Anna Pikart

Er und sie

 
Er und ich…
Es ist dunkel im Zimmer. Nur ein winziger Lichtstrahl kommt von der Lampe im Flur. Kein Zigarettenqualm, keine Kerzen, kein Wein, keine Schale mit Obst, keine Küsse oder Umarmung. Nichts, was bedeuten konnte, dass wir uns lieben. Stille.
Ich stehe auf und ziehe mich an. Das tu ich so langsam, dass er es schaffen konnte mich davon abzuhalten. Er denkt. Ihn interessiert nicht mein verlorenes Armband. Ihn interessiert nicht, dass meine Sachen vom Stuhl verschwinden und ich anfange mich zu beeilen. Meine Bewegungen werden hektisch, ich schaffe es nicht meine Hosen anzuziehen ohne zwischendurch tief durchzuatmen.
Ich hoffe… Ich hoffe, dass er aufsteht und mir hilft. Ja, dass er mir hilft meine Sachen schnell einzupacken und los zu fahren. Ich hoffe, dass er mir hilft sehr schnell aus diesem leerem dunklem Zimmer zu verschwinden. Er tut das nicht, er ist verliebt. Er ist verliebt und denkt nach… Über uns und über das, was passiert ist. Ich bedanke mich innerlich dafür, dass es keine Tränen gab. Es gab auch keine Gefühle, aber dafür bedankt man sich nicht. Deswegen ist man meistens traurig und verwirrt. So wie er jetzt grade ist. Noch nur ein Knopf und ich bin angezogen. Ich weiß nicht, wofür ich mich jetzt schäme. Dafür, dass ich mich angezogen habe oder dafür, dass ich nackt war. Jetzt bin ich fertig…
Ich gucke ihn an und warte. Ich warte auf seine Reaktion, so wie es jede Frau tut, die nicht tun möchte, das, was sie tun soll. Ich gucke ihn an eher, weil ich es tun möchte aber es nicht glauben kann, dass er das zulässt. Ich mache ein Schritt auf ihn zu, vielleicht um ihn in dieser Dunkelheit besser zu erkennen, vielleicht aber auch, damit er auf den leisen Geräusch reagiert und mich anblickt. Das tut er auch. Aber, weil der winzige Lichtstrahl aus dem Flur nicht ausreicht, kann ich in seinen Augen nichts sehen. Ich schimpfe mit mir, dass ich diesen Schritt nutzlos gemacht habe.
Ich warte… Er wartet auch. Da ich es nicht weiß, was ein Mann in solcher Situation denkt, vermute ich nur, dass er es nicht möchte, dass ich mich umdrehe, durch die Tür gehe, die Treppe runter steige und ein Taxi für mich nehme. Also bleib ich stehen, so wie wir vor einer Mikrowelle stehen bleiben und auf den Verkäufer warten, der uns bloß nur einen Stoß geben soll, das schreckliche Ding zukaufen.
Ich merke, dass es schon manche Momente kommen, wo ich schreien möchte. Ich möchte mit meiner Stimme dieses Schwarz der Zimmer zerbrechen, wie eine Fensterscheibe zwischen mir und ihm. Ich warte… Ich möchte ihn nicht anfassen, ich möchte es nicht, dass er seine Gefühle dadurch mir zeigen kann. Dann konnte ich nachher sagen, dass er zu feige war. Ich möchte ihn ganz anders in meiner Errinerung behalten. Wie einen traurigen Prinzen oder Ritter, der von dem Krieg nach Hause kam und Leere fand. Der Ritter hätte dann wahrscheinlich genau so leer und verirrt rumgeschaut, dann hätte er seinen Schwert genommen und sich umgebracht. Das wäre ein braves aber sinnloses Handeln… Also, warte ich…
Ich warte, dass der Ritter seine Gefühle zeigt und seinen Panzer abnimmt, dass er weint, vielleicht auch schreit und zur Gott betet. Still. Dunkel. Sein Atem ist warm. Seine Augen schauen mich an. Rauschen der Dunkelheit, leises singen des Lichts im Flur. Ich weiß nicht, ob noch länger bleiben kann. Ich kriege Angst, dass ich kein Wort mehr von ihm brauche, um zu bleiben.
Ich fasse mit meinen Fingerspitzen seine Schulter an und hole Luft: „Ich gehe dann… Es war ganz nett…“ Auch nach Jahren werde ich mich fragen, wie ich auf diese Wörter kam. Aber an diesem Morgen war das für mich das passendste. Vielleicht sind die Sprüche für solche Momente auch da, um uns zu helfen einen Atemzug zu machen. Solche Sätze sind immer sehr leicht auszusprechen, bedeuten nichts, also verpflichten uns auch zu nichts. An diesem dunklen Morgen haben sie mir auch geholfen, mich umzudrehen und weg zu gehen. Als ich im Erdgeschoss war füllte ich mich erleichtert. Eigentlich wäre ich in diesem Moment viel lieber da, oben, bei ihm. Aber es war gut, nicht mehr von seinem Schweigen verkettet zu sein, nicht mehr sein ruhiges Atem hören, nicht mehr schreien zu wollen. Ich bräuchte kein Taxi, ich hatte noch genug Kraft. Ich wusste, dass in paar Wochen ich gar nicht mehr an ihn denken werde. Ich war wieder frei. Diese Nacht hat mich eingesperrt aber jetzt bin ich frei. Keine Gefühle, keine Tränen, keine Errinerungen…
 
 
……………
 
 
Als sie weg war, saß er noch lange im Dunklen. Er hatte Angst zu laut zu atmen, damit er den Geräusch ihre Schritte noch so lange, wie möglich hören konnte. Er wusste, dass es ein Fehler von ihm war, die Frau mit nach Hause zu nehmen. Er wusste, dass es ein Fehler von ihm war, die Frau bei sich im Bett aufzunehmen. Aber er konnte nie denken, dass es falsch sein konnte, ihr zu sagen, dass er sie liebt. Als der Tag aufbrach, war der Mann sehr blass. Und er war. Seine Augen blickten leer und jetzt auch leblos auf die Decke. Seine Arme und Beine waren kalt und schneeweiß. Er war tot. Nicht wegen ihr, auch nicht wegen dem, was heute Nacht passiert ist, sondern weil er ein Ritter war. Sein Gerüst war viel zu schwer um es einfach von seinem Leib abzureißen, seine Gefühle zu sehr innen verschlossen, um die zu zeigen. Er konnte nicht schreien, konnte nicht beten und auch nicht weinen. Er wollte es alles auch nicht. Er wollte ihr nichts sagen, damit sie frei rausgehen kann, damit sie ihn in paar Wochen vergessen kann. Das hat sie auch getan… Und in siebenundzwanzig Tagen wusste sie nicht mehr, was für einen Namen hatte dieser blasse junge Mann, der stolz und schweigsam auf dem Stuhl in seinem dunklen Zimmer saß…

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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