Gaby Schumacher

Feechen VII

Die ersten drei Tage mit meinem neuen Rudel waren einfach toll.

„Die sind spitze!“, fand ich. „Vor allem natürlich Frauchen.“

Mit den menschlichen Ersatzschwestern verstand ich mich prima. Mato, Quinny und ich waren zu einem lustigen Kleeblatt geworden. Kein Wunder also, dass ich auf Wolken schwebte.

 
Leider wurde ich am vierten Tage ziemlich unsanft aus diesem Glückstaumel herausgerissen. So ganz unschuldig war ich allerdings nicht daran, dass alles so kam, wie es dann kam. Wir vierbeinige Rasselbande tobten übermütig durch den schönen Garten, spielten Fangen und Wettrennen um Alexandras Weidenkätzchen herum. Das hatte Frauchens älteste Tochter da vor elf Jahren gepflanzt. Mittlerweile war es ein mächtig hoher Baum geworden.
 
Wie die Verrückten flitzten wir herum. Ich legte ein dolles Tempo vor. Natürlich wollte ich  meinen beiden neuen Freunden beweisen wollte, wie tüchtig ich schon wäre.

„Wuff! Na, Kleines, kannste noch?“, bellte mir Mato nach einiger Zeit zu.

Um nichts in der Welt gab ich zu, dass ich inzwischen nur noch aus dem letzten Loch pfiff (keuch!), weil die unentwegte Rennerei einfach noch viel zu anstrengend für meine kurzen Babybeine war.

„Glaubt bloß nicht, ich mache schlapp!“, quietschte ich zurück und versuchte wie zum Beweis doch tatsächlich noch einen Zahn zuzulegen.

„Die ist klasse, nich` Quinny?“, wandte sich Mato an seinen kleinen Freund.

Die Antwort war ein hastiges, kurzes Wedeln. Mehr Zeit opferte Quinny dafür nicht, denn er war gerade eifrigst darum bemüht, einen neuen, persönlichen Temporekord aufzustellen.

 
„Wiff, Frauchen, ruf` uns bloß endlich rein. Ich kann einfach nicht mehr... !“ flehte ich kurz darauf insgeheim. Zu meinem Glück kam genau im selben Moment schon das ersehnte Kommando:

„Mato, Quinny, Feechen... ins Haus!“

Ob Frauchen hellhören konnte??

„Wau, das war aber auch höchste Eisenbahn!“, fiepte ich super leise, denn meine beiden Kameraden sollten das ja nicht mitkriegen.

Mit letzter Kraft schleppte ich mich hinter den Anderen her in die Küche. Plötzlich schnappte ich verzweifelt nach Luft und plumpste auf meinen Bauch.

„Wie schön, dass der Boden so kühl ist!“, dachte ich.

 
Doch auch das rette mich nicht mir vor dem, was dann passierte. Von einer Sekunde zur nächsten fühlte ich mich unheimlich schlapp, überfiel mich bleierne Müdigkeit und ich brachte es nicht einmal mehr, auf Frauchens Streicheleinheiten zu reagieren. Alles verschwamm vor meinen Augen. Frauchen erschrak gewaltig:

„Was ist denn mit dir los?“

Sie beugte sich über mich:

„Um Himmelswillen, deine Augen sind ja ganz weiß!“

Ach, hätte ich ihr nur zuwinseln können, wie elend mir war. Doch selbst dafür ging es mir zu dreckig.

 
Alles Weitere kriegte ich nur wie durch einen Nebelschleier mit. Wie mein Näschen mir verriet, machte sich Frauchen große Sorgen um mich.

„Hoffentlich warst du nicht schon krank, als ich dich gekauft haben!“, schimpfte sie besorgt.

„Frauchens Nerven flattern ja. Wie gut, dass ihre Bekannte heute da ist!“, dachte ich.

Die stand als seelische Stütze neben ihr, als meine Adoptivmama sich dann telefonisch bei meiner Züchterin erkundigte, wie es meinen Geschwistern ging. Angeblich waren die alle gesund und topfit.

 
Ich aber lag weiterhin wie halbtot da. Daran änderte sich auch nichts. Frauchen kriegte es offensichtlich mit der Angst zu tun, fuhr mit mir zur Tierklinik und schilderte dort Frau Dr. D. alles genau. Die Ärztin beobachtete mich eine kurze Weile. Jedoch muckste ich mich immer noch nicht.

„Feechen sollte besser diese Nacht zur Beobachtung und Untersuchung hier bleiben. Soo kann ich gar nichts dazu sagen, was ihr fehlen könnte.“

Wie, ich sollte in dieser doofen Klinik allein zurück bleiben und Frauchen führe ohne mich wieder weg? Oh nein, das durfte doch nicht wahr sein! Dazu hatte sie mich hoffentlich doch viel zu lieb, ooder?

„Frauchen, bitte, lass mich nicht hier. Ich hab` solche Angst ohne dich. Wer weiß, was die mit mir anstellen...!!?“ , brachte ich trotz meiner Schwäche vor Panik sogar ein hilfloses Wimmern zustande.

 
Manchmal sind selbst die liebsten Zweibeiner komisch. Anstatt ihren Gefühlen zu folgen, handeln die dann nach ihrem sogenannten Verstand. Falls Frauchen  mein Winseln richtig gedeutet hatte, überhörte sie es da tunlichst. Ich kapierte das nicht, wollte es einfach nicht kapieren. Hatte sie mich etwa überhaupt nicht lieb, ich mich darin so getäuscht?
 
Aber was war das denn?

„Machen Sie sich keine zu großen Sorgen. Ich kümmere mich persönlich um Feechen und werde öfter nach ihr sehen!“

Wenn aber Frau Dr. D. so mit Frauchen sprach, hieß das, dass Frauchen wohl sehr traurig aussah, vielleicht sogar eine Träne meinetwegen verdrückte. Ach, Frauchen... !

Sofort fühlte ich mich ein bisschen getröstet. Ich würde zwar bei dieser Ärztin bleiben, aber mein geliebtes Leittier spielte keinesfalls mit dem Gedanken, mich etwa im Stich zu lassen! Wenn ich ihr doch nur hätte zeigen können, wie erleichtert, ja stolz ich deswegen war. Doch mir blieb nur das warme Gefühl in meinem Babyherzen.

 
Frau Dr. D. redete noch ganz lange beruhigend auf Frauchen ein und erklärte ihr, was alles mit mir gemacht werden sollte. So nett, wie die zu Frauchen war, entschloss ich mich, trotz meiner Angst möglichst tapfer zu sein, ganz gleich, was auf mich zukam. Hm, leicht würde das allerdings nicht, denn mittlerweile zitterte ich wie Espenlaub.
 
Zwei junge Mädchen trugen mich vorsichtig die Treppe herunter in den Keller. Ich bekam einen gehörigen Schrecken. Da standen doch tatsächlich Käfige an der Wand. Ganz kleine, etwas größere und auch ein paar ganz große. Ob die für Elefanten gedacht waren? Das konnte ich mir eigentlich nicht so recht vorstellen. Wie sollten die denn bitteschön die schmale Stiege hinunter gelangen, so kräftig waren die beiden Helferinnen denn doch nicht?! Oder machte das dann der Direktor der Klinik? Den hatte ich auch kurz kennen gelernt. Ein Zweibeiner fast wie ein Baum, so groß.
 
„Gott sei Dank, Frauchen ist immer noch da!“

Eigentlich wollte ich sie und vor allem mich selbst nicht blamieren und die Mitpatienten in den Käfigen begrüßen, wie es sich gehörte. Doch erstens waren die alle mit ihrer eigenen Angst und ihren Schmerzen viel zu sehr beschäftigt, um überhaupt hinzuhören - und zweitens konnte ich vor Angst schlotterndes Etwas meine Gedanken schon gar nicht mehr richtig ordnen. Also ließ ich gute Erziehung gute Erziehung sein und hielt geknickt einfach die Schnute.(Blaublütige Prinzessinnen wie ich haben keine Schnauze!).

 
Ermattet schloss ich die Augen.

„Haben Sie eine weiche Decke für Feechen? Ich möchte nicht, dass sie auf dem nackten Käfigboden liegt!“, hörte ich Frauchen zu einem der Mädchen sagen.

Gleich klapperte es laut wie von einer Schranktüre und schon kehrte die Helferin mit einer kleinen Hundedecke zurück. Sie öffnete einen der großen Käfige, legte die Decke sorgfältig glatt gestrichen auf den Boden und bettete mich vorsichtig darauf. Unter anderen Umständen hätte ich mich gefreut, so kuschelig war diese Unterlage. Aber selbst zum Freuen langte es bei mir jetzt nicht mehr.

 
Ich spürte Frauchens Blick auf mich gerichtet, da so hinter dem Käfiggitter.

„Frauchen ist es genauso zum Heulen wie mir!“

Ich unterdrückte ein hoch steigendes Wimmern, um ihr den Abschied nicht noch schwerer zu machen. Aber das war ja gottlob auch noch Frau Dr. D., die tröstend auf sie einredete.

 
Dann kam der schreckliche Augenblick, dass Frauchen weg ging. Ich schrie lautlos nach ihr, aber es blieb dabei. Ohne sich nochmals nach mir umzusehen, verschwand sie. Die Kellertüre fiel hinter ihr zu. Es war totenstill. Ich war endgültig allein.

 

Was danach noch geschah, hat Frauchen mir dann später, als alles längst vorbei war, mal beim Schmusen erzählt. Die Leute in der Klinik hatten mich von Kopf bis Pfote untersucht. Ich war kerngesund. Es blieb ein Rätsel, was mit mir los war.
 
Früh am nächsten Morgen klingelte bei Frauchen das Telefon:

„Hallo, Frau Schumacher, Sie können ganz unbesorgt sein. Ihrem Feechen geht es prima. Sie war sehr brav und wir haben schon einen schönen Spaziergang gemacht. Falls Sie Zeit haben, können Sie sie gleich abholen.“

Frauchen fiel ja fast der Hörer aus der Hand, so freute sie sich.

„Wissen Sie", gab sie zur Antwort, „ich habe lange gegrübelt. Könnte es sein, dass Feechen sich im Spiel einfach nur völlig verausgabt hat - schließlich fordern Mato und Quinny sie ja sehr?“

Frauchen ließ alles stehen und liegen. Meine Ersatzgeschwister fragten besorgt:

„Mama, was ist denn nun mit Feechen?“

„Nichts!“, entgegnete Frauchen strahlend. „Der kleine Fratz hat wahrscheinlich nur viel zu lange getobt. Ich fahr jetzt hin und hole sie ab!“

 
Es dauerte gar nicht lange, bis Frauchen in der Praxis erschien. In Wartezimmer dann war sie kurz vorm Heulen, so froh war sie. Allerdings schluckte sie tunlichst ihre Tränen runter, denn da saßen Menschen, die echt ernsten Kummer mit ihren Vierbeinern hatten. Es vergingen nur Minuten, aber ihr erschienen sie wie Stunden. Dann endlich war es soweit. Die Tür des Wartezimmers öffnete sich. Herein kam Frau Dr.D. mit mir an der Leine:

„Guck` doch ´mal, Feechen, wer da ist.... ?!“

 
Im ersten Moment schnallte ich es noch nicht. Verlegen gab ich ein kleines ´Wiff` von mir, um der Höflichkeit genüge zu tun und wenigstens geantwortet zu haben. Neugierig schnupperte ich. Es roch nach Vogel, Katze (knurr!!) und anderen Hunden, die mich fragend ansahen. Da fand ich meine Sprache wieder und bellte ihnen ein fröhliches „Wau“ entgegen. Das hieß:

„Keine Angst, die sind hier alle furchtbar nett. Tut euch was weh, werdet ihr gestreichelt und getröstet.“

Ich bildete mir ein, nur, weil ich, das kleine Hundebaby, das gesagt hatte, lagen sie sofort viel gelassener da, selbst der kleine Rauhhaardackel in der linken Ecke, der sich noch vor einer Sekunde unter dem Stuhl seines Besitzers fast halbtot gezittert hatte. Ich war ausgesprochen stolz auf mich.

 
Aber so ganz ohne triftigen Grund hatte mich Frau Dr.D. sicherlich nicht hierher gebracht. Ein zweites Mal unterzog ich den Raum einer Schnupperprüfung. Endlich fiel bei mir der Groschen. Ein ganz doll wichtiger Groschen war es, der da plumpste und dann plumpste noch etwas... nämlich ein riesiger Felsbrocken mir von der Seele.
 
„Mein Frauchen holt mich nach Hause. Wuwuwuuh!!“

 Das lang gezogene Heulen konnte ich da einfach nicht unterdrücken. Wie verrückt schmiss ich mich auf Frauchen zu in die Leine. Frau Dr. D. lachte gerührt:

„Mein Gott, Feechen kennt Sie ja schon!“

„Na klar, wau!“, war mein jubelnder Kommentar dazu. „Wäre doch gelacht, wenn ich mein Frauchen nicht erkennen würde!“

 
Wie ein Propeller sauste mein Schwänzchen durch die Luft vor Freude. Mein kleiner Körper krümmte sich zu einer einzigen großen Liebeserklärung, der ich mit einer blitzschnellen Vollwäsche per Zunge durch Frauchens Gesicht das I-Tüpfelchen aufsetzte.

„Feechen... dass ich dich wiederhabe!“, flüsterte mir Frauchen ins Ohr.

Ich flüsterte leise jaulend zurück: „Mich wirst du auch nicht so schnell wieder los!“

Ich glaube fast, wir beide strahlten nur so um die Wette. Frauchen verabschiedete sich herzlich von meiner Ärztin und wir zogen gen Heimat.

 
Bester Laune zuhause angekommen, wurde ich von vier glücklichen Ersatzschwestern und meinen beiden garantiert ebenso frohen, vierbeinigen Freunden Mato und Quinny empfangen. Jetzt waren sie es, die sich die Erleichterung von der Seele bellten. Wir machten alle eine tüchtigen Lärm. Als wir uns dann endlich beruhigt hatten, meinte Frauchen zu mir:

„So, Kleines! Ab jetzt achte ich darauf, dass du noch nicht zu wild tobst!“ 

 

 

 

Eigentlich fand ich das wieder ein bisschen doof. Aber sie hatte ja Recht.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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