Barbara Teske

Ganz normal


Eigentlich ist heute ein ganz gewöhnlicher Tag, so wie jeder andere Dienstag auch. Dienstage sind ohnehin eher positiv zu bewerten, denn wenn es Dienstag ist, ist der Montag bereits vorbei. Alleine diese Feststellung reicht, dem Tag gelassen entgegen zu blicken. Nur heute nicht. Irgendwie ist alles anders.
 
 
Dabei begann alles ganz normal. Gewaltsam riss mich der Wecker aus meiner Traumwelt. Erbarmungslos drang der Ton in mein Bewusstsein. Die weißen Bergspitzen verschwanden und der Alltag hatte mich wieder. Noch schlaftrunken und mechanisch schaltete ich die Kaffeemaschine ein. Die Tour durchs Bad wies keine Besonderheiten auf. Eben alles ganz normal. Der Kaffee war etwas dünn geraten. Der Blick in die Zeitung vermittelte mir auch, dass alles ganz normal ist. Flutkatastrophe in New Orleans, Berichte zur Bundestagswahl, die keiner glauben kann, Stellenabbau bei Volkswagen, Spritpreise bleiben hoch, Gaslieferanten erwägen Preiserhöhung. Somit keine besonderen Vorkommnisse. Alles beim Alten, wie seit Wochen.
 
 
 
Und doch – irgendetwas war anders.
 
 
 
Haare kämmen, Schuhe anziehen, Tasche nehmen – Abläufe, an die ich keinen Gedanken verschwende. Der Griff zum Schlüssel und schon stand ich an der Haustür.
 
 
 
Das Rot umwob mich wie ein Netz. Gefangen in der Mystik des Augenblicks durchlebte ich eine ganze Palette von Gefühlen. Christkinds Großbäckerei oder brennende Erde – ich konnte mich nicht entscheiden. Das Spektrum reichte von rot-orange bis rot-violett. Um mich herum war es völlig still. Kein Luftzug, kein Vogelgezwitscher, nur das Rot und ich. Meine Hirnzellen schlugen Purzelbaum – war das nun der Anfang oder das Ende?
 
 
 
Unsanft meldete sich mein Verstand. Es ist ein Sonnenaufgang. Los, Du musst zur Arbeit!
 
Im Auto drehte ich das Radio an. „Einen schönen guten Morgen, hier ist das Hit-Radio Vest, ihr Frühstückssender“ , trällerte der Moderator. Hätten sie das Programm von gestern abgespielt, hätte es niemand bemerkt. Es ist jeden Tag das selbe. Ich dachte, dass die Moderatoren recht wach sein müssen. Bei dieser Gleichförmigkeit können auch sie sich schnell mal im Tag vertun. Ich stellte mir vor, der Moderator sagt: Einen schönen Montagmorgen... und es ist schon Dienstag. Ich musste grinsen.
 
 
 
Das Rot begleitete mich auf meiner Fahrt zur Arbeit. Mit zunehmender Uhrzeit wurde der Farbton immer greller. Ich hatte den Weg über die Dörfer genommen und fuhr Richtung Westen. Durch die Heckscheibe spürte ich deutlich die wärmenden Strahlen. Die merkwürdige Lichtstimmung versetzte mich in eine Art Euphorie. Gedankenversunken summte ich eine der Platten aus dem Radio mit. Huch, die Ampel ist doch rot. Wie unecht wirkt dieses Ampelrot gegenüber dem Himmelsrot.
 
 
 
Im Büro angekommen ist alles, wie es immer ist. Der Schreibtisch ist bepackt, das Telefon klingelt, immer und immer wieder. Der Zauber ist vorbei – und eigentlich ist heute ein ganz gewöhnlicher Tag.
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Barbara Teske).
Der Beitrag wurde von Barbara Teske auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Barbara Teske als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Repuestos: Kolonie der Verschleppten von Marianne Reuther



Die letzte Unterrichtsstunde war zu Ende, das Wochenende stand bevor. Studienrat Edmund Konrad strebte frohgemut auf seinen blauen Polo zu. Hinterm Scheibenwischer steckte der Werbeflyer eines Brautausstatters, und indem er das Blatt entfernte, fiel ihm beim Anblick des Models im weißen Schleier siedend heiß ein, daß sich heute sein Hochzeitstag zum fünften Mal wiederholte.
Gerade noch rechtzeitig. Auf dem Nachhauseweg suchte er in einem Blumenladen für Lydiadie fünf schönsten Rosen aus und wurde, ehe er sich versah, durch eine Falltür in die Tiefe katapultiert ...

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Wahre Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Barbara Teske

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Der verschwundene Himmel von Barbara Teske (Wahre Geschichten)
Zwei Mann in einem Bett von Rainer Tiemann (Wahre Geschichten)
Doch das Leben geht weiter von Christin Müller (Trauriges / Verzweiflung)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen