Klaus-D. Heid

Nach der Wahl

Rot/Grün hat die Wahl gewonnen. Unser Herr Bundeskanzler muss nun nicht mehr den alles verstehenden ‚Kumpel’ mimen, dessen Hauptsorge das Wohlergehen des kleinen Mannes ist. Endlich darf er sich wieder als Genosse für Bosse zeigen. Endlich darf er wieder seine maßgeschneiderten Anzüge tragen, die noch vor der Wahl Zweifel hätten aufkommen lassen, ob der Kanzler lieber gedresst oder gestresst vor die Menge tritt. Endlich darf er Doris wieder öffentlich den Mund verbieten, ohne gleich mit Protesten der Frauenrechtlerinnen konfrontiert zu werden. Die Wahl ist verdammt knapp ausgegangen. Bis zur letzten Minute musste der Kanzler fürchten, dass ein blauweißes Handeln schwarzer Schafe Deutschland regieren wird. Was für ein Glück, dass Edmund Gerhard beim letzten Fernsehduell unentwegt mit ‚Frau Christiansen’ angeredet hat. Wähler haben eben ein feines politisches Gespür für Namen. Jetzt heißt es also mit Volldampf an die Arbeit gehen, Gerhard! Vor ihm liegt eine satte Legislaturperiode, in der alles widerrufen werden kann, was vor der Wahl versprochen wurde. Die Wähler werden das bestimmt verstehen können. Es ist einfach nicht möglich, die Zahl der Arbeitslosen drastisch zu reduzieren, selbst wenn man die Bundesanstalt für Arbeit in ‚Moderne hyperneustrukturierte effizient arbeitende Agentur für die Vermittlung von nicht vorhandenen Arbeitsplätzen’ umbenennt. Wo nichts ist, da ist nichts. Machtwort Kanzler! Und das publikumswirksame Gerade beim Gipfel in Johannisburg, wo eh nur Umweltblabla festgeschrieben wurde, dass grundsätzlich von den USA und den erdölexportierenden Ländern blockiert wurde, ist ganz schnell in Vergessenheit geraten. Mit dem vergessen wird es in Sachen ‚Flutentschädigung’ etwas länger dauern. Irgendwann werden die, denen ‚es nach der Flut nicht schlechter als vor der Flut’ gehen soll, sich in die Riege der Sozialhilfeempfänger einreihen, die es nicht wagen, aufzumucken. Und die Steuerreform? Wird’s geben, liebe Wähler und Wählerinnen. Wird’s geben! Spätestens dann, wenn alle Steuern rigoros erhöht sind, darf man von einer Reform sprechen. Und die explodierende Zahl der Firmenpleiten? Warten wir’s mal ab. Wenn’s keine Firmen mehr gibt, kann’s auch keine Pleiten mehr geben. Basta! Alles nur eine Frage der Zeit. Das wichtigste Ziel, die Macht zu erhalten, ist verwirklicht worden. Scharping ist man los. Fischer hat genug damit zu tun, die alternden Grünen zu reanimieren. Stoiber arbeitet an einem Konzept, wie er die Wahlniederlage Frau Merkel in die Schuhe schieben kann. Frau Merkel arbeitet an einem Konzept, wie sie die Schuld Herrn Stoiber in die Schuhe schieben kann. Der Osten Deutschlands arbeitet an einem Konzept, wie man Straßen und Gleise nutzen kann, obwohl niemand mehr da ist, der sich auf ihnen fortbewegen möchte. Der Westen denkt darüber nach, sich als Bundesstaat der USA zu bewerben. Die Rechtsradikalen wandern nach Russland aus, wo man sie mit offenen Armen empfängt. Der Herr Bundeskanzler trägt als erster Kanzler der Nation wieder Krone und Zepter und kuschelt sich in edlem Hermelin. Doris wird gegen eine jüngere und dünnere Frau eingetauscht. Alles ist wie immer. Alles geht seinen Gang. Und die Freien Demokraten? Möllemann und Westerwelle? Möllemann wollte für Furore sorgen, als er beim Fallschirmspringen einen Fallschirm benutzte, der nur 18 Prozent eines herkömmlichen Fallschirms wog. Staatsbegräbnis und Zapfenstreich. Guido kämpft noch immer vor dem Bundesgerichtshof für seine Teilnahme am Fernsehduell, obwohl die Aktualität erst in vier Jahren zum Tragen kommt. Und Gerhard? Gerhard hat ein Angebot des Playboy angenommen, das ihn nackt seinen Untertanen präsentieren möchte. Titel der Ausgabe: ‚Mir kann keiner in die Taschen fassen!’. So ist eigentlich alles beim Alten geblieben, wenn man mal davon absieht, dass es den Wähler und die Wählerinnen nicht mehr gibt. Gerhard hat nachweisen können, dass die Wahlpropaganda aller Parteien über 4 Milliarden Euro gekostet hat. So wurde die Wahl kurzerhand abgeschafft. Was soll man auch mit einer Wahl, wenn das neue Staatssystem Monarchie heißt? Die neue von Gerhard ist schwanger. Gerhard nennt den kleinen Ungeborenen jetzt schon liebevoll ‚mein süßer Prinz’.

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