Ana Logie

Fröhliche Narrenzunft

Der Saal platzte förmlich auseinander. Die Büttenrede war urkomisch und der Büttenredner Karl-Heinz in Höchstform. Hier ein Schenkelklopfer, da ein Brüller, Karl-Heinz nahm alles auf’s Korn, was das vergangene Jahr kommunalpolitisch und lokal geliefert hatte, da blieb kein Auge trocken. Selbst die Schlägerei vom letzten Altstadtfest zwischen dem Ortsvorsitzenden der Schützengilde, Gilbert, und Rocky von den „Hell Angels“ - seines Zeichens Club für langhaarige Motorradfreaks mit hoher Affinität für Öl und Hochprozentiges – brachte er gekonnt in Reim und Vers ans und unter’s Volk: beim letzten Altstadtfest gab’s viel Gedränge / da wurde manchem ganz schön enge /  und trat man sich mal auf den Fuß / da gab’s gleich einen Veilchengruß. TaTAAAA taTAAAA, taTAAA…  

 
Die versammelte Lokalprominenz, angefangen beim Bürgermeister, der verkleidet als Napoleon erschienen war, bis zur Vorstandschaft des örtlichen Fußballclubs, gewandet als römische Feldherren in Togas aus Bettlaken und bestückt mit Lorbeerkränzen auf dem Kopf, durfte immer wieder ein Sprüchlein über sich ergehen lassen und das Fastnachtskomitee war wie jedes Jahr höchst zufrieden. Bier und Wein flossen in Strömen, nachher würde noch ordentlich geschunkelt werden, aber vorerst war Büttenredner Karl-Heinz der erste Garant für’s gelungene, fröhlich-närrische Beisammensein.  
 
Karl-Heinz, der schon seit vielen Jahren in die Bütt stieg, war im normalen Leben Ingenieur (Karl-Heinz Mayer, Dipl.-Ing. FH) bei einem der ortsansässigen Betriebe. Er war Mitglied mehrerer Vereine, ein Kind der Stadt, sehr Heimat verbunden und konnte sich gar nicht vorstellen, irgendwo anders auf der Welt glücklich zu sein als in der Provinzstadt, aus der er kam. Das hielt ihn freilich nicht davon ab, wenigstens einmal im Jahr, das städtische Leben gehörig durch den Kakao zu ziehen. Wenn einer das durfte, dann nämlich einer wie er. Und nicht etwa die zugezogenen Städter, die in der Provinz ihren Lebensabend zu erschwinglichen Immobilienpreisen und naturnah verbringen wollten, und periodisch die Provinzler in Leserbriefen im Regionalblatt auf Missstände ihres Provinzlebens hinwiesen. Da war sich Karl-Heinz stets mit dem Fastnachtskomitee einig. Was wussten die anderen denn schon Heimatverbundenheit und Mentalität, von wegen billige Immobilienpreise….Er würde in die Bütt steigen und zu seinen Vereinen gehen bis er tot umfiele, so viel war gewiss.   

Was Karl-Heinz an dem Abend als er aus der Bütt stieg und sich vom Fastnachtskomittee und der Narrenzunft mit Schulterklopfern und Lobessprüchen feiern ließ, nicht wusste, war, dass sein Betrieb, eben jenes ortsansässige Unternehmen, für das er nun bald schon dreißig Jahre tätig sein würde, vor zwei Tagen Insolvenz angemeldet hatte. I-N-S-O-L-V-E-N-Z, welch grässliches Wort für jedes Mittelstandsunternehmen, aber so war es nun mal, der Betrieb schrieb schon lange keine schwarzen Zahlen mehr und war in den letzen Monaten, wenn auch nicht mit Höchstgeschwindigkeit, aber wenigstens mit Tempo 120 km / h an die Wand gefahren worden. Für einen Totalschaden reichte das allemal und drei Wochen nach seiner glorreichen Büttenrede hatte Karl-Heinz die Kündigung auf dem Tisch, da war nichts mehr zu machen.  
 
Karl-Heinz erwischte es eiskalt: er, für einen Neuanfang zu alt und für die Rente zu jung, wusste erst mal mit sich und der Situation gar nichts anzufangen. Er war enttäuscht, verbittert, dass ihn die Unternehmensleitung so lange im Unklaren gelassen hatte und man sich auf den Aufprall überhaupt nicht hatte vorbereiten können. War er denn nicht verbunden und verwachsen gewesen mit dem Betrieb? Hätte man nicht rechtzeitig erkennen können, wo Not am Mann ist, was getan werden müsste? Hätte man nicht so was wie einen Krisenrat ins Leben rufen müssen? Diese Fragen stellte er nicht nur sich, er stellte sie auch der Betriebsleitung und bekam ein lapidares: das hätte das Ruder auch nicht rum reißen können zu hören. Und: na, dann haben sie jetzt viel Zeit sich um ihre „Büttenreden“ zu kümmern.  
 
Und genau das wollte Karl-Heinz. Sein Betrieb, der ihn so fallen ließ, der ihm die Tür zumachte und vor vollendete Tatsachen stellte, dem wollte er’s in der nächsten Bütt gehörig heimzahlen. Er fühlte sich hintergangen, abgeschoben. Der ganzen Welt wollte er’s mitteilen: dass nicht die Konjunktur Schuld war, sondern ein völliges Missmanagment, dass seinen Betrieb kaputt gemacht hatte. Dass man Leute wie ihn, die den Betrieb doch wie ihre eigene Westentasche kannten und ihn mit aufgebaut hatten, gar nicht zu Rate gezogen hatte um gemeinsam aus der Krise zu kommen. Dass die Oberen ja immer ihre Spielchen abkarteten und im Zweifelsfall auch noch Profit daraus schöpften. All das wollte er an der Fastnacht ins Stadtvolk posaunen, wie die Posaunen von Jericho sollte seine Wut erschallen.  
 
Zur Generalprobe für den Fastnachtsabend hatte sich im darauf folgenden Jahr eine Woche vor der Fastnacht das Komitee - wie jedes Jahr - in der Stadthalle eingefunden. Man wollte die letzten Details besprechen und das Abendprogramm im Schnelldurchlauf abhandeln. Karl-Heinz war dieses Jahr - wie jedes Jahr - gewappnet mit einer süffigen Büttenrede und in diesem Jahr lag ihm seine Botschaft besonders am Herzen. Er stieg in die Bütt, holte tief Luft und legte los: erst etwas Erschwingliches zum Einstieg, dann ein bisschen Kommunalpolitik und schließlich: sein Betrieb. Denn es war ja sein Betrieb gewesen, den man jämmerlich hatte verrecken lassen. Für den angeblich nichts mehr getan werden konnte. Von dem man ihn, der bald dreißig Jahre dort gearbeitet hätte, wie einen räudigen Hund gejagt hatte…Karl-Heinz redete sich in Rage und als er fertig war und sich - wie jedes Jahr - danach zum Fastnachtskomitee in den Saal setzte um sich für die gelungene Rede beglückwunschen und auf die Schulter klopfen zu lassen, musste er feststellen, dass seine Büttenrede in diesem Jahr nicht den erwarteten Effekt auf das Fastnachtskomitee hatte.
 
Beklommene Stimmung, betretene Gesichter, manche wichen ihm mit dem Blick aus und schließlich brach Erwin von der Soldatenkameradschaft e.V. das Schweigen:  
 
Karl-Heinz, die Rede kannst net halten.
 
Ja, warum denn net? Der Narr hält der Gesellschaft den Spiegel vor. 

Ja, aber da lacht doch kein Mensch.  

Meinst Du, es ist zum lachen, was mit meinem Betrieb und mit mir passiert ist?  
 
Karl-Heinz, wir verstehen dich schon, das ist ein hartes Schicksal. Aber die Leute wollen sich an der Fastnacht amüsieren, fröhlich sein, den Alltag hinter sich lassen. Bei deiner Rede schauen danach alle drein wie sauer Bier. Schreib sie bitte noch amoll um oder lass den Teil mit dem Betrieb raus. Aber so können wir dich net auf die Bühne stellen.
 
Nein, einen Scheissdreck tu ich,  ich schreib die Rede net um. Ein Jahr lang habe ich darauf gewartet, endlich des sagen zu dürfen, was gesagt werden muss, da werde ich jetzt keinen Rückzieher machen.
 
Karl-Heinz, des kannst einfach net bringen, des geht net, schaltete sich jetzt Christl vom Obst- und Gartenbauverein ein: die Leute werden sich recht bedanken und nachher sagen ob hier die Gewerkschaft oder die Linken ihre Finger im Spiel haben. Ich mein, Gesellschaftskritik ist ja schön und gut, aber des, was du da erzählst, des will doch niemand hören.  
 
Aber, Christl, des ist doch mein Leben, mein Schicksal.  
 
Trotzdem will des niemand hören, des ist eine Fastnachstveranstaltung, gell, und keine sozialistische Rumheulerei.
 
Aber Christl, darum geht`s doch gar net, es geht um Arbeitsmarktpolitik und soziale Gerechtigkeit, mit Sozialismus hat des doch nichts zu tun. Außerdem bin ich doch net der einzige im Ort, der seinen Arbeitsplatz verloren hat.  
 
Ich glaube, lieber Karl-Heinz, du überforderst einfach des Publikum mit deiner Rede. Und glaubst Du, Deine arbeitslosen Ex-Kollegen haben an der Fastnacht Lust und Muse sich zu amüsieren?! DIE sind bestimmt net da.  
 
Erwin von der Soldatenkameradschaft e.V. wollte das unappetitliche Thema schnell vom Tisch haben:   Karl-Heinz, sag mer amoll, vielleicht ist es besser, Du hälst in dem Jahr mal keine Büttenrede, muss ja auch net jedes Jahr sein. Die Christl würde mit ihrer Schwägerin ersatzweise als „Daggy und Traudl“ in die Bütt steigen. Du bist aber natürlich herzlich eingeladen, trotzdem zu kommen. So, und jetzt gehen wir bitte zum nächsten Programmpunkt, ich hab net ewig Zeit.
 
Also fiel in diesem Jahr die Büttenrede von Karl-Heinz aus, das erste Mal seit nun bald dreißig Jahren. Das, was Karl-Heinz lange für unvorstellbar gehalten hatte, wurde wahr und war nicht mehr aus der Welt zu schaffen.  
 
Gelacht, gebrüllt und Schenkel geklopft wurde in diesem Jahr an der Fastnacht aber doch, nämlich mit „Daggy und Traudl“. Und - wie jedes Jahr - , war es genau das, was die Leute hören wollten. Nicht mehr und nicht weniger.          

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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