Klaus-D. Heid

Abschiedsbrief

Ich müsste jetzt eigentlich traurig sein und bitterlich weinend am Schreibtisch sitzen, während meine Tränen die Tinte auf dem Papier verlaufen lassen. Schöner klingen würde es ja, aber ich schreibe diesen Abschiedsbrief am PC – und weine noch nicht einmal dabei. Ich kann auch nicht sagen, dass ich übermäßig traurig bin, weil ich meinem Leben nun ein Ende mache. Es ist vielmehr ein seltsames Gefühl von Gleichgültigkeit, das mich ganz konzentriert tun lässt, was zu tun ist. Es ist ein bisschen, als ob ich aus einer riesigen Distanz heraus, auf mich selbst herabsehe, um mich beim Planen meines Todes zu beobachten.

Denen, die diesen Brief lesen werden, kann ich versichern, dass ich freiwillig gehe. Ist ‚gehen’ nicht eine herrlich poetische Beschreibung dafür, dass ich mir eine Kugel in den Kopf schießen werde? Wahrscheinlich werde ich nirgendwo hingehen, wenn meine Schädelknochen, mein Hirn und Unmengen von Blut an der Wand hinter mir kleben. Sollte es allerdings doch ein ‚Gehen’ nach dem Tode geben, muss man garantiert gute Nerven haben, um mit mir ein nettes Gespräch führen zu können.

Komisch, dass ich mich schon wieder – wie so oft – in Sarkasmus rette, um das bisschen Unsicherheit zu vertreiben, das mich noch gefangen hält. Ich will nicht unsicher sein, weil ich mir sicher bin, dass es keinen anderen Ausweg als meinen Tod gibt. Das ist sicher!

Meine Finger spielen im Moment mit der Tastatur, als ginge es darum, eine nette, heitere und oberflächliche Kurzgeschichte zu schreiben. Es fällt mir seltsam leicht, was ich gerade mache. Es ist wie mit der Spritze, die man vor einer Operation bekommt. Panik, Angst und Furcht vor dem Eingriff werden plötzlich zu Ruhe, Ausgeglichenheit und geduldigem Abwarten. Alles ist scheißegal.

Muss ein Abschiedsbrief immer an bestimmte Personen gerichtet sein? Falle ich aus dem Rahmen, wenn ich einfach alle anschreibe, die diesen Brief lesen? Man muss mich nicht kennen, um den Brief lesen zu dürfen. Ich versiegele ihn nicht; ich will nicht, dass er nur vom Notar geöffnet werden darf, und ich habe auch kein Problem damit, wenn der Brief von der Literaturkritik verrissen wird. Es ist mir wirklich egal, da ich den Brief vielmehr für mich, als für Sie schreibe.

Was sagt man so in einem Abschiedsbrief? Adieu? Ich liebe Euch alle? Verzeiht mir? Ich wusste keinen anderen Weg? Ich bitte um die Gnade der Vergebung? Hoch die Tassen – Essen fassen? Oder ist’s angebracht, wenn ich eine Händel CD auflege, wenn der Lauf der Pistole meinen Gaumen kitzelt? Kein Händel? Bach? Edith Piaf? Mick Jagger? Die Steiermarker Domspätzle? Oder besser doch keine Musik? Stattdessen Totenstille? Andächtige Ruhe, bis der Schuss meine Nachbarn aus dem Bett schrecken lässt?

In diesem Moment befördere ich den kalten Lauf der Pistole zwischen meine Lippen. Wenn man mich jetzt sehen könnte, sähe es schon zum Schießen aus, wie ich – einhändig – auf der Tastatur nach Buchstaben suche und mit der anderen Hand die Pistole halte. Sagen kann ich jetzt nichts mehr, da man bekanntlich nicht mit vollem Mund sprechen soll. Also schweige ich. Entgültig.

Man sieht sich...

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