sind zu viele Vampire und zu viele Augen
und Ohren, zu viel Hektik und Lautstärke. Bei einem großen Glas voll gutem
Whiskey setze ich mir die erste Spritze. Und wie ich es genieße, den Anfang,
den das Gift in meinen Venen wirkt, wie es sich ausbreitet. Ich schließe die
Augen und lege den Kopf in den Nacken, damit das herrliche Gefühl auch meinen
Kopf erreicht. In der Ferne spüre ich Sins grünglühende Augen auf mir ruhen und
ich öffne erregt meinen Mund und entblöße die schimmernden, kalkweißen
Eckzähne, die mein ganzer Stolz sind, denn sie messen bis zu vier Zentimeter,
wovon die meisten anderen nur träumen können. An den Zähnen eines Vampirs kann
man seine Macht erkennen, umso länger sie sind, umso gefährlicher kann er dir
werden. Es ist jedoch nicht klug seine ganze Macht zu offenbaren, sonst könnte
es leicht zu Kämpfen kommen, die sich hätten vermeiden lassen, und aus Furcht
vor einer zu großen einzelnen Macht entstehen. Knappe drei Zentimeter reichen
völlig aus, um den Umstehenden, die noch nicht mit mir Bekanntschaft gemacht
haben, genug Respekt einzuflößen, und Sins Augen noch etwas mehr glühen zu
lassen. Ich spüre es genau. Und ich kann es kaum mehr aushalten auf diesem
Stuhl ohne sie. Plötzlich spüre ich, wie sich ein Körper unkontrolliert schnell
auf mich zu bewegt. Ich springe im letzten Moment vom Stuhl und lande sanft
neben ihm mit den Füßen fest auf dem Boden, einen Jungen am Schlawitchen. „Ein
Mutiger“, knurre ich, das Gesicht wutverzerrt, „das ich das noch erleben darf!
WAS WILLST DU?“ Mein Gegenüber schrumpft sichtlich vor Angst in sich zusammen
und blickt sich nervös nach seinen Freunden um, die grinsend hinter ihm in
einer kleinen Gruppe stehen und gespannt erwarten, was ich nun mit ihm
anstelle. Der Junge, dessen Füße nun einige Zentimeter über dem Boden baumeln,
scheint nicht älter als siebzehn zu sein. Ein Halbstarker, der wahrscheinlich
von seinen Freunden gestoßen wurde, denn er erweckt nicht einmal den Anschein,
als könne er einer Maus etwas zu Leide tun. Ich fahre mit meinen Fingernägeln
an seiner gebräunten Wange entlang und hinterlasse flache Kratzer, aus denen
augenblicklich das Blut tropft. „Sterblich.“, stelle ich leise fest. Ich habe
ihn näher an mich herangezogen, um ihm das Blut von der Wange lecken zu können.
„Was treibt euch hier her? An einen Ort des Todes.“, frage ich in sein Ohr. Er
zittert. Er antwortet nicht. Andere Mittel: Langsam fahre ich mit meinen Finger
wieder über sein Gesicht. „Soll ich es wieder tun?“, überlege ich laut,
„Vampirwunden verheilen nicht wie normale Wunden, musst du wissen. Sie heilen
nämlich gar nicht.“ Ich fange an mit einem Finger ein blutiges Pentagramm aus
frischen Wunden auf seine Schläfe zu zeichnen. „ANTWORTE MIR!“, gebiete ich.
Einen Blick werfe ich auf seine Freunde, die trotz der Entfernung
zusammenzucken. Und auch er zuckt. Und antwortet: „Es sollte, es sollte ein
Spaß werden. Etwas, etwas das, noch niemand, anders, erlebt hat.“ Er stottert.
Und zittert. „Keine Angst, dafür werde ich schon sorgen.“, flüstere ich in sein
Ohr. „Sag mir noch eines, mein Junge: Hast du schon einmal eine Frau gehabt?“
Er schüttelt den Kopf. „Und deine Freunde? Einer von ihnen?“ Er nickt.
„Welcher?“, zische ich drohend. Ich drehe ihn, so dass er sie sehen kann, wie
sie da stehen, in ihrem kleinen Haufen, geschützt, aber sie wollen auch nichts
verpassen. Er streckt vorsichtig den Finger aus und zeigt auf einen großen,
muskulösen Typen. Wohl der Anführer. Er sieht gut aus. „Danke, mein Lieber.“
Ich lecke ihm den Schweiß von der Schläfe und werfe ihn mit einem schnellen
Ruck meines Armes seinen armseligen Freunden entgegen. Sie werden durch die
Wucht an die gegenüberliegende Wand geschleudert, wo sie erst einmal liegen
bleiben. Er steht noch. Der Anführer. Er dreht sich um und will seinen kleinen
Untergebenen helfen. Doch bevor er nur einen Schritt geht, stehe ich schon vor
ihm und bohre ihm meine Zähne in seinen solariumbraunen Hals. Ich spüre, wie er
seine Augen aufreißt, ein letztes Mal. Als ich meinen Durst gestillt habe,
werfe ich seinen leblosen Körper in die bewegte Menge auf der Tanzfläche und schreie:
„Frischfleisch, Leute!“ Innerhalb von fünf Minuten sind von dem hübschen Jungen
nur noch einige Knochen übrig. So spielt das Leben, denke ich, während ich mich
wieder zu meinem Whiskey auf den Barhocker setze, und den Jungen zusehe, wie
sie verstört und heulend durch den Ausgang verschwinden. Gut das ich schon tot
bin. Die zweite Spritze.