Barby Kaluza

Ein besonderes Weihnachtsfest

Weihnachten war dieses Jahr schön. Eigentlich sollte es ja jedes Jahr etwas besonderes werden. Aber das ist nun mal nicht so einfach. Und wenn Weihnachten jedes Jahr etwas besonders wäre, dann würde es ja auch automatisch seinen Reiz verlieren, oder nicht? Jedenfalls sollte es diesmal ein wirklich schönes Weihnachtsfest werden. Unsere Kinder waren gerade in dem Alter, wo man ihnen die Freude in den Augen ansah. Sie kennen doch sicher das Leuchten in den Kinderaugen, wenn sie ihre neueste Eisenbahn, von denen sie sicher schon mehr als genug haben, auspacken. Das allein sollte es doch schon wert sein, eine neue Eisenbahn zu kaufen, auf dass sie am Tag nach Heiligabend schon wieder unbenutzt und kaputt in der Ecke liegt. Aber man will ja nicht meckern, ne? Also immer schön lächeln, auch wenn einen die Familie mal zum Wahnsinn treibt.
Unser jüngster war gerade fünf Jahre alt geworden, und wir hatten seine neue Eisenbahn schon im November gekauft, als ich mit meinem Mann eigentlich eine neue Möbelgarnitur aussuchen wollte. Aber es war mir von vorneherein schon klar, dass für mich diesmal nichts abfallen würde. Schließlich ist das Leuchten in den Kinderaugen doch viel wichtiger. Anstatt der neuen Möbel kauften wir also diese Eisenbahn, und ich will nicht behaupten, dass wir da viel billiger weggekommen sind. Naja, ein wenig vielleicht.
Unser ältester Sohn war schon 12 Jahre alt, und er würde endlich seinen eigenen Computer bekommen. Schließlich war Vaters Büro kein Dauerspielplatz, da waren wir uns alle einig. Meinem Mann schenkte ich nichts. Das hatten wir so abgemacht. Und das war auch immer ganz praktisch, so brauchte ich ihm nichts zu kaufen. Ich wusste aber ganz genau, dass er mir trotzdem etwas schenkte. Schließlich war ich seine Frau und er wollte mich überraschen. Ich habe schon Wochen vor Weihnachten in seiner Brieftasche gestöbert, und nach einem Wochenende Anfang Dezember, da fehlte doch glatt ein recht ansehnlicher Weihnachtsbetrag darin. Und er konnte mir, oh Wunder, nicht sagen, wo er das Geld gelassen hatte. Sehr auffällig, aber ich habe mir natürlich nichts anmerken lassen. Schließlich bin ich eine gute und zufriedene Ehefrau. Und wenn man meinen Mann fragte, dann würde er sicher auch nichts anders behaupten. Welcher Mann, der seine Ehefrau nicht als besonders lieb und zufrieden empfand, würde ihr ein solches Geschenk machen? Und der Preis ließ schon auf einen besonders schönen Schmuckanhänger hinweisen...
Ich hatte gerade die Gans in den Backofen geschoben, als mein Mann mit den Jungs raus zum Schneemann bauen ist. Das machten sie jedes Jahr, wenn Schnee lag. Sonst natürlich nicht. Aber dieses Jahr lag besonders viel, was natürlich für unseren Plan ein besonders schönes Weihnachten vorzubereiten sehr hilfreich war. Der Hund war auch dabei. Und immer wieder hörte ich meine Männer fluchen, weil der Hund ihre bereits gerollten Schneekugeln wieder klein hackte, und darauf herumsprang. Für mich war es nur von Nutzen, so waren sie alle schön lange beschäftigt und ich konnte in Ruhe die Klöße zubereiten. Und ungestört auch die ganzen Anrufe entgegennehmen, die im Laufe des Nachmittags immer häufiger wurden. Erst waren es nur meine Eltern, dann die Schwiegermutter, die ich gerade noch davon abhalten konnte, vorbei zu kommen um mir bei der Gans zu helfen. Ich war schon immer der Meinung, dass ein Kochbuch eine Schwiegermutter sehr gut ersetzen könnte. Aber das kann man ihr natürlich nicht so sagen. Und weil ich ja nicht nur eine gute Ehefrau, sondern auch noch eine gute Schwiegertochter bin, habe ich Mutter gleich zum Kaffeetrinken am zweiten Feiertag eingeladen. Vielleicht würde es bis dahin noch etwas mehr schneien, dann mussten wir natürlich mit den Kindern rodeln gehen. Irgendetwas würde mir bis dahin schon einfallen, und alle wären zufrieden. Mein Mann hatte ja auch noch Geschwister, und nur weil die nicht so eine gute Ehefrau hatten konnte ich ja nicht immer für alle Schwiegermütter der Welt verantwortlich sein. Als ich gerade eine kleine Pause einlegte und mir eine Zigarette ansteckte, da rief noch ein alter Schulfreund an. Ich hatte ihn schon lange vergessen, doch wie immer dachte er an mich. Sofort sprang ich wieder auf, hechelte etwas ins Telfon, schrie die Gans an und legte dann wieder gestresst den Hörer auf die Gabel. An Heiligabend hat man nämlich nicht immer genügend Zeit für seine Freunde. Und ich ließ mich wieder auf meinen Küchenstuhl fallen, um meine Zigarette noch zu Ende zu rauchen. Zeit war genug, und dem Backofen konnte ich nicht weiter helfen, nur abwarten.
Und dann kam wie aus heiterem Himmel der Schreck. Ich hatte etwas sehr wichtiges vergessen. Oh mein Gott, wie konnte ich bei einem so wichtigen Weihnachtsfest, was wirklich perfekt werden sollte nur das Wichtigste vergessen? Der Schreck saß mir noch in den Gliedern, als der Beste Ehemann der Welt zur Tür herein kam und sich die Schuhe anklopfte.
"Liebling, der Tannenbaum....", weiter kam ich nicht, denn die Luft blieb mir aus.
Mein Mann legte die Arme um mich und versuchte mich zu beruhigen. Ich erkannte sofort, dass ihm der Ernst der Lage nicht so klar war.
"Was ist denn mit dem Baum?", fragte er seelenruhig, während meine Nervosität noch mehr anstieg.
"Wir haben keinen, keinen Baum, ein Weihnachten ohne Baum, da hilft uns auch keine tolle Eisenbahn und kein Computer mehr. Wie sollen wir jetzt noch an einen Baum kommen?", und meine Stimme begann zu zittern.
"Ich denke, du..."
"Ja, das hatte ich auch vor, es tut mir so leid, bitte, du musst einen Baum finden." Er war nun meine Letzte Hoffnung, sonst würde das schönste Weihnachtsfest der Nation zu einer Katastrophe werden, dass konnte ich nicht verantworten. Und nachdem mein Mann eine Weile nachgedacht hatte, da war er schon wieder zur Tür hinaus verschwunden, rannte an den Kindern vorbei, die immer noch an dem Schneemann arbeiteten und sprang in sein Auto.
Und als ich so in der Küche saß und die Gans beobachtete, da kam mir der Gedanke, dass es vielleicht ein gar nicht so schlechter Schachzug war. Mein Mann war sicher in der Lage auch jetzt noch einen wunderschönen Baum zu bekommen. Und so hatte ich mir die Arbeit, die ich eigentlich schon am Wochenende mir vorgenommen hatte, auch gespart. Schlau muss die Frau sein, dann frisst der Mann einem aus der Hand. Und ich ließ mich wieder, etwas beruhigter, auf meinem Stuhl nieder und rauchte noch eine Zigarette. Eigentlich rauchte ich nie besonders viel, aber wenn man in einem solchen Stress ist, dann kann man doch auch das entschuldigen. Ich holte mir eine Tasse Kaffee, und beobachtete meine Kinder im Garten. Der Schneemann war noch nicht sonderlich gewachsen, aber allzu viel Schnee lag ja auch nicht. Ich war nur froh, dass mich niemand draußen forderte und ich hier in Ruhe meiner Kocherei nachgehen konnte. Die Weihnachtsteller waren schon fertig und ich hörte, wie die Kirchenglocken zu läuten begannen.
Das würde ein schönes Weihnachtsfest werden, und meine Kinder werden sich sicher auch über die Geschenke freuen. Und wie ich mich erst mal über das Geschenk freuen werde, was mein Mann gekauft hat. Der kleine Anhänger, oder der Ring, oder was auch immer es sein mag. Ich wusste es ja nicht, aber dem Preis nach zu urteilen war es schon nicht billig gewesen.
Mein Mann kam wenig später auch schon wieder zurück, drückte mir einen Kuss auf die Wange und sagte, dass alles in Ordnung sei. Der Weihnachtsbaum steht schon draußen und wartet nun endlich darauf, geschmückt zu werden. Das war doch eine schöne Aufgabe für meine Männer, und schon waren sie alle dabei, den Baum in den Ständer zu stellen und zu schmücken. Schön war der Baum wirklich nicht, aber was soll’s. Schließlich kann man in letzter Minute nichts mehr erwarten. Die kahlen Äste wurden vollgehangen, so dass es nicht mehr auffiel. Und die schiefe Spitze, an der unser Stern nicht halten wollte, löste mein Mann ganz einfach mit der Gartenschere. Ich stand so vor dem mehr oder weniger prächtigen Weihnachtsbaum, als aus der Küche ein merkwürdiger Geruch stieg und ich beschloss die Gans endlich aus dem Backofen zu nehmen. Brauner ging es nun wirklich nicht mehr.
Den angebrannten Geschmack haben sich zum Glück alle verkniffen, niemand sagte ein Wort. Ein Glück, denn sonst wäre es sicher nicht so ein unvergesslich schönes Weihnachtsfest geworden. Und das konnte es ja nun doch wieder werden, der Baum stand geschmückt im Wohnzimmer und die Gans lag auf dem Teller. Ich lächelte, und meine Männer lächelten zurück. Ich war schließlich die gute Seele in diesem Haus, das waren die Mütter doch immer. Also auch ich.
Die Kerzen waren schon angezündet, als wir uns um den Baum setzten. Schön war er wirklich nicht, auch nicht so sonderlich groß, aber das ist alles relativ. Und wir wollten sowieso nicht das heilige Fest an Materialien wie einem Baum festmachen. Ich war mir sicher, auch die Kinder würden es verstehen.
„Der ist ja voll ätzend, der Baum“, bemerkte der Jüngste. Doch die Taktik einer Mutter ist nicht zu übertreffen, und schnell reichte ich ihm sein Päckchen, dass er sofort auszupacken begann. Die Eisenbahn, ich wusste doch, dass er sich nichts mehr wünschte als das. Ich lächelte schon mal vorher, denn die Erwartung an strahlende Kinderaugen lässt doch jedes Mutterherz höher schlagen. Und aus dem Lachen kam ich nicht mehr raus, stolz sah ich zu meinem Liebsten hinüber, der noch etwas skeptisch war. Und auf einmal wurde ich aus meinem stolzen Traum gerissen.
„Aaaaahhh, das ist genau die Falsche“, und wütend schmiss der Kleine sein Geschenk zu Boden. Mit Tränen in den Augen lief er aus dem Zimmer. Ich sah meinen Mann mit großen Augen an, war schon dabei aufzustehen, aber er wies mich an sitzen zu bleiben. Und er weiß es schließlich besser. Jetzt blieb nur noch die Hoffnung, das der Computer richtig war, aber da konnte man schließlich nicht so viel falsch machen wie bei einer Eisenbahn. Davon war ich fest überzeigt, auch wenn ich nicht so sonderlich viel Ahnung von den Dingern hatte. Aber der Blick meines Mannes verriet mir Zuversicht und voller Elan packte auch der zweite Sohn sein Geschenk aus. Das war natürlich etwas größer (was auch daran lag, dass die Eisenbahn wohl falsch war, ich hatte ja keine Ahnung wie groß die richtige sein sollte). Ich lächelte meinen Mann an, er hatte ihn schließlich ausgesucht. Und schon gab es auch ein Lächeln auf dem Gesicht meines Ältesten. Er war sichtlich erfreut und verlangte gleich, dass man den Computer in seinem Zimmer aufstellte und seine neuesten Spiele installierte. Natürlich war es nur ein Rechner zum spielen, ich hatte auch gar nicht erwartet, dass mein Sohn damit ernsthaft arbeiten würde. Und ich freute mich auf die ruhigen Nachmittage, wenn er an seinem Computer saß und beschäftigt war. Wir lächelten uns noch einmal alle an, vergaßen das Missgeschick mit der Eisenbahn und feierten unser Fest zu zweit fröhlich weiter, denn mein Ältester hatte sich schon allein mit dem Rechner auf die Socken gemacht. Jetzt konnte es endlich zu einem Fest der Liebe werden.
Mein Mann schenkte noch den Kaffee nach, der etwas zu stark geworden war, und ich suchte unverbissen nach dem Geschenk, dass meines Erachtens mein Mann für mich gekauft haben musste. Ich hätte wirklich ein Geschenk Verdient, schließlich spielte ich den ganzen Tag Hausfrau und Mutter, und das jeden Tag im Jahr. Ich war eine liebende Ehefrau und eigentlich auch immer schwer in Ordnung gewesen. Mir viel jedenfalls kein Grund ein, warum mein Mann mir nicht hätte dankbar sein sollen. Doch mein Mann saß nur seelenruhig da und trank voller Genus seinen Kaffee. Wahrscheinlich wollte er nur den richtigen Augenblick abwarten.
So ging es noch zwei Stunden lang. Wir sprachen nur das nötigste Miteinander, doch das ist zu Weihnachten immer so. Da hat man mal Pause, schließlich wird das ganze Jahr über viel zu viel geredet. Und wer immer redet, der streitet schließlich auch viel, Weihnachten ist nun mal das Fest der Stille. Und wir genossen es sichtlich. Als die Kerzen langsam abbrannten, und die Weihnachts-CD schon zum dritten mal durchgelaufen war, da stand mein Mann plötzlich auf. Erwartungsvoll sah ich ihn an. Jetzt würde er sicher den Ring hervor holen, oder aus seiner Tasche eine kleine Schachtel ziehen, oder er würde erst mal zu mir kommen und mir seine Liebe gestehen, die nun schon seit so vielen Jahren anhält. Doch er kam nicht zu mir. Er stand auf, ging zur Tür, und wünschte mir noch kurz eine „Gute Nacht“, bevor er verschwand und ich hörte, wie die Schlafzimmertür von innen zugemacht wurde.
Nun gut, dann war es eben kein Geschenk gewesen. So brauchte es ja auch nicht sein. Enttäuscht war ich nicht, es war ein schönes Weihnachtsfest. Und als ich so allein vor dem Baum saß und mir die Lichter ansah, da dachte ich, dass es dieses Jahr doch wirklich fast perfekt geworden war.
Was will man mehr?



Barby K. Weihnachten 2000

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.08.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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