Diana Schmidt

Depression

Der Regen prasselt gegen die Scheiben und sie starrte von ihrem Schreibtisch aus durch das Fenster hindurch ins Weite. Das Zimmer war dunkel und kalt, nur eine Kerze erhellte den Raum und auf dem Schreibtisch vor ihr lag nur ein Buch. Es war die letzte Seite aufgeschlagen und von ihr mit verschnörkelter Schrift beschrieben worden. Er stellte sich neben sie und legte ihr seine Hand auf die Schulter, doch sie bemerkte es nicht, blieb weiterhin stumm vor sich hinstarrend und ohne Regung sitzen. Sie hatte sich verändert in den letzten Wochen, wurde ruhiger und immer verschlossener. Er wusste nicht, was mit ihr los war, zog sich von ihr zurück und machte ihr Vorwürfe. „Reiß dich doch mal zusammen“, sagte er kalt zu ihr und verließ das Zimmer.
Tränen liefen ihr über das Gesicht, tropften auf ihr Geschriebenes und verschwammen mit der blauen Tinte. Sie sehnte sich nach ihm, doch sie konnte es nicht sagen. Nur ihrem Buch vertraute sie sich an, sonst hatte sie niemanden. Er verstand es nicht und so zog sie sich mehr und mehr zurück, wurde immer trauriger.
 
Die Regentropfen tanzten auf ihrer Fensterscheibe und tropften gleichmäßig auf das blecherne Fensterbrett. Trostlos sah die Welt da draußen aus, es war November.
 
Sie zuckte zusammen, als die Haustür zuschlug. Er war gegangen, wie so oft, ließ sie allein zurück, ohne eine Umarmung, ohne ein Wort. Sie schlug die Hände über dem Gesicht zusammen und die Tränen rannen zwischen ihren Fingern hervor. Mit letzter Kraft nahm sie den Stift und beschrieb die letzte Seite ihres Buches vollständig. Dann verließ sie ebenfalls das Haus und ging hinaus in den Regen.
 
Nach mehreren Stunden kam er in das Haus zurück. Sofort ging er in ihr Zimmer, doch es war leer und die Kerze längst erloschen. Auf dem Schreibtisch fand er ihr Buch, aufgeschlagen auf der letzten Seite. Er nahm das Buch und ein kalter Schauer lief ihm den Rücken herunter, als er das Geschriebene las. Als letzten Satz hatte sie geschrieben „Verzeih mir bitte, ich liebe Dich!“ Erschrocken ließ er das Buch fallen und rannte aus dem Haus um sie zu suchen, doch es war bereits zu spät. Schwarze vermummte Gestalten  trugen ihren Sarg.
Der Wind fegte das nasse Laub über die Straßen und der Regen wurde immer stärker, er konnte ihr nicht mehr helfen.
 
Am Tag der Beerdigung stand er als einziger an ihrem Grab mit ihrem Buch in der Hand und antwortete auf ihren letzten Satz: „Verzeih mir, ich liebe Dich!“ Mit Tränen in den Augen warf er das Buch zusammen mit einer weißen Rose in das Grab und gab ihr einen letzten Kuss mit auf ihre Reise.
Nebel hatte sich ausgebreitet und auf dem Friedhof herrschte eine traurige Stimmung. Er erinnerte sich an ihre Schönheit, an ihre Fröhlichkeit und Lebendigkeit; und schmerzlich wurde ihm bewusst, dass dies nun für immer Vergangenheit sein wird. Weinend und mit gebrochenem Herzen verließ er den Friedhof und kehrte nie mehr an ihr Grab zurück...
 
© by Diana Schmidt

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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