Susanne Wetzel

Rock me Amadeus

Ich habe mich wirklich darauf gefreut. Mozart's Zauberflöte im Staatstheater Saarbrücken. Ich bin ein Fan von Mozart.
Also kaufte ich mir eine Karte. Ziemlich weit vorne, 8. Reihe und mit 40,50€ nicht gerade billig, aber es war für Mozart...
Doch die Vorzeichen waren schon so, dass ich darauf hätte hören sollen. Der Wettergott wollte verhindern, dass ich hingehe. Er scheute weder Kosten noch Mühe. Es war der Tag der großen Orkane in Deutschland, der 18. Januar 2007. Zum ersten Mal in der Geschichte war sogar die Bundesbahn Deutschland weit stillgelegt. Die Nachrichten warnten davor, die Häuser zu verlassen. Aber ich hatte eine 40,50€-Karte, nichts konnte mich davon abhalten, ins Theater zu gehen.
Im Foyer für Parkett I, die teuren Plätze, sah ich sie schon, die mit Sicherheit beiden größten Männer aus Saarbrücken, sie saßen selbstverständlich 2 Reihen vor mir.
Das Theater konnte beginnen.
Ein wohl wichtiger Herr, den ich nicht kannte, trat auf die Bühne und verkündete, dass das schlechte Wetter auch am Theater nicht spurlos vorbeigegangen sei, viele Besucher hätten abgesagt und die Königin der Nacht sei erkältet, die Zuschauer mögen doch bitte verzeihen, wenn der ein oder andere Ton nicht so gut getroffen würde.
Na klasse, eine 40,50€-Karte und die Königin der Nacht hat die Freck.
Dann die Ouvertüre. Links neben mir waren 3 Plätze frei und ein Herr, der zu spät kam, setzte sich neben mich. Ich schaute rüber und dachte: „Der ähnelt meinem Vater, Frisur, Brille und Konfirmationsanzug aus den 50iger Jahren.“
„Das Orchester spielt Mozart“, sagte ich mir, „beschäftige dich nicht mit dem Publikum, höre zu.“.
3 kleine Mozartkopien erschienen im Saal und schauten sich suchend um. Einer der Mozartjungen zeigte in meine Richtung, ein Lichtkegel fiel auf mich und der kleine Mozart zeigte mit dem Finger an, ich solle zum ihm kommen.
Nein, ich wollte nicht auf die Bühne, ich hasse Gesellschaftsspiele. Aber es stellte sich schnell als Verwechslung heraus, er meinte den 50iger Jahre Herrn neben mir, der dann auf die Bühne kletterte und hinter dem Vorhang verschwand.

Die Ouvertüre ging dem Ende entgegen. Der Vorhang öffnete sich, der 50iger Jahre Herr hing unterhalb der Bühnendecke, von einer Riesenschlange umwickelt, und begann zu singen.
Gut, dass ich mir den Inhalt der Oper ein paar Tage zuvor wieder einverleibt hatte. Es war also der liebe Tamino, der da da an der Decke hing, im Konfirmationsanzug und 50iger Jahre Brille und mit einer Stimme, die kaum bei mir in der Reihe 8 zu hören war, mit dem Singen begann.
Die Handlung ging weiter, gut dass ich mit Inhalt und Text vorbereitet war. Verstehen konnte ich nicht viel.
Hinter mir saß jemand mit schlechten Nerven, jedenfalls hämmerte dauernd ein Fuß an meine Rückenlehne. Ich drehte mich um und hielt den Fuß der Dame fest. Sie verstand das ohne dass ich laut werden musste.

Auf der Bühne befreiten die 3 Knaben und die 3 Vogelhexen Tamino aus der Riesenschlange, sie umringten ihn und zogen ihn aus. Nun stand er in Boxershorts, T-Shirt, Socken und Halbschuhen - nicht zu vergessen die 50iger Jahre Brille - auf der Bühne. Ich hatte Angst, dass er jetzt auch noch seine „Zauberflöte“ zum Vorschein bringt.
Dann erschien Papageno auf der Bühne. Zu erkennen war er an der Panflöte und dem wohl bekannten Flötenspiel. Auch er im 50iger Jahre Konfirmationsanzug, nur der war aus Cord, damals hieß das noch „Manchester“ erinnerte ich mich. Auch er sang mit einem etwas dünnen Stimmchen, selbst für mich in Reihe 8 nicht so sehr gut zu hören.
„Na, ja“, dachte ich, „für 40,50€ wird doch noch einer auf die Bühne kommen, der etwas lauter singen kann.
Die Szenenwechsel waren krass und unzusammenhängend. Die Bühnenbilder etwas einfallslos, sachlich, kahl und Tamino sang und spielte weiterhin in Unterhemd und T-Shirt.
„Ich bin in der Oper“, sagte ich mir dauernd, sonst hätte ich es vergessen.
Es fanden sich dann doch noch einige Darsteller mit Stimmen, die zu verstehen waren. Pamina, der Chor, und trotz Erkältung auch die Königin der Nacht.

Die hatte auch Erbarmen mit mir und ließ von einigen Dienerinnen Tamino endlich mit einem Anzug bekleiden. Der war zwar aus hässlichstem lila Stoff, aber immer noch besser als die Unterwäsche. Dabei trällerte sie ihr hahahahahahahahahahahaaaa, hahahahahahahahahahahaaaaaa.

Applaus, Applaus und ab ins Foyer in die Pause.
Da ich alleine war und somit niemanden unterhalten musste, konnte ich den Gesprächen der anderen zuhören.
Die Begeisterung des Publikums hielt sich in Grenzen. Erleichtert stellte ich fest, dass ich nicht die unwissende Opernanfängerin war und alleine mit meiner etwas distanzierten Einstellung zu der Aufführung dastand.

Zweiter Teil.
Die Darsteller spielten ihre Rollen mit theatralischem Einsatz, fanden aber trotzdem nicht so den echten Kontakt zum Publikum. Mit erheblicher Leibesfülle und umso weniger Stimmgewaltigkeit plätscherte die Unterhaltung dahin. Ab und an schloss ich die Augen und lauschte der Musik.
„Für 40,50€ hätte ich einige Mozart CDs kaufen können“, dachte ich bei mir.

Auf der Bühne wurde das Schloss von Sarastro durch ein Baugerüst dargestellt. Sein Lied: In diesen heil'gen Hallen kennt man die Rache nicht... kam bei mir wie eine Entschuldigung für das Bühnenbild an. Tamino lag im lila Konfirmationsanzug auf der einen Seite der Bühne, Papageno im Manchesteranzug auf der anderen Seite. Vor ihm stand ein Kasten Urpils und er grillte Würstchen auf einem Schwenker.
Papagena erschien als Putzfrau im Hilde Becker Stil.

Die wenigen Textpassagen wurden in Saarländisch gesprochen. Normalerweise ein netter Geck das alles, aber ich wollte eine klassische Oper sehen und kein Theaterstück von Heinz Becker. Irgendwie entglitt mir die Stimmung, die mich auf Flügeln der Vorfreude ins Theater getragen hatte.

Dann erschienen noch 3 Ballettratten im rosa Tütü. Sie wirkten etwas unbeholfen, nicht wie Profitänzerinnen. Eine davon mindestens 1,80m groß und nicht so ganz schlank. Ich stellte mir vor, wie ein armer Tanzpartner die wohl beim Paartanz hoch heben, umfallen und dann platt unter ihr zu liegen käme.
„Oper im Staatstheater Saarbrücken“, dachte ich mir, „und dafür habe ich 40,50€ bezahlt.
Die beiden längsten Männer des Saarlandes 2 Reihen vor mir wurden immer länger. Ich wollte nicht nur Hinterköpfe sehe – für 40,50€ - und setzte mich 2 Plätze weiter nach links.

Dann rettete Tamino Pamina. Papageno und Papagena trällerten ihren ach so berühmtes Kinderwunsch - papapapa...pa pa pa...- mit nicht allzu überzeugenden Stimmen. Papagena entledigte sich ihrer Hilde-Becker-Kittelschürze und stand nun auch im rosa Tütü auf der Bühne. Die Königin der Nacht gab ihren erkälteten Senf dazu und die 3 Knaben fuhren in rot-weiß geringelten Hemden auf roten Fahrrädern auf der Bühne rum.
Spätestens jetzt war ich froh, dass ich kein Abendkleid angezogen hatte.

Dann irgendwie lagen sich alle in Harmonie in dem Armen und sangen, vorne die Hauptdarsteller und im Hintergrund der Chor, ganz im 50iger Jahre Look angezogen. Der Chor stieg die Stufen von der Bühne herab stellte sich neben den Sitzreihen im Publikum auf und sang weiter. Wie Opernsänger es so machen, rissen sie dabei den Mund sehr weit auf. Es erinnerte mich an Vögelchen im Nest, die gefüttert werden wollen.
Vorhang, Applaus, Applaus, mir taten die Hände weh. Gedränge am Ausgang, ab in den Sturm und Regen.
Auf dem Weg nach Hause dachte ich nur: „Gut, dass Mozart das nicht mehr erleben musste“.
Susanne Wetzel

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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