Thomas Siegele

Die Tigerin v2

Keiner fragt mich je nach meinem Namen und meinem Dienstgrad. Ich bin den Leuten egal. So lebe ich in dem kleinen Häuschen am Fluss, und niemand kreuzt auf. Man lässt mich in Ruhe. Bin den Leuten wohl zu komisch. Wenn mich jemand fragen würde, könnte ich sagen: Tom Brown, 15. Einheit. 64 bis 68 in 'Nam gedient als Sanitäter und ich könnte ihnen aus meinem Tagebuch, das ich damals geschrieben habe, vorlesen: 

28. August 1964
Bin mit meiner Truppe unter Second Lieutenant Rosenbaum heute in Vietnam im Militärlager in Saigon angekommen. Ich mache diese Aufzeichnungen, falls mir etwas zustoßen sollte, denn davon ist auszugehen, was ich so von den verletzten Heimgekehrten im Militärkrankenhaus gehört habe, um meinen lieben Hinterbliebenen zu sagen, was wirklich geschah.
Es wurden uns bereits Guerillakämpfe wenige Kilometer jenseits der provisorischen Grenze zwischen Nord- und Südvietnam gemeldet.
Ich bin mir sicher, morgen werden wir bereits das erste Mal gegen die Vietkong kämpfen.

29. August 1964
Vorhersage eingetroffen, heute vor Tagesanbruch fuhren unsere Konvois über die Grenze. Die Kameraden, die uns zu Hilfe gerufen hatten, sahen arg mitgenommen aus und haben über die Hälfte ihrer Mannschaftsstärke verloren. Sie mussten sich vor den Vietkong in einem Bunker verstecken. Ich habe von einem der Überlebenden gehört, dass sie so flink sind wie die Wiesel. Sie kommen blitzartig und verschwinden auch genauso schnell wieder. Während meine Sanitäterkollegen und ich die Verwundeten verarzteten, bauten die GIs eine Basis auf.
Wir waren uns sicher, dass sie wieder kommen würden.

30. August – 30. September 1964
Es gießt in Strömen, schon tagelang. Ständig werden wir von den Guerillakriegern attackiert, und die Toten werden immer mehr.

30. September
Nachtrag. Vor einer Stunde beerdigten wir den Sohn von Second Lieutenant Rosenbaum. Er ist am Ende. Wir wissen nicht wie lange wir die Stellung noch halten können.

24. November 1964
Keine Zeit, meine Aufzeichnungen weiter zu schreiben. Hier ist wirklich er Teufel los, wenn doch endlich die Truppe 13 kommen würde. Wir haben schon tagelang nichts mehr von ihnen gehört.
Ich wünschte dieser Krieg wäre endlich vorbei und ich könnte wieder nach Hause. Oh, wie ich meine Lieben vermisse!

25. November 1964
Heute war es so weit, unsere Basis wurde von den Vietkong überrannt. Wir irren schon den ganzen Tag durch den Dschungel, ohne Wasser, ohne Nahrung.

06. Dezember 1964
Nun sind wir nur mehr 14 Mann, alle anderen sind gestorben, oder wurden durch Guerillaangriffe getötet. Gestern hatten wir Glück, wir fanden ein kleines Dorf und plünderten es, nun mussten wir wenigstens keinen Hunger mehr leiden.

01. Jänner 1965
Wir haben uns hoffnungslos im Dschungel verrannt. Als wir heute Morgen aufwachten, erkannten wir, dass unsere Vorräte weg waren.
Second Lieutenant Rosenbaum begann durchzudrehen und sprach von einer Tigerin, die uns den Proviant gestohlen hatte, um ihre Jungen zu füttern.
Also gingen wir nun jeden Tag, um diese gefährliche Tigerin zu finden und zu töten. Ich war mir nie sicher, ob es tatsächlich Tiger in Vietnam gab, oder ob nicht doch eher einer unserer Leute desertiert war, samt dem Proviant. Aber ich befolgte die Befehle unseres Second Lieutenant, genauso wie alle anderen Truppenmitglieder, schließlich ist das ja der Kodex jedes Soldaten – Gehorsamkeit.
Er wurde immer verrückter und wir mussten mit ihm tagelang durch den Dschungel irren, ohne eine Pause. Leute, die sich weigerten, wurde mit dem Umbringen gedroht.
Eines Tages flüsterte Rosenbaum – wir waren inzwischen nur mehr sechs Mann –, dass sie da vorne läge, wir sollten aber vorsichtig sein, da sie ihre Jungen bewachen würde und sie sehr gefährlich wäre. Wir lagen mit schussbereiten MGs im Gebüsch. Rosenbaum und Morrison schlichen davon. Sie ließen sich Zeit. Unendlich viel Zeit, schien es mir. Mein Magen knurrte, ein dicker Bach Schweiß floss mir übers Gesicht. Dann hörten wir es. Wir alle. Ich wusste, dass Rosenbaum und Morrisson ihre Messer gezogen hatten. S ie fielen über die Tigerin her, diese Bestie, die unser Fleisch gefressen hatte. S ie schlugen ihre K lingen in den L eib des Untiers, und wir hörten den Todesschrei der Kreatur. I ch glaubte, einen Menschen schreien zu hören, doch bald schon war es vorüber, und Rosenbaum tauchte zwischen den Büschen auf. "S ie ist tot", sagte er und deutete mit dem Daumen über seine Schulter. "F resst sie, Jungs. Fresst sie!" W ir taten es, blind vor G ier und Hunger. W ir rissen ihr die Haut ab und fielen über den Leichnam her. E rst später, mit blutverschmierten Mündern, rief jemand: " Wo sind die J ungen der Tigerin?". "H ab’ keine gesehen", versetzte Morrison. Rosenbaum knurrte nur, zufrieden, satt.

Nun bin ich 58 Jahre alt, unter meinen damaligen Kollegen ein angesehener Mann, da ich sie oft genug wieder zusammengeflickt hatte, und habe fast jede Nacht immer denselben Albtraum, von unserer Tigerjagd.
Und ich komme immer wieder ins Überlegen, nachdem ich schweißgebadet aufwache. Gibt es Tiger in Vietnam? – Wenn nicht, wen oder was haben wir vor 42 Jahren getötet?

Hallo Leute,

Das ist nun die 2. Version meiner zweiten Geschichte hier auf e-stories. Viel Spass beim Lesen

Bitte hinterlasst mir ein Kommentar. Jeder will schliessliche wissen, wie seine Geschichte ankommt.

Thomas
Thomas Siegele, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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