Silvia Pree

Der Prellbock

Hans räusperte sich.
Seine Lippen fühlten sich rau an.
Sie ist noch immer nicht da.
Ich habe sie heute wieder angerufen.
Schon zweimal.
Sie hebt nicht ab…
Hans nahm seinen ganzen Mut zusammen.
Glaubst du nicht, dass du zu weit gegangen bist?
Ich meine…
Sie konnte doch wirklich nichts dafür…
Willst du sie nicht anrufen?
Dich entschuldigen…?
Komm schon…
Dir fällt kein Stein aus der Krone!
Unwirsch blickte Klemens auf.
Brüsk.…
Er wollte seinem Geschäftspartner ein paar harte Worte sagen.
Aber er hielt inne.
Als er Hans ins Gesicht sah.
Dann schüttelte er den Kopf.
Blickte auf die Tastatur des Computers.
Nein.
Wozu auch?
Sie weiß genau.
Ich habe es nicht so gemeint.
Eine beleidigte Leberwurst ist sie!
Wenn sie gehen will…
Bitte.
Wir stellen jemand anderen ein!

Hans starrte Klemens ungläubig an.
Schnaubte verärgert.
Du verdammter Sturschädel!
Er drehte sich um.
Verließ das Büro.
Klemens fixierte seine Hände.
Er musste an Carola denken.
Mastermind hatte sie Hans einmal genannt.
Eine versierte Sekretärin.
Nicht mehr jung.
Aber sehr erfahren.
Und immer da, wenn man sie brauchte.
Auch am Wochenende…
Ja, Carola war eine tüchtige Kraft.
Engagiert und belastbar.
Ein echter Glücksfall.
Sie war ein paar Wochen zuvor erst gekündigt worden.
Wegrationalisiert.
Und hatte sofort anfangen können.
Mastermind.
Wie hatte ihr alter Chef nur auf Carola verzichten können!
Aber für ihn und Hans war sie unbezahlbar geworden.
Und sie profitierten beide von ihrer Routine.
Carola war ein Teil des Erfolges.
Der sich bald einstellte.
Ihre kleine Firma lief besser als erwartet…

Klemens griff nach dem Handy.
Wiegte es in der Hand.
Aber dann legte er es wieder auf die Seite.
Nein, er würde Carola nicht anrufen.
Welch eine Dummheit überhaupt daran zu denken!
Da ging es um’s Prinzip.
Wenn er sich nun wegen jeder Kleinigkeit entschuldigen musste…
Wo würde das hinführen?
Er legte das Handy wieder weg.
Energisch.
Außerdem…
Was sollte er sagen?
Dass er sich unmöglich benommen hatte?
Klemens erschrak bei seinem Gedanken.
Unmöglich?
So ein Unsinn!
Er war wütend gewesen.
Wegen des wichtigen Auftrags, den sie verloren hatten.
Hans wäre so etwas sicher nicht passiert.
Sicher nicht.
Hans war der Ruhigere von ihnen beiden.
Besonnen.
Das musste er, Klemens, Wohl oder Übel zugeben…
Er stand auf.
Holte sich ein Glas Wasser aus der Küche.
Verdammt!
Warum war Carola nur so empfindlich?

Klemens setzte sich wieder.
Barg sein Gesicht in seinen Händen.
Sah Carola vor seinem geistigen Auge.
Etwas unscheinbar.
Mit grauen Haaren.
Hörte ihre melodiöse Stimme.
Wir drei – wir sind ein gutes Team.
Und wisst ihr woran das liegt?
Wir sind Freunde!
Gleich darauf hatten sie angestoßen.
Alle drei.
Auf das erste gemeinsame Jahr.
Auf ein erfolgreiches Jahr!
Klemens schloss die Augen.
Vor zwei Tagen hatte ein wichtiger Kunde angerufen.
Und den Vertrag storniert.
Ein Konkurrent von euch ist billiger!
Sein lakonischer Kommentar.
Und er, Klemens, hatte sich den Mund fusselig geredet.
Beim Versuch, das alte Angebot noch zu drücken.
Aber der Kunde hatte seine Meinung nicht mehr geändert.
Auf einen Schlag einige Tausend Euro verloren.
Mit denen er und Hans schon fix gerechnet hatten…

Kurz darauf war Carola zurückgekommen.
Sie war auf der Post gewesen.
Klemens wusste nicht mehr genau, was in ihn gefahren war.
In jenem Moment.
Er hatte zu schreien begonnen.
Als Carola nicht gleich ans Telefon gegangen war.
Willst du uns endgültig ruinieren?
Was ist?
Ist dir alles egal?
Sollen wir zusperren?
Willst du das?
Er war auf sie zugelaufen.
Hatte ihre Hände gepackt.
Und sie geschüttelt.
In einem fort.
Klemens merkte erst später, dass er noch immer mit ihr schrie.
Wie von Sinnen.
Bis sich Carola losgerissen hatte.
Und aus dem Büro gerannt war.
Wie auf der Flucht…
Seither war sie nicht mehr wieder ins Büro gekommen…
Klemens starrte auf den Bildschirmschoner.
Sein Verhalten war indiskutabel gewesen.
Er wusste es selber.
Er hatte Carola zu seinem Prellbock gemacht.
Einfach so.
Weil sie gerade da gewesen war.
Und obwohl sie nichts dafür gekonnt hatte.
Freunde waren sie nun wohl nicht mehr…

Vivienne
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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