So verbringe ich die erste Nacht hier und labe mich an vier
weiteren dieser Frauen. Richtig gestillt ist mein Hunger dadurch nicht, doch es
wird mich durch den Tag bringen und dafür sorgen, dass mein Blut nicht sofort
total überwallt.
Der letzten Frau habe ich wohl zu viel entzogen, denn sie wacht nicht mehr aus
meiner Umarmung auf. So nehme ich einige der Kleider an mich um noch unauffälliger
zu werden und suche mir einen sicheren Ort für den Tag um zu schlafen.
Gegen Mittag werde ich aber unsanft durch einen Fußtritt geweckt. Ein Junge,
vielleicht sechzehn, steht mit einem kleinen Messer über mir und verlangt Geld
für einen Schuss. Ob er sich eine Armbrust kaufen will?
So oder so, es ist sein letzter Fehler. Ich scheine vielleicht unauffällig und
bin in dieser Form schwach, aber um ihm das Genick knackend zu brechen reicht meine
Kraft mehr als aus. Des schlaffen Körper entledige ich mich schnell und nehme
nur das Geld an mich. Zu Fressen wage ich nicht, dieser Wurm könnte mir den
Magen verderben.
Nun bin ich aber den Gepflogenheiten der Zeit besser
angepasst und suche mir eine Spelunke um richtige Beute zu machen. Die
Haudraufmatrosen, die Aufschneider und Spieler, diese Leute sind ausgiebige
Beute. Als Mann kommt man schwerer an sie ran, das mag sein. Doch ich habe so
meine Tricks und bald schon habe ich einen muskulösen Kerl in Lederjacke soweit
gebracht, dass er mit mir vor die Tür gehen will. Er glaubt wohl, mir die Seele
aus dem Leib prügeln zu können, doch da hat er sich geschnitten.
Wie er sagte: „Du hältst dich wohl für ganz cool, Penner. Ich hau dir die Zähne
raus und spiel mit deinen Eiern Billard, du Großmaul.“
Die Beleidigung nehme ich persönlich sodass ich mir Zeit lasse als ich seine
Seele auffresse. Kein Bisschen lasse ich übrig und die leere Hülle verbrenne
ich. Meine Macht reicht für eine kleine Flamme aus, der Wind verteilt die Asche
und die Beweise.
Dann geht es in die nächste Kneipe zu nächsten Opfer. Die ganze Nacht hindurch.
Bis der Tag mich wieder in meine schwache Form zwingt.
Ich nehme mir die Zeit die Welt richtig zu erkunden und streife den ganzen Tag,
jetzt übrigens in Lederjacke mit passenden Stiefeln, durch die Stadt und lerne.
Immer besser verstehe ich die Gesellschaft, doch Angst habe ich noch immer.
Denn die Nähe der Familie fehlt. Nirgends gibt es Nachrichten, Hinweise oder
nur ein kleines Anzeichen eines anderen Dämons.
Am Nachmittag beginnen mich einige Halbstarke zu verfolgen. Sie tragen die
Hosen mehr an den Knien als um ihre Lenden, und verhalten sich wie die Affen,
die gerade vom Baum gestiegen sind um ihr Revier zu markieren. Sie sind mir
zuwider, lassen sich aber nicht abschütteln. Anscheinend passt ihnen die
Lederjacke nicht, die irgendetwas zu bedeuten hat. Vielleicht die Zugehörigkeit
zu einer Gilde? Ob vielleicht schon ein Kopfgeld auf mich aufgesetzt ist weil
dieser, wie er sich nannte Rocker, ein hohes Mitglied der Gilde war?
Wie auch immer, als die Nacht kommt zeige ich den Jungs, dass sie besser
gegangen wären. Ihren Anführer drehe ich durch die Mangel, die Nummer Zwei der
Gruppe nehme ich nur halb auseinander. Die anderen lasse ich entkommen. Sie
sollen ihre Gilde warnen. Mit mir ist nicht zu spaßen. Sollen sie nur alle
kommen. Morgen schon bin ich nicht mehr in der Stadt und schlafe wieder. Also
was soll mir schon passieren?
Doch als dieses Mal der Abend aufzieht, mein letzter vor dem
Schlaf, bin ich nicht mehr allein. Kaum bin ich verwandelt als ich ein Zeichen
sehe, das nur für meine Augen bestimmt ist. Ein Wegweiser zu einem anderen
Nest, einer Unterkunft. Inmitten dieser Stadt, total auffällig für meinen
Geschmack.
In einem Club namens „Underworld“ finde ich mehr Leute von meinem Schlag und
verstehe jetzt auch warum ich davor auf niemanden traf. Denn ob Vampir, Werwolf,
Formwandler oder Dämon. Alle anderen Wesen sind hier, in dieser Underworld. Es
gibt Blut, Fleisch und Lehm in rauen Mengen, sodass sich alle vertragen.
Meine Angst verzieht sich vielleicht, aber die Skepsis kommt hoch. Seite an
Seite mit Erzfeinden? Vor allem jetzt, in meiner letzten Nacht. Im Morgengrauen
muss ich mein Nest erreichen, oder das Siegel wird mich selber aussperren und
die Sonne meiner Macht verbrennen wie die Vampire bei Tag.
Eigentlich nimmt mich hier keiner richtig wahr. Ich bin einer von ihnen,
sozusagen. Doch auch irgendwie anders, denn ich vermeide es mit anderen zu
sprechen. Dämonen gibt es nicht viele. Einer, ein riesiger Feuerdämon,
unterhält sich mit zwei Vampiren. Damit ist er bei mir unten durch, es ist
unter meiner Würde mich mit so einem zu unterhalten.
Und der andere Dämon, der einzige meiner Art der sich anscheinend nicht mit dem
Feind abgibt, ist eine alte Bekannte. Sie muss ich nicht ansprechen wenn mir
mein Leben lieb ist. Zu viel haben wir zusammen durchgemacht, jedoch nicht
Seite an Seite sondern gegeneinander.
Die Narben an meiner Brust beginnen zu pochen als sie mich erblickt und näher
kommt. Meine Stimme wird brüchig und schwach als sie mich anspricht. „Ich
dachte du bist tot. Nettes Outfit. Du hast dich wohl in den richtigen Gebieten
rumgetrieben, Schätzchen.“
Ich weiche ihrem eisigen Kuss aus, den sie mir auf die Wange hauchen will.
„Lass mich in Ruhe, Schätzchen. Was
ist nur aus dieser Welt geworden?“
„Sie ging vor die Hunde. Die Kriege sind schuld, die Unzufriedenheit von uns
allen. Sie gab den Menschen Hoffnungen und sie beschritten ihren eigenen Weg.
Und sieh uns jetzt an. Mit den alten Feinden zusammen hocken wir in einem Loch
und zittern vor Angst.“
„Da bin ich froh ,dass der lange Schlaf mich bald wieder ereilt“, gebe ich zu
und will sie von mir wegschieben.
„Ach, dein Nest unter der neuen Autobahn? Vergiss das schnell mal. Da wird bald
gegraben um einen Tunnel zu machen. Du willst doch nicht beim Schlafen erwischt
werden. Es gibt die Wache noch immer, und die wird dich sofort…“ Sie beendet
den Satz nicht. Das ist auch nicht nötig, ich kann mir den Rest denken.
„Und wohin soll ich dann?“
„Du wirst dich wohl damit anfreunden müssen mit mir und Draco diese Gewölbe zu
teilen. Der lange Schlaf wird dir so verwehrt bleiben, doch den Tag über bis du
sicher und die Nacht zusammen mit Deinesgleichen.“
Das Angebot klingt interessant, wüsste ich nicht welch doppelzüngiges Weib
diese Frau doch ist. Mein Blick wandert durch die Runde.
Ich sehe Werwölfe einen Fleischberg zerteilen. Wie die Hunde fallen sie darüber
her und fressen wie die Schweine.
Draco, der andere Dämon, führt einen Flammentrick mit Alkohol auf und amüsiert
einige Formwandler. Die Vampire sitzen bei einem Glas Blut zusammen und gerade
bringt eine echt ansehnliche Frau das Blut in Wallung sodass es sich vom
gesunden Rot in ein sattes Schwarz verfärbt.
Eine Vase beginnt sich zu bewegen und kriegt Arme und Beine. Danach wandert sie
in Richtung einer Tür, auf der das Wort Toiletten steht.
So trifft mein Blick wieder meine alte Feindin und mir wird klar: Ich war immer
einsam. Jetzt kann ich entweder gehen und der Wache in die
Arme laufen um zu sterben. Oder ich bleibe hier und akzeptiere was ich bin. Ein
anderer unter Anderen, in einer Welt, die uns vergessen hat. In einer Welt, die
wir kampflos aufgegeben haben. Eine Welt, die verloren ist.
„Habe ich eine Wahl?“
Die Frage bedarf keiner Antwort. Man zeigt mir den Keller und den Platz, an dem
ich schlafen kann. Bald graut sowieso der Morgen. Bis zu meinem Nest würde ich
es nicht mehr schaffen, so oder so.
„Vergessen wir die alten Zeiten? Den Streit?“ frage ich die Dämonin. Ihr
Gesicht hellt sich merklich auf und seit wir uns wieder getroffen haben,
lächelt sie zum ersten Mal. Es ist aber nicht das hämische Lächeln, das sie mir
sonst immer geschenkt hatte. Es ist das Lächeln einer alten Freundin. Die
Einsamkeit ist wohl vorbei.