Larissa Lamadé

Die Suche nach der Unsterblichkeit

Wenn es etwas gab, was die Menschen jener Zeit hassten, so war es das Alter und der Tod, und sie taten alles um ihnen zu entfliehen.

Das Reich der Toten, der Ort zu dem man die verstorbenen Menschen brachte, lag entfernt von allem Leben, denn sie stießen den Tod von sich wie einen blutgierigen Zeck.

Ewige Dunkelheit und ein schwerer Nebel umschloss diesen verfluchten Ort, die Sonne verweigerte jeden Lichtstrahl und bedrückende Stille herrschte immerzu, denn die Tiere waren längst entflohen.

Und doch wagte es ein junger Schönling seine Heimat zu verlassen und dieses Reich zu betreten, denn er suchte Antworten, die ihm kein Lebender geben konnte.

Es fror ihm als er die kalte Erde betrat und seine Lungen schienen sich mit Eiskristallen zu füllen als er den ersten Atemzug in sich aufnahm.

Am liebsten hätte er sich wieder umgedreht, wäre in sein selbstverliebtes Leben zurück gerannt und hätte alles vergessen, doch er vermochte es nicht, denn die Frage ob seine Mutter noch lebte oder längst tot war, würde nur hier ihr Ende finden.

Stunde um Stunde suchten seine verweinten Augen nach einem Grabstein, einem Anzeichen ob sein Leben Wahrheit oder Lüge war, aber er begriff schnell, dass er so viel suchen konnte wie er wollte, in diesem Leben würde er es nicht schaffen, auch nur jeden Grabstein zu lesen. Schluchzend sank er zu Boden, ließ die Verzweiflung über sich herrschen, aber plötzlich hielt er inne. Er hatte einen Luftzug gespürt, er war nicht alleine, aber wie konnte das sein?

„Sei gegrüßt, Jüngling. Es ist schon viele Jahre her, dass jemand länger als nötig blieb und deine Tränen waren es, die mich riefen.“ hauchte eine Stimme.

„Wer seid ihr und was tut ihr hier? Ich... ich hatte niemanden hier erwartet.“ stotterte er.

„Mein Name ist Diara, ich bin die Wächterin der Toten und bewahre diesen Ort, du suchst den Namen deiner Mutter, aber du wirst ihn hier nicht finden, denn sie weilt noch unter den Lebenden.“ entgegnete sie.

„Ich bin Tristan... Aber ich verstehe nicht, woher wisst ihr das und warum überhaupt so was wie Wächterin. Ich habe noch niemals davon gehört, kein Lebender würde es wagen bei den Toten zu bleiben... Ich... Ach.“ antwortete er und begann wieder zu schluchzen.

„Weine nicht, denn sie können es fühlen, jene die es nicht vermochten uns zu verlassen, und sie werden traurig. Ich werde dir alles erklären, aber nur wenn du nicht mehr weinst.

Die Menschen verabscheuen den Tod, sie behandeln ihre Toten mit Ekel und Verachtung, schaffen sie in Massen hier her und würden sie, wenn es nicht gegen ihr Gesetz wäre, alle in Massengräbern verscharren.

Darum gibt es mich, ich bin die Einzige, die ihnen Respekt zollt, die Einzige, die diese ruhelosen Seelen tröstet, die Einzige, die sie erhört...“ flüsterte sie.

Er hatte aufgehört zu weinen, lauschte betört ihren Worten und versuchte, das was sie sagte zu verstehen.

„Das klingt so fremd... Du bist doch noch so jung, du hast die 20 kaum überschritten und vergeudest dein Leben an irgendwelche Toten, die du nicht kennst. Dein Gesicht zeugt von einer unverbrauchten Schönheit, du hast dein ganzes Leben noch vor dir. Du könntest so viel tun, noch so viel erreichen.“ Antwortete er verständnislos.

Diara begann zu schmunzeln, es war ihr als würde nicht dieser Jüngling, sondern die ganze Gesellschaft zu ihr sprechen.

„Ich werde dir meine Geschichte erzählen, dann wirst du verstehen. Vor vielen Jahren, dachte ich genau wie du, die Jugend war meine Droge und meine Angst vor dem Alter und vor dem Tod war noch stärker als bei den anderen Menschen. Ich war ruhelos, in jeder Nacht verfolgten mich Alpträume vom Tode, im Spiegel sah ich mich altern... Diese Angst peinigte mich und trieb mich an diesen Ort, denn ich hörte einst die Legende der Unsterblichkeit, von der es hieß, dass man sie nur im Reich der Toten finden würde.

Ich fand sie, doch meine Blindheit trieb mich dazu einen Preis zu zahlen, der so hoch war, dass nichts es jemals wieder würde ersetzen können.

Man gab mir die Unsterblichkeit, ich blieb auf ewig jung und schön, doch erst im Laufe der Jahre sollte ich erkennen wie töricht ich war.

Ich wurde die Wächterin der Toten, es war mir auf ewig verboten ihr Reich zu verlassen und ich durfte die Menschen, die ich liebte, niemals wieder sehen.

Nun... doch, ich sah sie wieder... Als sie verstorben waren und in ihr Reich eingingen, einer nach dem anderen bis keiner mehr übrig blieb.

So zogen die Jahre ins Land, mein Gesicht blieb auf ewig das Gleiche, ebenso mein Körper, doch meine Seele nicht. Sie begann zu altern, begann zu verstehen und zu begreifen, aber sie wurde einsam, sehnsüchtig und sehr traurig.

Niemand besuchte mich jemals, ich aß oder trank niemals, ich schlief niemals, ich vermochte es nicht mal mehr zu träumen und das über 300 Jahre lang.

Der Preis ist so hoch... ich würde ihn niemals wieder zahlen, lieber würde ich unendliche Tode sterben als auf ewig dazu verdammt zu sein zu leben, doch ich kann nicht mehr zurück.

Mein größter Wunsch wurde mein schlimmster Alptraum, auch wenn ich unendlich viel Weisheit angesammelt habe, auch wenn ich alle Namen der Toten kenne, so sehne ich mich selbst nach dem Tode, nach dem lang ersehnten Frieden...“ erzählte sie gefühlvoll.

Tristan suchte ihren Blick und verlor sich in den Weiten ihrer traurigen Augen, er konnte sehen, dass jedes Wort, das sie sprach, die reine Wahrheit war und er spürte etwas, was er noch niemals empfunden hatte... Mitleid.

„Ich bleibe hier, ich bleibe bei dir, sodass du nicht mehr einsam sein musst. Wenigstens diesen Wunsch will ich dir erfüllen.“ flüsterte er voller Mitgefühl und lächelte leicht.

„Das geht nicht, Tristan. Du gehörst nicht hierher, du bist ein Lebender und selbst wenn, auch du würdest altern und sterben, ich wäre dann wieder alleine und womöglich wäre meine Sehnsucht dann nur noch größer. Es tut mir leid.“ antwortete sie sein Lächeln erwidernd.

„Was kann ich nur tun? Gibt es denn keine Möglichkeit, dass du keine Wächterin mehr sein musst und wieder leben kannst?“ fragte er hoffnungsvoll.

„Nun, es gibt eine Möglichkeit. Jemand muss meinen Platz als Wächter einnehmen, dann verliere ich meine Unsterblichkeit und darf in das Reich der Toten eingehen. Ich bedauere unendlich mein Leben aufgegeben zu haben, ich habe so viele Dinge niemals erlebt, habe so vieles einfach aufgegeben... Ach, ich kann so was niemals von jemand anders verlangen, ich werde wohl auf ewig wachen.“ hauchte sie traurig.

„Ich tue es! Ich werde deinen Platz einnehmen!“ rief Tristan plötzlich mit größter Überzeugung.

„Ich... bitte... ich kann so etwas nicht von dir verlangen.“ entgegnete sie betroffen.

„Mein Leben war eine einzige Lüge, ich würde nie wieder leben wollen, ich könnte es nicht mehr. Vielleicht ist es die einzige Chance, die ich habe um das Angesicht meiner Mutter ein letztes Mal sehen zu können und dich verlangt es nach dem Leben, ich würde dir so gerne das meine schenken, bitte nimm es an, denn auch wenn du stirbst, so lebst du doch für einen einzigen Augenblick.“ sagte er mit großer Entschlossenheit und nahm sie fest in seine Arme.

„Dann nehme ich dein Geschenk an, doch nicht ohne dir mein Wissen auf den Weg zu geben. Du wirst so lange der Wächter bleiben, bis ein anderer sich für dich opfern wird und dir das Leben und somit den Tod schenkt. Du musst die Ehre der Toten bewahren, du musst sie schützen, sie erhören, sie trösten. Wenn du der Wächter bist, wirst du alles verstehen.

Ich wünschte wir hätten uns unter anderen Umständen kennen gelernt, aber das Schicksal wollte es wohl anders. Ich werde dir nun den Wächterkuss geben. Lebe wohl, Lebender.“ hauchte sie voll Ehrfurcht.

„Ich werde dich ehren, Diara... Ich werde dich ehren.“ flüsterte er voller Respekt.

Ihre Hände schlossen sich um seine Wangen, ihre Lippen berührten die seinen und er empfing den Wächterkuss.

Es war ihm als würde man ihm alles Leben aussaugen, aber die entstehende Leere wurde augenblicklich gefüllt von einem Wissen, einem Verstehen, dass so schwer wog, wie es das Leben kaum vermochte.

Diara sank in seinen Armen zusammen, ein Lächeln umspielte ihre Lippen und hauchten ein letztes „Danke“. Er erwiderte ihr Lächeln und blickte ein letztes Mal in ihre wissenden Augen. Im nächsten Augenblick löste sich ihr Körper in Nichts auf, als hätte sie nie existiert.

Er lächelte. Der neue Wächter war geboren...

 

 

 

 

 

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