Guido Ahner

Knotenpunkt

Cletus Uricola hatte einen sehr kleinen und abgelegenen Tisch gewählt. Lediglich eine kleine Kerze erhellte sein Gesicht.

"Rohschnitt: Gigaflur. Opzutrop. Schengokokka. Hirmbunomen. Wadizute. Klicfedas."

Er schraubte den Deckel seiner Kaffeekanne ab und goß nach. Seine Sekretärin hatte ihn zu stark gezuckert, aber das ließ sein Gemüt wie eine Ballerina tanzen.

"Lokgrumaenen. Kermfalnin. Insenki. Wib, Wib."

 

Eine kleine Achtzehnjährige versuchte, den Antwortbrief auf eine Chiffre-Anzeige zu formulieren. Sie suchte verzweifelt irgendeine kleine Einzimmerwohnung und hatte eine Tasche mit einer fünfstelligen Summe zwischen den Waden klemmen. Ihr Anteil.

"Ich bin technische Zeichnerin, und mein Nettoeinkommen beträgt-"

"Ich bin Studentin, und das Bafögamt-"

"Um ehrlich zu sein, ich bin Prosti-"

"Mein Bruttoeinkommen als Mitarbeiterin eines großen Autohauses-"

"Ich kann Ihnen 5.000 im Voraus-"

Lügen war nicht das Problem. Anni hatte einfach keine Erfahrungen darin, Glaubwürdigkeit einzuschätzen. Bei Tim hatte sie gelernt, daß Dreistigkeit oft zum Sieg führte.

"Cool Leute! Habt ihr 'Killing Zoe' gesehen? Ha, das ist nichts gegen-"

 

"Endgültiges Schnarren verbrauchter Seelen, vertilgt von den Straßen meiner Stadt. Ein Fick zwischen Fenstern, ein Brot zwischen den Beinen, ein Gruß zwischen zwei Hunden. Rubens' Mutterhure klettert über den Kühlschrank, und er ejakuliert schlechte Milch auf einen Boden voller schwarzer Kakerlaken, die ferngesteuert einen Judenstern formieren. Ich steche in die Haut des Jungen, und es zischt. Zungen bauen einen Stuhl, auf dem ich meine Angst Platz zu nehmen bitte. Sie läßt sich lecken, und sie schmeckt. Eine Nacht wie schwarze Kotze. Ein Schlüsselloch im Himmel, durch das sich ein langer, staubiger Klebestreifen windet und mit einem platten Geräusch das Land zu küssen beginnt. Nur ich allein kann mich auf der Erde halten."

 

"Bist du wirklich der Meinung, daß du schön bist?

"Tja."

"Du bist nicht schön. Nicht. Schön. Also was erwartest du?"

"Ich erwarte von irgendjemandem Mut und eine gesunde Subjektivität. Es ist sicher, daß auch ich Schönheit besitze - oh Gott, was rede ich da..."

"Keine Angst, ich weiß was du meinst. Aber es wird nicht funktionieren. Wir müssen es anders formulieren."

"Okay, fangen wir nochmal an bei 'Hi Kids'."

 

Der Kaffee wurde langsam kalt. Cletus Uricola bestellte einen Espresso.

"Ewipen. Nadotrai. Plohern."

Ich mache mir keine Sorgen mehr über mein Auskommen, dachte Uricola erneut zuversichtlich. Er war dabei, die Eroberung der Welt vorzubereiten.

"Verwukti. Jikresan. Mernen. O-"

O. Olu. Olufeng- Olufengta.

"Olufengta. Dwit."

Wow, dachte Uricola, Dwit war gut. Sehr gut. Nein, mehr noch: geil.

 

"Liebe Mama, ich gehe morgen ins Kino. Es läuft ein Film, den ich dir nicht erzählen kann. Solche Filme gibt's halt. Du kennst mich. Danach werde ich wohl wieder nach hause gehen. Mein größter Wunsch ist und bleibt ein Fahrrad, und das weißt du. Denk daran, wenn ich in vier Tagen Geburtstag habe. Übrigens finde ich Amerika toll. Es besteht aus 50 Staaten und hat mal diese, mal jene Regierung, so wie andere Länder auch, aber viel besser. Es hat Wüste und Gebirge, es gibt dort sehr große Städte mit vielen Gangstern und auch viele kleine Dörfer. Die Autobahnen sind sehr lang da drüben. Ich glaube man darf da nur hundert fahren, aber eigentlich ist es schon in Ordnung. Ist ja ein schönes Land, und nicht umsonst. Dort sind alle Menschen hingegangen, die Zuhause keinen Platz mehr hatten. Amerika wird bald alt, aber es bleibt immer neu, egal wie alt es wird. Das ist super."

 

"Deine langweiligen Fotzenbedürfnisse zählen hier nicht. Ich gehe mal davon aus, daß es dir ernst ist, sonst wärst du wohl kaum so weit gegangen. Aber wenn es jetzt zu dieser Art von Liberalität kommt, dann kannst du nicht mehr mit unserer Solidarität rechnen, dann bleibst du als kleine liberale Fotze alleine auf der Straße." Andreas geriet in einen Zustand der Frustration. Er sehnte sich nach dem Knast zurück. Trotz allem. Er drehte sich einen neue Zigarette und dachte über Ulrike nach. Häßlich war das Ulrike geworden, dieses Krempeltierchen der Bourgeoisie. Ein Wackelpeter im Stahlwerk, eine Lügnerin wie Mary Astor im 'Malteser Falken' - mal Hü, mal Hü Hü, und mal Hotte Hotte Hü. Fotze, typische. Gudrun preßte ihr Knie an Andreas' Schenkel und raunte:

"Zeigs ihr, Baby."

 

"Gehen Sie bitte durch den Service-Bereich und notieren Sie jeden, der hier sein eigenes Getränk mitgebracht hat. Dann kommen Sie zu mir und ich sehe mir das durch."

Herr Plenk machte die Runde. Es dauerte eine halbe Stunde, dann kam er zurück und sagte:

"Bis auf den Herrn am Tisch neun haben alle keine Getränke mitgebracht. Scheint kein Skandal zu werden."

"Überlassen Sie mir die Interpretationen, Plenk. Gehen Sie in die Küche. Dort braucht man Sie, hoffentlich", sagte Uricola und vertiefte sich wieder in seine Arbeit.

Herr Plenk ging in die Küche und sah nur einen langen, grauhaarigen Dackel, der bibbernd neben dem offenen Gefrierschrank angebunden war.

"Na du Gurkendieb? Was machst du denn hier so alleine?"

Plenk machte den Hund los und kraulte ihn durch.

Nach einer halben Minute kamen die Köche von ihrem Basketballspiel im Hinterhof zurück, und Bruno sagte:

"Lassen Sie die Finger von Uricolas Dackel, oder Ihr Klavier braucht bald keine Tasten mehr!"

"Sehr originell" verbeugte sich Plenk, "ich verstehe."

"Gar nichts verstehst du, Prolet" sagte Karre, ein rothaariger ehemaliger Ire. Plenk war überzeugt, daß Iren die häßlichsten Menschen der Welt waren.

Ein Koch und eine Köchin schnallten sich ihre Schürzen ab und sangen:

"Wir gehen nach oben und wollen nicht gestört werden."

Keine Reaktion.

Der Betrieb nahm seinen Lauf.

 

Plötzlich begab sich ein Fremdkörper in die Küche.

"Bitte verlassen Sie die Küche!"

"Nee, mir doch egal."

"Was wollen Sie denn hier!"

"Gar nichts."

"Und warum sind Sie dann hier?! Paßt Ihnen was nicht?"

"Nichts paßt mir. Alles scheiße."

"Ja und? Was nun?"

"Nun was?"

"Haben Sie irgendwas zu sagen, vorzuschlagen?"

"Ich werde mich hü- Wieso ich?"

"Na, Ihnen paßt doch irgendwas nicht, oder? Habe ich Sie falsch verstanden?"

"Keine Ahnung, was Sie verstehen. Ist doch egal."

"Egal? Verdammt, ich bin der Chefkoch hier. Geht es Ihnen gut?"

"Nein."

"Ja, und nun?"

"Nichts nun."

Ein Hilfskoch mischte sich ein:

"Lassen Sie ihn, Bruno. Der will doch bloß seine Wunden füttern."

"Wie meinen Sie das, Hilfskoch?!"

"Er meint nichts, es ist egal", sagte der Eindringling.

"Ich habe jetzt genug von den Verzögerungen. Fleisch wird aus dem toten Leib herausgeschnitten, verpackt, vertransportiert, verausgepackt, verwürzt, verbraten und verzehrt."

"Ich möchte nicht stören" sagte der Eindringling mit viel Spucke, "aber ich finde es zum Kotzen."

Höhnisches Gelächter. Der Eindringling verließ weinend die Küche durch die Hintertür. Er sah eine schmale Gasse und dachte: Howdy, Realität.

 

"Makug. Blobo. Tercduk."

In Uricolas Geist schlich sich eine romantische Konzentrationsschwäche ein. Er malte sich die Zukunft aus. Alle würden ihn lieben. Worte sind Drogen. Aber sie brauchen Raum. Eine Kellnerin trat eine Terz zu plump an seinen Tisch:

"Möchten Sie wirklich nichts essen?"

"Ich möchte nur in Ruhe gelassen werden, wenn's Ihnen nichts ausmacht."

Ein höflicher Satz an sich, wenn da Uricolas Augen nicht wären, die blutunterlaufen wie rote Gewichte unter den zusammengewachsenen Brauen hingen. Und dazu der Ton, dieses leise Rasseln hinter dem sonoren Bariton, mit einem leichten Hüpfer ins Kastratenhafte alle drei Worte.

 

"Mit der Knarre...", flüsterte Andreas.

Gudrun drehte sich eine Zigarette und fixierte Ulrike, die den Tränen nahe war. Jan blätterte in einem Militärmagazin.

"Mit der Knarre...", wiederholte Andreas. Er hatte beim Reden soviel in seinen Haaren herumgedreht, daß sie nun an seinen Stirnecken wie Hörner emporragten. Es herrschte eine ungastliche Stille, und der Tisch fühlte sich unwohl in diesem bitteren Umzingeltsein. Ob seine Beine laufen konnten? Nein, dachte der Tisch, meine Beine sind und bleiben starr.

"Aus der Starre" sagte Andreas mit unerwarteter Freude. Die Anderen schauten ihn an. "Was?", fragte Jan.

"Mit der Knarre aus der Starre."

"Yeah, Baby", lobte Gudrun.

"Ich bezweifle, ob mir das gefallen könnte."

"Halt die Fresse, Ulrike."

 

Anni hatte sich entscheiden können. Sie bezirzte mittlerweile einen pflichtbewußten Autor, der ausschließlich Wasser mit Zitrone trank.

"Gedungen schreitet der intelligente Nacktaffe durch das Tal, als eine Gruppe Zugvögel das Zielscheißen beginnt."

Dem Autor fiel auf, wie hübsch und räudig dieses Mädchen aussah und dachte darüber nach, ob er es in seinen Text einbauen sollte. Auf jeden Fall jetzt noch nicht. Man wollte ja nicht so wirken, als würde man als Künstler das H-Wort benutzen.

"Ich habe kein Zuhause. Wenn ich bei Ihnen schlafen kann, mache ich alles was Sie wollen."

Der Autor unterdrückte ein hysterisches Grinsen, und in seinem tiefsten Innern wußte er, daß dies genau das war, was er sich immer gewünscht hatte. Eine Hörige. Dagegen waren Leser nur Peanuts. Nach ein paar taktisch zaudernden Worten akzeptierte er, und die neue Zweckgemeinschaft verließ das Etablissement. Im selben Moment erschien eine attraktive Geschäftsfrau auf der Bildfläche und setzte sich an die Bar. Sie holte einen Laptop aus ihrer Tasche und begann eifrig zu tippen, und sie achtete penibel darauf, daß ihr niemand über die Schulter blickte.

Plenk kam herbei:

"Guten Tag. Etwas zu trinken?"

"Gerne", sagte die Frau ohne aufzusehen. "Bringen Sie mir eine 'Tahiti Lady'."

Plenk starrte die Frau einige strenge Sekunden lang an und entfernte sich wieder. 

 

"Liebe Olga, willst du mit mir ins Kino gehen?

Ja

Vielleicht

Weiß nicht"

 

"Tolhalla. Gerwzufa. Jirfe."

Der Dackel hatte sich zu seinem Herrchen gesellt. Uricola boxte ihm kameradschaftlich auf den Kopf:

"Du weiß ja, was man über Dackel sagt: sie halten sich die Menschen, und nicht umgekehrt."

Uricola zündete sich eine Havanna an. Dann klingelte sein Handy.

"Hallo Bruder. Was ich tue? Ich schreibe. Ja, bereits 347. Steht die, äh, Logistik?"

Uricola hörte zu, sagte einen Abschiedsgruß und schaltete das Gerät ab.

 

"Also nochmal von vorn: Hi Kids, ich bin der Zello, und ich bin in jeder Hinsicht ein Phänomen. Ich bin Brigadegeneral und Vampirjäger, Geschichtenerzähler und Mann des Vertrauens. Bei mir seid ihr in guten Händen. Seid unbesorgt, und ihr werdet sehen, daß es sich lohnt ... Scheiße, ich fand die erste Version immer noch die beste. Das hier ist doch fade und ohne Pep."

"Du kannst die ganze Sache sowieso in die Tonne schmeißen. Du bist einfach unansehnlich."

"Karl, es reicht mir langsam. Ich lasse mich nicht mehr beleidigen. Außerdem ist häßlich sexy."

"Wer hat dir denn das eingeredet?"

"Haben se im Fernsehen gesagt. Da gab es eine Statistik, die-"

Karl ging dem Warzenschwein an die Gurgel:

"Du wagst es, in meiner Gegenwart über das Fernsehen zu reden? Ich sollte dich sofort schlachten."

Karl ließ wieder los.

"Ich bin nicht häßlich", sagte das Schwein. "Ich kann diese Arbeit erledigen. Wir brauchen nur einen besseren Text. Ohne Lügen."

 

Die Geschäftsfrau an der Bar bekam ihren Drink, ging an den Anfang der Datei und las Korrekur:

"Beweise für ein Komplott der Regierung zur Vertuschung ihrer Kenntnis über die Existenz von außerirdischem Leben. Von Hanna Blatsky.

Alles begann in einer Pariser Metro-Station..."

In Hannas Magengegend rumorte es. Wieder das alte Problem. Sie mußte an letzte Nacht denken. Es war gut gewesen, mal wieder ohne Hilfsmittel Liebe zu machen.

"...und aufgrund der Untersuchungsergebnisse von P.Lambert, nach denen die Mondlandungsaufnahmen diesen raumbegrenzenden Effekt aufweisen (Zeichnung an Stellen zu finden ist, wo keine sein dürfte), gelangte die UWI-Gruppe zu der Ansicht, daß alle bildlichen Aufzeichnungen von den Mondreisen in den Londoner Pinewood-Studios entstanden sind..."

Hanna hielt sich den Bauch so unauffällig wie möglich. Sie wollte kein Aufsehen erregen, aber das Stechen wurde so stark, daß sie fast keine Luft mehr bekam. Als ob ein Stachelschwein in ihrem Bauch Tango tanzte. Als sie es nicht mehr aushalten konnte, hetzte sie in den Waschraum und versuchte, sich zu übergeben. Uricola winkte Plenk zu sich her und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Hanna kniete über der Schüssel. Es kam nichts. Mittlerweile wuchs in ihrem leicht paranoiden Hirn die Idee, daß sie langsam vergiftet wurde. Vielleicht war es Patrick. "Auch du, mein Mann..." Wie Ingrid Bergman in 'Notorious'. Ein guter Tod, wenn es stimmte.

 

Bruno belegte ein Baguette mit Salami und Käse, als der Koch und die Köchin von ihrem Schäferstündchen zurückkamen und sich wieder an die Arbeit machten.

"Mit euren versauten Händen faßt ihr mir hier nichts an. Wascht euch erstmal."

"Das haben wir getan" logen sie.

Die Köchin schleppte ihr Gesäß zu einer Stange Sellerie, die Todesangst bekam. Die Köchin nahm ein Messer und begann damit, den Sellerie zu zerteilen. Bruno verstand nicht, wie man so eine Frau begatten konnte. Sein Kollege schien an einem seltsamen Geisteszustand zu leiden. Bruno mußte an Ekel und Abscheu denken und brachte diese Begriffe mit Sex in Verbindung. Es schüttelte ihn durch, und er staunte nicht schlecht, als auf einmal ein widerliches Warzenschwein in der Küche auftauchte.

"Hi Kids!", sagte das Warzenschwein und schüttelte den wild gehörnten Kopf hin und her wie ein exaltierter Tänzer.

"Aus dem könnten wir Suppe machen", sagte der Koch, der die dicke Köchin liebte, und Bruno sah sich nach einem Hackmesser um.

 

"Liebe Tante Helga,

meine Mutter hat mir gesagt, daß ich euch mal auf dem Land besuchen soll. Ich habe aber Angst vor den Wespen. Auch vor Bienen habe ich Angst und vor Bremsen. Wenn ihr die alle erschlagt, komme ich gerne mal zu euch für eine Woche oder zwei. Vielleicht habe ich auch ein Geschenk für Sarah. Na gut, ich habe es schon. Eine echte Handgranate. Die knallt aber nicht mehr. Die ist auch schon tot. Mama sagt, die hat auch nie geknallt. Papa sagte: was nicht ist, kann noch werden. Aber nicht Sarah sagen. Ich muß jetzt schluß machen, weil ich muß noch mehr Briefe schreiben.

Bis bald"

 

Hanna kam aus dem Waschraum zurück. Die Schmerzen waren noch da, aber sie ließen sich wieder ertragen. Voller Schreck sah sie eine blanke Theke. Ihr Laptop war verschwunden. Uricolas Dackel kläffte. Hanna bekam Panik und stürzte hinaus ins Freie.

 

"Guck dir die Fotze an, wie sie wieder flennt. Sie weint um ihre Liberalität, die hier am verrecken ist. Mit uns kannst du nicht diese Nummer der Gefälligkeit durchziehen."

"Wollten wir nicht unser Buch-", versuchte Jan zu sagen. Gudrun hielt ihm den Finger in die Nase. Jan roch einen beißenden Tabakgeruch, gepaart mit Pipi. Andreas nutzte die Gelegenheit:

"Erstmal müssen wir hier definieren, wer sich hier selbst schaßt und wer klar bleibt. Ich setze mich erst mit einer Fotze an einen Tisch, wenn sie ihre ganz chronische Verräterscheiße widerlegen kann."

Ulrike war fertig, das konnte jeder sehen. Sie vermißte ihre Kinder. Jan bestellte ein kleines Bier. Er war der einzige der Runde, der ein bißchen Alkohol konsumierte. Die Anderen drückten bloß dann und wann.

"Titel des Buches: 'Mit der Knarre aus der Starre'. Das haben wir jetzt. Fangen wir mit dem Kaufhaus an oder früher?"

Ulrike wagte es noch einmal:

"Ich will kein Buch mit diesem Titel."

"Wir sollten ihr nahelegen, sich umzubringen", sagte Gudrun sachlich.

 

Uricola versteckte Hannas Laptop unter dem Tisch und genoß seine gute Laune.

"Hengol. Uljuzteri. Frybatgnur."

Die unzählbaren Fäden sammelten sich in Uricolas Händen. Der alte Cletus war kurz davor. Wo andere Leute Lügen kultivierten, wo sie Irrtümer vergoldeten oder Wahrheiten suchten, schuf er das ganz nackte Neue. Und es war bar jeder Verwundbarkeit. Und das Neue sollte schnell zur Doktrin werden. Zur Notwendigkeit. Alltäglich. Der Trick bei der Sache war, daß die baldige Normalität des Neuen nichts an ihrem Status einbüßen konnte. Immer neu. Nur für Philosophen ein Werbeslogan, nicht dummkopffrei. X-rated.

 

Karre durfte exklusiv das Warzenschwein - oder was davon übrig war - rasieren.

Ihm gefiel die Vorstellung nicht besonders, aber Bruno hatte es als Befehl klingen lassen. Vielleicht wollte er irgendwem eine Freude machen, und bei sowas sollte man keinen der Beteiligten zum Stolpern bringen. Karre schrieb in seiner Freizeit Bewerbungen, weil er endlich als Programmierer arbeiten wollte. Die Küche hatte er satt. Jemand hatte ihm mal vorgeschlagen, die Bewerbungen doch hier zu schreiben, bei den Gästen im Service-Bereich, aber davor graute es ihm. Bei den Gästen sitzen wäre der reine Exhibitionismus. Karre besah sich das tote Schwein, und als er mit der Rasur beinah fertig war, sagte er sich: das ist der typische Gast. Ein häßliches Wesen mit Hörnern, daß grunzt und früher oder später ausgeschlachtet wird. Bruno klopfte Karre auf die Schulter und wies ihn an, den zur Hälfte abgehackten Kopf nun ganz abzutrennen. Die dicke Köchin hatte schon das Wasser kochen und die Knoblauchzehen zu Brei gerieben, wobei der Schweiß ihrer Fettleibigkeit mit eingeflossen war und die Sache in einem humanoiden Licht duften ließ.

 

Es kamen neue Gäste. Zwei Frauen mit Umstandskleidung, zwei bis drei häßliche Männer, eine Gruppe älterer Professoren und ein Transvestit. Plenk entfloh dem Betrieb für eine Weile und ging in seinen Privatraum, um ein Telefonat zu führen. Vorher notierte er sich, was er sagen wollte oder mußte.

"Kleinbeigeben macht Raum frei - also den Wind an dir vorbeiziehen lassen. Geständigkeit nur unter wirklich realen Bedingungen zulassen. Inneres nach außen kehren - was heißt, Banalität zu schminken. !!Egal, mach was du willst!! Spontan bleiben, einfach reagieren!"

 

Andreas, Gudrun, Jan und Ulrike gingen ohne zu zahlen hinaus. Prellerei war nicht selten, und sie wurde zähneknirschend toleriert. Von den Gästen konnte man nichts vorraussetzen, nichts erwarten. Aber alle hinterließen eine Spur, sagte man. Ein fähiger Esoteriker hätte sie mit einer Wünschelroute gefunden. Der Transvestit hörte auf seinem Walkman Debussy und überlegte, ob er diese Musik für seine Grabrede aussuchen könnte. Da er Debussys Persönlichkeit nicht gut kannte, verwarf er diesen Gedanken. Die Leander war ihm aber auch nicht recht. Mehr etwas in Richtung China, etwas traditionell Exotisches.

 

Uricola schaute in Hannas Artikel, lächelte, packte seine Sachen zusammen und verließ das Lokal durch die Hintertür wie ein erregter Broker. Zurück blieb ein mittlerer Geräuschpegel. Es lief ganz einfach.

 

"Lieber Papa,

vielleicht fahre ich bald zu Tante Helga. Mama hat nicht angerufen. Vielleicht mag sie mich nicht mehr. Wer muß eigentlich sagen, wenn man wohin gehen will, der Junge oder das Mädchen? Wie geht es Ulla? Ich habe sie eigentlich ganz gern, aber sie stinkt so. Ich gehe morgen ins Kino. Hoffentlich ist es nicht zu voll."

 

"Rohschnitt: Ende."

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.07.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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