Karl-Heinz Fricke

Derek, den sie Boto nannten - Ein letzter Nachruf

Unser Enkel Derek

Schon zu Beginn dieser Geschichte kann ich die Tränen kaum zurückhalten. Nachdem wir im Juni 1979 unseren Neubau bezogen hatten, wurde Derek am 6. Juni in Thompson, Manitoba geboren. Unser Sohn und unsere Schwiegertochter beschlossen daraufhin das unwirtliche Thompson zu verlassen und in das schöne Fruitvale überzusiedeln. Einige Wochen später trafen sie mit Baby Derek wohlbehalten bei uns ein und wir nahmen nicht nur sie, sondern auch ihr Umzugsgut für die nächsten 14 Monate auf. Sofort wurde der kleine Derek unser Liebling und ganz besonders meine Frau Hildegard war ihm sehr angetan.

Dereks Mutter drängte unseren Sohn für ihre eigene Heimstatt, und sie begannen auf der anderen Seite des Tales zu bauen. Es schmerzte uns sehr, nun auf die gewohnten täglichen Stunden auf den Kleinen verzichten zu müssen, aber Hildegard liess es sich nicht nehmen,sich regelmäßig zu Besuchen  einzustellen.

Derek entwickelte sich recht gut und wir erfreuten uns an seiner scheinbar guten Gesundheit. Sehr verträglich spielte er mit Gleichalterigen auf der Straße und wir erkannten seine sportlichen Möglichkeiten. Unser Sohn war zu der Zeit in der Eisarena unseres Ortes tätig, und mit fünf Jahren spielte Derek bereits in einer Mannschaft Eishockey. Sein Talent war unverkennbar und für die nächsten 10 Jahre war er sehr in diesem Sport engagiert und auch sehr erfolgreich. Für uns begann eine Zeit des Reisens, denn neben den Spielen in Fruitvale von denen wir keines ausliessen, führte es uns auch an viele Orte in unserer Provinz Britisch Kolumbien.Derek war überaus beliebt bei seinen Spielkameraden und er war mit Leib uns Seele dabei.

Ferner erwachte sein Interesse auch an der National Hockey League, und Diskussionen zwischen Derek, seinem Vater und mir fanden kein Ende. Jeder von uns war ein Fan von verschiedenen Teams und so wurden die Gespräche oftmals zu hitzigen Erwägungen über die Möglichkeiten einer jeden Mannschaft, bei denen natürlich wunschgemäß übertrieben wurde. Besonders während der Mahlzeiten wurde heftig argumentiert, was von den anderen Tischgenossen nicht unbedingt gern gehört wurde.

Im Jahre 1982 bekam Derek ein Schwesterchen, das Jayme genannt wurde. Dieses Kind war in fast jeglicher Hinsicht anders als Derek. Im Verlaufe der nächsten Jahre zeigte sie Ansätze von einer Zielstrebigkeit, an der es Derek sehr vermissen ließ. Er blieb aber trotzeiniger Mängel unser Liebling in jeder Beziehung, weil er ein liebenswertes Naturell besaß, was wiederum seiner Schwester fehlte. Auch diese beteiligte sich in späteren Jahren an der Kritik, die in Derek ein Minderwertigkeitgefühl auslöste.

In der Schule war Derek Mittelmaß und wir stellten alsbald fest, dass seine Interessen nicht gerade in gewünschter Weise seiner Ausbildung galten. Ich gab ihm oftmals zu verstehen,wie wichtig gerade in dieser Zeit eine gute Schulausbildung ist, um später im Leben auf den eigenen Füßen stehen zu können. Er nickte wohl immer in augenscheinlicher Zustimmung,aber dabei blieb es dann auch. Er vollfüllte jedoch seine 12 Schuljahre und ging 18-jährigin einen neuen Lebensabschnitt, der allerdings kaum Voraussetzungen für ein erfolgreiches Berufsleben versprach. Er begann hier und dort Gelegenheitsjobs anzunehmen, anstatt ernsthafte Überlegungen über sein zukünftiges Leben anzustellen. In seinem Elternhausewurde er deshalb besonders von seiner Mutter stetig kritisiert, was ihm in keiner Weise half. Auch das Hockeyspiel hatte er aufgegeben, und wir denken noch heute, dass er, falls er den Drang gehabt hätte, es zu einem Berufsspieler hätte bringen können.

Unsere Tochter hatte in Los Angeles geheiratet, und aus dieser Verbindung wurden ebenfalls ein Sohn und eine Tochter geboren. Wir hatten damit viel Großkinder, und ein jedes dieser Kinder war von grundverschiedenen Charakterzügen. Derek blieb jedoch unser liebster Enkel. Als wir kurz vor seinem Schulabschluß nach Los Angeles reisten nahmen wir den Jungen mit. Es war für ihn ein nachhaltiges Erlebnis, und als die Ehe unseres Sohnes nach 24 Jahren einen Abschuß fand, lehnte sich Derek an seinen Vater und Jayme an ihre Mutter an. Mutter und Tochter zogen in eine Mietswohnung, während Vater und Sohn weiterhin im Hause wohnten, das allerdings zum Verkauf ausgeschrieben und auch nach einiger Zeit verkauft wurde. Unser Sohn lebte einige Monate bei uns, während Derek zurück zur Mutter in die kleine Mietswohnung zog. Dieses war eine Leideszeit für, zumal Mutter und Tochter ihn stets drangsalierten. Wie ein Hund musste er unter der Treppe auf einer Schaummatratze schlafen.

Einige Zeit später beschloss unser Sohn auf Drängen unserer Tochter ihrem Dachdeckerbetrieb beizutreten und auch Derek kam gleich mit, um ebensfalls im Familienbetrieb mitzuwirken. Es war eine recht gute Zeit für alle in großer Harmonie. Später traten allerdings Probleme auf, die dieses Idyll zerstörten. Unsere Enkelin Jenniferlernte ihren späteren Mann kennen, und dessen Schwester Tiffany schien Interesse an Derek zu finden. Im Jahre 2003 gaben sich Derek und Tiffany in Las Vegas das Jawort. Derek hatte inzwischen zusammen mit unserem anderen Enkel Peter bei dessen Freund in einer Computer Firma zu arbeiten begonnen. Nach etwa zwei Jahren jedoch wurde Derek mehr oder weniger abgeschoben. Glücklicherweise hat Tiffany eine sehr gut bezahlte Stellung bei mehreren Rechsanwälten, während Derek eine andere Stellung in einer anderen Computer Firma fand, und sich in Kursen fortbildete. Es bestand allerdings ein sehr großer Unterschied, was die beiderseitigen Einkünfte betraf. Da Tiffany im teuren Los Angeles den viel größeren Teil ihrer Einkünfte erzielte, zog sie es vor ihrer Karriere den Vorzug zu geben, anstatt Kinder zu gebären.- So wurde ein kleiner Hund das Kind der Familie.

Am 12. Dezember 2006 geschah dann das große Unglück, dass in uns tiefste Trauer auslöste. Von der Arbeit kommend fuhr Derek mit größerer Geschwindigkeit auf eine erhöhte Ausfahrt zu, geriet aus der Kurve und stürzte mit seinem fast neuen Automobil sieben Meter auf eine Ansammlung größerer Felsstücke herunter und verstarb auf der Stelle. Er hatte gerade vorher noch mit seiner Frau mittels eines Handys telefoniert und als diese 20 Minuten später dieselbe Stelle passierte, sah sie das demolierte Auto und dachte, es könnte Derek’s Auto sein, und es war es. Vorläufige Untersuchungen deuteten auf einen Unfall hin mit Materialschaden am Auto nicht ausschließbar, allerdings konnten auch andere familiäre Gründe dazu geführt haben, welches allerdings nur eine Mutmaßung ist. Die Tasache bleibt bestehen, dass wir unseren Lieblings Enkel im Alter von siebenundzwanzig Jahren für immer verloren haben.

Karl-Heinz Fricke  03.02.2007

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