Katharina Hildebrandt

Kopfkino

Manchmal werden Dinge sehr groß, die eigentlich überhaupt keine Rechtfertigung dazu haben. Was genau steuert, für was wir empfänglich sind? Wieso verrennen wir uns in Menschen, die wir garnicht kennen? Gerade stelle ich fest, dass das wohl niemand außer mir je getan hat....wie so vieles andere auch! Doch, ich bin schon irgendwo außergewöhnlich – außergewöhnlich dumm!

Naja, wofür hat man Freunde. Immer wenn es mir richtig Scheiße geht und ich einmal wieder nicht verstehe, was in meinem wirren Leben gerade passiert, und vorallem warum, dann heule ich mich bei Daniel aus. Er ist ein schöner Mann, er ist extrem clever, ich liebe seinen Wortwitz, seine einfühlsame, unnahbare Art. Er hat den absoluten Drecksau-Faktor, ist verwegen, charmant, eigenwillig und legt eine Souveränität an den Tag, die mich vor Ehrfurcht manchmal schier erstarren lässt. Ich kann verstehen, dass die wirklich coolen Frauen dieser Welt, oder besser in seinem Umfeld, ihm reihenweise erliegen und vor Verlangen nach ihm ganz wild werden. Für mich ist es Daniel, und es gibt tatsächlich nichts über ihn, dass ich nicht wüsste.

Wie dem auch sei. Immer wenn es bei mir mal wieder hart auf hart kommt, besuche ich ihn bei der Arbeit. Ganz unsexy ist das nie – er arbeitet tatsächlich als „Vorführer“ in einem alten Kino. Dieser dunkle Raum, das Geräusch des Projektors, der Rotwein und das Tütchen, wenn der Chef außer Haus ist – das hat schon was! Verwegen eben. Aber egal. Eigentlich versuchen wir jedes Mal, wenn ich wieder einen Abend bei ihm und seinen Filmen verbringe, die merkwürdige Frage zu erörtern, warum wir beide eigentlich nie in seinem Kabuff übereinander hergefallen sind. Es wäre schon unser Style, wild zu vögeln, mit dem Wissen, das unten hunderte von Gästen dem Film folgen. Wir kennen uns zu gut, vielleicht ist es das. Wie bitteschön willst du für einen solchen Fick den Kopf frei haben, wenn man sich eben noch erzählt hat, was in dem Kopf des anderen gerade so abgeht? Geht garnicht. Also haben wir es immer gelassen, oder schlimmer noch – es wäre uns nie in den Sinn gekommen. Sexy Stimmung hin oder her.
Egal. Daniel. Es wurde wirklich allerhöchste Zeit für diesen Besuch, weil ich schon seit geraumer Zeit völlig neben mir stand und mich in etwas verrannt hatte, was schon lange kein anderer mehr verstanden hätte. Ich war schon immer sehr kommunikativ und daher platze es förmlich aus mir heraus, als wir uns in den alten Sesseln des kleinen Vorführraums niedergelassen hatten.

Hey - Ich habe diesen Typ im Internet kennengelernt. Eigentlich war es nicht anders, als die Male zuvor. Aber irgendwie schon. Daniel, wir haben uns geschrieben, gechattet und dann telefoniert. Diese Stimme, die Dinge, die er gesagt hat...es war fantastisch, magisch, so leicht, so vertraut. Wir haben sechs Stunden telefoniert, kein Scherz – und dann hatten wir Sex!!! Genau den Sex, den ich wollte, so wie ich ihn wollte, so dominant, ich sag Dir, der Typ hat mich wirklich besessen. Und das mir!“
Fein. Und was is das für ein Supermann? Hast du ein Foto von ihm? Er hat Dir doch bestimmt welche geschickt, oder?“
Ich hatte ihn darum gebeten, aber er meinte die Kontrolle läge bei ihm! Kennst mich ja – das hat mich nur noch geiler gemacht. Aber egal – es war mehr als Sex. Ich bin in Gedanken nur noch bei ihm, bin der festen Überzeugung, dass irgendwer oder irgdenwas uns zusammengeführt hat.“

Bist du besoffen, sag mal? Du hast doch echt ne Macke.“

Na und? Freu dich doch – so hab ich wenigstens immer etwas zu erzählen. Also, ich bin tatsächlich zu ihm gefahren. Nach Berlin. Aber seine Ex ist überraschend aufgetaucht und deswegen konnten wir uns nicht sehen. Er meinte, der Moment sei der falsche gewesen....“
In diesem Moment hielt ich kurz inne, weil ich das erste Mal wirklich realisierte, wie albern sich das für einen Aussenestehenden anhören musste. Nicht, das mich solche Gedanken davon abhalten würden, fröhlich weiter zu erzählen.

Daniel, es war, als hätte er mich durchschaut, jeden meiner Wünsche einfach gefühlt. Er hat mich in den Armen gehalten, mich beschützt, auf mich aufgepasst, mich geliebt und auf Händen getragen und mich trotzdem irgendwie genommen!“

Am Telefon? Geiler Typ...Sach mal, Schatz, hörst du dir eigentlich gerade zu? Du willst mir doch jetzt nicht im Ernst erzählen, dass Du dich verliebt hast, und er sich auch? Warum is er denn dann noch nicht da? Wann seht ihr euch?“
Er wollte in jeder der letzten Wochen kommen, und irgendwie kam immer was dazwischen. Oh Gott - ich sehne mich so nach ihm, seiner Nähe, seinem Geruch, der Wärme seiner Haut. Der Typ macht mich ganz irre...“ „Allerdings!“
Es kommt noch besser – er hat wohl eine Frau in einer Bar kennengelernt. Sie geküsst. Daniel, es hat mir fast den Magen umgedreht, als er mir das erzählt hat. Naja, jetzt will er kommen, um das mit uns zu Ende zu bringen.“

Moooment, jetzt is aber Schluß – Schatz, ist das Dismissed für Volltrottel, oder was? Er kann also nix mit der Frau anfangen, bevor er nicht abgecheckt hätte, was mit dir so geht. Du willst mich doch jetzt verscheissern. Hast du eigentlich heute schon in den Spiegel geschaut? Baby, in dieser Stadt wohnen 120.000 Männer und jeder einzelne von ihnen würde sich seinen linken Fuss abhacken, wenn du ihn nur anschaust, und du erzählst mir, ein Typ aus dem Netz, ohne Foto, mit ner tollen Stimme, der ein beschissenes Spiel mit dir spielt, nur damit sein kleiner Schwanz wieder wächst, der Typ hat dich vom Markt gezogen?? Ich fass es nicht, dass es so einfach ist. Ein männliches Foto, ne männliche Stimme! Hey, es gibt auch Insekten, die aussehen wie ein Blatt – nur weil sie sonst nicht überleben würden. Der Typ is so sehr der Mann, den du brauchst, wie ich Schwede! Wenn er die Eier hätte, die der Mann an deiner Seite braucht, hätte er schon vor Wochen bei Dir auf der Matte stehen müssen, dich überraschen, dich live und direkt aus der Fassung bringen müssen, anstatt sich hinter einer zweifelhaften Anonymität zu verstecken. Der Penner. Mit so einer Hammer-Frau so ein Ding abzuziehen. Ich bin mir noch nicht sicher, was jetzt schlimmer ist – dass er das tut, oder dass du es zulässt. Ich schreib dem bald ne Mail, die ihm die Arschhaare wegschießt – das gibt’s doch garnicht!“

Ich musste lachen. Die Arschhaare waren schon sehr komisch, wenn die ganze Situation als solche eher zum Heulen war.

Du verstehst mich also auch nicht! Hey, das zwischen uns ist etwas Besonderes! Ich habe mich diese Mal wirklich verliebt und er ist genau das, was ich immer wollte!“

Daniel antwortete nicht mehr. Keine unangenehme Stille. Einfach nur Stille – bis auf das Rattern des Projektors. Ich fühlte mich klein und ich glaube, umso länger ich nachdachte, desto peinlicher wurde mir, was ich ihm gerade erzählt hatte. Nicht vor Daniel – der hat, weiß Gott, schon ganz andere Dinger von mir mitgekriegt. Vor mir. Und das war nicht schön. Fasziniert und in Gedanken versunken beobachtet ich den Projektor, auf dem sich die große 35mm-Rolle langsam abwickelte. „Warum tue ich so etwas?“ fragte ich, ohne Daniel dabei anzusehen.

Er sah mich eine Weile an, wie ich da saß und dem Projektor dabei zusah, wie er unaufhörlich seinen Film abspulte und schöne Bilder auf eine große weiße Leinwand warf. Daniel drückte seine Zigarette auf dem Rand einer Cola-Dose aus, ohne dabei den Blick von mir abzuwenden. Er atmete tief, beugte sich lächelnd nach vorne und sah den Projektor an, mit dem er fast jede seiner Nächte verbrachte. „Baby, das Ding ist einfach ein Dreck gegen dich!“

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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