Pavel Hulka

Verraten

Das ganze Zimmer lag im schummrigen Licht. Die vielen Teelichter, die auf dem ganzen Boden verteilt waren, warfen phnatasievolle Schatten an die Wände und in den Wandspiegeln  flackerte es wie  ein Schwarm großer Leuchtkäfer.

Iris saß in ihrem schwarzen Lederstuhl, ihre Hände lagen in ihrem Schoß. Sie bewegte sich nicht, sondern sie schaute nur auf ihre Hände und vergoss Tränen.
Das völlig durchnässte Haar hing ihr ins Gesicht und das leichte Zucken ihres Kopfes verriet, dass sie in sich schluchzte ohne ein Laut von sich zu  geben.

Ich saß ihr gegenüber.auf einem alten unbequemen Stuhl, kaum fünf Meter von ihr entfernt und schaute sie an. Nicht in ihr Gesicht, sondern auch auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen.
Ich drehte mir langsam eine Zigarette, zündete sie an und blies den Rauch in ihre Richtung. Der Rauch erreichte sie nicht, er  verschwand auf dem halben Wege, genauso wie sie meine Gedanken nicht erreichten oder ihre Gedanken mich.

„Wie schwer bist du denn Iris?“ Fragte ich sie.
„Fünfundvierzig Kilo wiege ich zurzeit. Warum?“ antwortete sie langsam ohne mich anzuschauen.
„Es wird ca. 5 Stunden dauern bist du es hinter dir hast,“ sagte ich zu ihr und zeigte mit dem Finger in Richtung ihres Schoßes.
„Was hast du dir dabei gedacht?“
„Du wirst es wieder nicht durchstehen. Wie vielter Versuch ist es jetzt eigentlich?
Ich bleibe nicht die ganze Zeit hier sitzen. In ca. zwei Stunden gehe ich. Zu dieser Zeit wirst du noch halbwegs beim klaren Verstand sein. Du wirst aufstehen und Hilfe holen. War doch bei deinem letzten Versuch genauso.
Also, was soll wieder das Theater?“

Iris sagte kein Wort, sie schaute nicht hoch, sondern presste ihre Hände fester in ihren Schoß. Die Tränen liefen ihr das Gesicht runter und verschwanden in ihren Kleid.

„Ich werde später, deine Mutter anrufen und ihr sagen, sie möchte nach dir schauen.
Hast du mir noch etwas zu sagen?“ Fragte ich sie und blies die nächste Rauchwolke ihr entgegen.
Ihre Stummheit beunruhigte mich.
Ich kannte Iris als eine sehr gesprächige junge Frau, die immer das letzte Wort haben musste, die gerne lachte und leidenschaftliche Diskussionen führte.

Ich schaute mir Iris genauer an. Ein weißes Kleid hatte sie an, das ihr wie angegossen passte und sehr gut stand. Ihre kleine Füße zierten weiße Schuhe und in ihrem Haar steckte eine weiße Schleife.
‚Sie hat sich immer gut und passend angezogen.
Ihre Lieblingsfarbe war rot. Sie trug immer etwas Rotes.
Warum war sie heute nur in Weiß?’ Dachte ich mir.

Sie presste ihre Hände immer kräftiger in ihre Schoß und der färbte sich rot. Die dunkelroten Rinnsale, die aus ihren Handgelenken flossen, färbten das weiße Kleid zu fantasievollen Mustern. Das zähflüssige Rot tropfte auf den Boden zwischen ihren Beinen und bildete eine rote Lache unter ihr.
Eine Farbkomposition von weiß und rot. Unschuld und Liebe.

Nach zwei Stunden nahm ich meine Sachen und verließ den mit Kerzenlicht durchfluteten Raum.
Ohne ein Wort zu sagen, schloss ich die Tür hinter mir zu.

Eine Woche später stand ich auf dem Hauptfriedhof. Vom Weiten beobachtete ich eine kleine Gruppe von Menschen. Ich hörte dem schmalzigen Gerede des Pfarrers und dem lauten Weinen einer  Frau zu, die gerade am Grab stand und ein paar Blumen runter warf.
Iris´s Mutter.

Als die Zeremonie zu Ende war und alle Trauergäste sich zum Leichenschmaus begaben, ging ich auf das offene Grab zu  und warf eine weiße Rose runter. Der weiße Sarg auf dem Boden des Grabes machte einen bedrückenden Eindruck auf mich.
Ich setzte mich auf den Hügel der frisch ausgehobenen Erde und schaute hinunter zur Iris:

„Ich habe deine Mutter angerufen.“ Sprach ich zu Iris.
„Sie sagte mir: „Diese kleine Hure kann mir gestohlen bleiben. Ich habe keine Tochter mehr.
Sage ihr, dass ich meinem Mann blind vertraue, sie soll keine Gerüchte in die Welt setzten.“

Noch eine Weile blieb ich an ihrem Grab sitzen und bröckelte schwarze Erdklumpen auf den weißen Sarg.
Die Geräusche erinnerten mich an ein leises Klopfen an einer Tür.
Eine Tür, die nie wieder aufgehen wird.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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