Der Priester nickte. "Im letzten Monat
war es eins, das passiert schon Mal, nur Gott weiß warum! Aber mit diesem hier
ist die Zahl in diesem Monat auf fünf gestiegen! Was nicht mehr normal
ist!"
"Kann ich mir das Kind mal ansehen?"
fragte der Holländer. Der Priester nickte, verabschiedete sich von den
weinenden Eltern und führte den Blonden in die Kirche. Ich folgte ihnen.
Neben dem Altar war ein Sag aufgebahrt, ein
kleiner, weißer Kindersarg. In ihm lag die Leiche eines blassen Säuglings.
Wenige Wochen alt. Die Haut sah durchsichtig aus, man sah alle blauen Äderchen
und das Gesicht war seltsam entstellt. "Habt Ihr so etwas schon gesehen Mr
Stoker?"
Ich schüttelte den Kopf, dabei hatte ich nicht
einmal mit bekommen, dass der Blonde mich auf englisch angesprochen hatte.
Er hob den kleinen Leichnam aus dem Sarg und
untersuchte ihn sorgfältig.
Was ist das?" ich zeigte auf einen
kleinen roten Punkt am Nacken des Kindes.
"Interessant!" Er
schaute sich den kleinen Punkt mehrere Minuten an, legte die Leiche dann wieder
in ihre letzte Ruhestätte und zog ein Fischmesser aus seiner Gürteltasche.
"Van Hälsing, was haben Sie
vor?" der Priester hielt ihm entsetzt die Hand fest.
"Bleiben sie ruhig Vater! Ich weiß was
ich tue!" er setzte die Klinge auf
die kleine Brust des Kindes. Der Geistliche gestikulierte wild mit den Händen
und war wieder ins Spanische verfallen, um seiner Missgunst Ausdruck zu
verleihen. Van Hälsing schien dies nicht sehr zu interessieren und er schnitt einfache in das Fleisch.
"Nichts! Wie ich erwartet hatte, kein
Blut!" triumphierte er.
"Was hat das zu
bedeuten?" fragte ich verwundert.
"Vampire!" er war sehr
aufgeregt und lief um den Sarg herum.
"Das ist wissenschaftlich
unmöglich!" entfuhr es mir, der Priester bekreuzigte sich.
"Junger Mann, " ,
begann er ruhig, "in Gottes Welt, gibt es mehr zwischen Himmel und Erde,
als sich das Ihre stupide Wissenschaft vorstellen kann!"
"Sie sind ein Mann Gottes,
aber Vampire?"
Er ließ die Frage unbeantwortet im Raum stehen
und wandte sich wieder dem Holländer zu. Der untersuchte noch eine weile den
Kadaver des Kindes. Riss den Schnitt, den sein Messer verursacht hatte weiter
auf und schaute sich die Innereien an. "Nichts! Gar kein Blut mehr!"
Euphorisch schleuderte er seine Arme über seinen blonden Schopf. "Heuerika!"
Ich saß am Strand.
Der Holländer und der Priester waren den
ganzen Tag zusammen und schmiedeten Pläne für die bevorstehende Vampirjagd. Ich
verstand nicht, wie ein gebildeter und ein geistlicher Mann einen solchen
Humbug glauben konnten? Ich, der ich mich als Philosoph verstand, (Auch wenn
ich noch recht jung war!) glaubte es nicht!
Vampire, Werwolfe und Ghoule
waren Hirngespitzte der menschlichen Phantasie entsprungen und nicht reales.
Die Hölle existierte nicht und auch der Himmel war nicht nachweisbar.
Ich saß also am Strand und schaute in den
Himmel, der sich langsam für die Nacht verdunkelte. Die Hitze des Tages verging
und es wehte mir eine frische Briese entgegen. Meine Füße gruben sich in den
warmen Sand ein und ein sanftes Frösteln schlich meinen Rücken hinab. Es war
ein Gefühl, als ob sanfte Fingernägel meinen Rücken streichelten. –Fingernägel!
Es waren Fingernägel!
"Hallo Bram."
Flüsterte sie mir ins Ohr.
Ihre Finger glitten meine Hals, meinen Rücken herunter, dann schlugen sie
den Weg zu meiner Brust ein und kamen
schließlich auf meinen Lippen zur Ruhe. Ich schaute zu ihr auf und sah
sie in einem schwarzen Neglige neben mir stehen. Ihre wunderschönen Beine waren
sanft gebeugt und ich sah, dass sie das
passende Höschen darunter trug. Keine Frau in England, die ich kannte (Und
glauben Sie mir ich habe in meinem Leben viele Frauen getroffen, auch frivole!),
würde sich so auf die Straße trauen, nicht einmal nachts!
Die Sonne würde vom Meer empfangen.
Der Mond stellte sich ihr entgegen.
Er wusste immer dass sie gehen musste, denn wenn ihr Geliebter kam musste sie
von dannen ziehen. Sie hatten nie viel Zeit gemeinsam, höchstens wenn sie sich
einmal in vielen Jahren paarten und die Welt in eine kurze Sonnenfinsternis
tauchten. Sie brauchten sich, doch waren immer auf der Flucht vor einander.
Sie, die Engelsgleiche, hielt eine kleine,
orientalische Wasserpfeife in den
Händen. Blauweißer Rauch stieg aus ihr empor, sie nahm einen tiefen Zug.
"Möchtest du auch?"
"Was ist denn drin?" wollte ich
wissen.
"Opium!" sie reichte
mir das kleine, gläserne Etwas.
Ich zog an der kleinen Öffnung. Heute weiß
ich, dass sich kein Opium in dem Glas befand, doch damals war ich noch sehr
unerfahren.
Ich hatte den nassheißen Rauch noch nicht ganz
in meinen Lungen gespürt, fühlte ich mich auch schon so, als würde ein Riese meinen Körper mit einem
gewaltigen Reißen vom Strand ins offene
Meer ziehen. – Als würde meine Seele in eine andere Dimension befordert und das
sekundenschnell!
Alles um mich herum verschwand in einem Schleier aus blaurosa Seide. Ich sah
nur ihr Gesicht. Das so himmlisch war, sie war die Himmlische! Sie war
Angelika, die vom Himmel fiel.
Ihr Gesicht waberte vor meinen Augen. Ihre
Brandblasen platzten auf und schwarze Schlangen krochen aus ihnen heraus,
Schlangen die Gift versprühten. Dennoch war sie immer wunderschön!
Ich musste an den Holländer und den Priester
denken, die mit ihrer Vampirjagd nie solche Schönheit erleben durften.