Gerda Schmidt

Scherz mit M

Mit aufmerksamem Blick hörte der Ohrenarzt seiner Patientin zu. Die großen, braunen Augen des Arabers verrieten echte Anteilnahme am Leid der Frau. Ihm war klar, dass es sich in erster Linie um psychosomatische Symptome handelete, und sie wurden ein immer ernster zu nehmendes Problem, das allgemein zunahm. Ein Hörsturz signalisierte dem Betroffenen, dass der Kopf nichts mehr hören wolle und starkes Nasenbluten zeigte an, wie voll derjenige die Nase hatte von allem, was ihn umgab. In diesem Falle war Dr. Alrazi ratlos, wie er vorgehen sollte. Die Ursache schien so unbedeutend und hatte doch eine große Wirkung. Was würde erst passieren, wenn das ganze eskalierte?

 

„Madame Burger, ich kann Sie gut verstehen. Sie dürfen sich aber nicht aufgeben. Jetzt verschreibe ich Ihnen erst einmal ein Entspannungsmittel auf rein pflanzlicher Basis.“

 

Der Arzt schrieb in gut leserlicher Schrift das Medikament Maromint, das dem Namen nach an marokkanische Pfefferminze erinnerte, auf den Rezeptblock und schob es seiner Patientin über den Tisch.

 

„Herr Doktor, sollte ich mich nicht besser an die Aufsichtsstelle wenden und dort Beschwerde einreichen?“, fragte die Frau den Ohrenarzt. Man sah ihr an, wie der Zorn erneut in ihr aufstieg. „Ich lasse mich nicht so einfach beleidigen und dann auch noch aburteilen für etwas, was ich nie getan habe.“

 

„Nein, aus Erfahrung kann ich Ihnen nur sagen, dass das nichts bringt. Die Sache wird nur bagatellisiert und es würde ewig dauern, bis eine Reaktion erfolgt. In vier Wochen kommen Sie wieder zur Kontrolle. Bis dahin habe ich, Inch`allah, eine Lösung für Ihr Problem gefunden.“ Dr. Alrazi schüttelte Madame Burger die Hand und fügte noch hinzu: „Und jetzt seien Sie ein guter Christ und halten Ihrem gehässigen Kollegen auch die andere Wange hin. Empfehlen Sie ihm nicht etwas gutes, sondern das Beste. Schicken Sie ihn zu mir.“

 

„Vielen Dank, Herr Doktor, aber wer die Bibel nicht kennt, weiß auch nicht was drin steht. Hoffentlich hat er recht lange mit seiner entzündeten Nase zu tun.“

 

Mit einem warmen Lächeln verabschiedete der Arzt die Frau und wünschte ihr gute Besserung. Während er das Krankenblatt nochmals kurz überflog und es dann ablegte, hatte er auch schon eine Idee.

 

 

Dr. Alrazi hatte im Laufe der Jahre, in denen er in Frankreich praktizierte, gegen etliche rassistische Vorurteile ankämpfen müssen, doch mit seinen fachärztlichen Fähigkeiten überzeugte er jeden Kritiker. Die Patienten dankten es ihm mit blindem Vertrauen. Seine ruhige und kompetente Art wirkten beeindruckend auf die Kranken. Wie viele Mediziner seiner Rasse behandelte Dr. Alrazi nicht nur die Symptome des Patienten, sondern betrachtete das Gesamtbild. Damit ließ es sich vermeiden, Folgekrankheiten auszulösen. Die Heilung lief meist schneller von statten. In seiner Heimat war das die übliche Behandlungsweise, und es kam nicht von ungefähr, dass seit jeher die berühmtesten Ärzte aus arabischen Ländern stammten.

 

 

Wenige Tage später ließ sich ein Mann aus dem angrenzenden Ausland einen Arzttermin bei Dr. Alrazi geben, weil er in seiner Stadt mindestens vier Monate auf eine Konsultation hätte warten müssen, und er nicht im Krankenhaus wie die Masse abgefertigt werden wollte. Da er unter akuten Schmerzen litt, schob ihn der Ohrenarzt noch am gleichen Tag ein.

 

 

Dr. Alrazi begrüßte den Mann mit seiner typisch freundlichen Art. Der Mann stellte sich als Herr Klein vorund erwähnte dabei, dass seine Kollegin, Frau Burger, ihm diese Adresse empfohlen hätte. Der Mediziner musste beim Namen dieses Mannes schmunzeln, denn er passte genau zur Statue des Herrn. Während Herr Klein seine Beschwerden vorbrachte, beobachtete Dr. Alrazi den Mann genau und fand die Beschreibung seiner Patientin in allem bestätigt. Herr Klein schaute sich unterdessen neugierig um. Ihm fiel der große Garten mit den drei Pferden auf. Der Arzt musste gut verdienen.

 

„Sie sind ja genauso modern eingerichtet, wie wir in Basel, und wie viele Geräte Sie haben. Können Sie die alle bedienen?“, fragte der Mann mit Verwunderung.

 

Dr. Alrazi war verblüfft über diese unverschämte Frage.

 

„Ich bin Facharzt und arbeite in einem Industriestaat. Außerdem habe ich eine sehr niveauvolle Ausbildung hinter mir.“ Mit einem ironischen Unterton fügte er noch hinzu: „ Und im Zweifelsfalle lese ich mir die Bedienungsanleitung durch.“

 

Herr Klein musste über diese Bemerkung lachen.

 

„Verstehen Sie denn alles, was da drin steht? Sie sprechen zwar gut und akzentfrei deutsch.“

 

„Im Gegensatz zu Ihnen!“ Mit diesen Worten hatte der Arzt den Entschluss gefasst, sein Vorhaben umzusetzen.

 

„So, jetzt halten Sie mal still. Ich sehe mir Ihre Nase mit dem Endoskop an.“

 

„Haben Sie denn damit genug Erfahrung? Das ist doch eine neue Technik“, wollte Herr Klein verängstigt wissen.

 

„In der Schweiz vielleicht. In Casablanca wird das seit zwanzig Jahren routinemässig eingesetzt. Möchten Sie noch etwas kennen lernen, das es in zehn Jahren auch bei Ihnen geben wird?“

 

 

Mit ruhiger Hand führte er die etwas unangenehme Untersuchung durch. Dabei fand er ein krumm gewachsenes Nasenseptum vor. Der nachwachsende Nasenknorpel hatte sich schief ausgedehnt und engte den Nasenkanal ein. Dabei rieben die Schleimhäute permanent aneinander und waren ständig entzündet. Das verursachte unentwegt Sekretbildung. Sicher waren die Ohren bereits in Mitleidenschaft gezogen.

 

„Haben Sie öfters Ohrenschmerzen oder Druck auf dem Trommelfell?“ wollte der Arzt wissen.

 

„Meine Ohren brauchen Sie nicht zu untersuchen. Das lasse ich besser bei meinem Ohrenarzt zu Hause kontrollieren, denn das eilt nicht. Er ist Spezialist aus Bern und außerdem will ich mir hier keine Infektion holen.“

 

Herrn Klein war es entgangen, dass der Ohrenarzt sterilisierte Utensilien benutzte, die die Arzthelferin hereingebracht hatte.

 

„Als Moslem wasche ich mir fünfmal am Tag die Füße vor dem Gebet. Dementsprechend öfters wasche ich mir auch noch die Hände.“

 

„Zugegebenermaßen habe ich nichts von der Untersuchung gespürt, aber ich weiß nicht, ob Sie überhaupt etwas gesehen haben“, insistierte der kleine Mann.

 

Dr. Alrazi erklärte Herrn Klein, wie es um seine Nase stand und was zu tun sei. Außerdem machte er ihn auf die Kostenregelung aufmerksam. Dabei wirkte er äußerlich ruhig und gelassen, obwohl er zu gerne vor Freude durch den Raum gesprungen wäre. Heute würde er für Frau Burger Schmerzensgeld fordern.

 

„Wenn Sie akute Schmerzen in den Nebenhöhlen haben, keine Luft bekommen und Ihre Ohren lieber in ein paar Monaten von einem Spezialisten untersuchen lassen wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als das Septum zu operieren. Wie steht es denn mit Ihrem Tenor?“

 

„Kein Tenor. Ich bin Bass, das hört man doch“, antwortete der auf einmal sehr alt wirkende Mann.

 

„Ich meinte Ihre Grundstimmung. Vielleicht sollte ich mich etwas einfacher ausdrücken. Übrigens liegt mein Gebührensatz beim 4,5-fachen des normalen Satzes, entsprechend meiner Qualifikation.“

 

Dr. Alrazi nahm das Rechnungsformblatt zur Hand und notierte die entsprechenden Codes.

 

„Das macht dann 1200 Euro für die Operation plus 90 Euro für die Endoskopie und weitere 150 Euro Nebenkosten für zusätzlichen Aufwand. Die Anästhesie erlasse ich Ihnen. Die wird von meinem arabischen Kollegen durchgeführt. Sie müssen wissen, Araber sind zweifelsohne die besten Anästhesisten und bekannt für ihre Vollnarkosen. Sie arbeiten präzise und schnell.“

 

„Danke, das ist nett von Ihnen. Die Rechnung können Sie direkt an meine Versicherung schicken.“

 

„Oh nein, das geht nicht. Sie müssen als Ausländer bar oder mit Scheck bezahlen, und das bitte im Voraus.“ Dr. Alrazi wartete, bis der Mann widerwillig den Scheck ausgestellt hatte. Er steckte das Papier in die Schublade und bat Herrn Klein in ein anderes Zimmer.

 

Der Mann zögerte erst und wand ein: „Kann man das nicht auch mit Lokalanästhesie operieren?“

 

„Nein, das ist eine Operation am Kopf und wird dementsprechend auch dort betäubt. Würden Sie jetzt bitte kommen.“ Der Ohrenarzt öffnete die Tür und ließ den Patienten zuerst eintreten. Der Vollblutaraber stand mit angelegten Ohren da und traf Herrn Klein mit beiden Hinterhufen gleichzeitig an der Stirn.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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