David Becker

Der liebe Nachbar


  
Helmut K. lebt in einer ruhigen Neubausiedlung am Rande einer ruhigen Stadt. Eine hübsche Gegend mit vielen Spielplätzen und gepflegten Grünanlagen. Einen Supermarkt in der Nähe gibt es ebenso, wie eine gemütliche Eckkneipe. Hier gastiert Helmut K. des öfteren und hält bierbeseelte Reden zur Lage des Landes und seiner Neubausiedlung. Seine gesichtslosen Kumpanen, allesamt Mitglieder des alteingesessenen Schützenvereins << Mutiger Jäger e .V >> , klatschen Beifall und stimmen der Meinung Helmuts zu. Ja, beliebt ist er und K. reiht sich ein in die Riege der Gesichtslosen. ,,Verdammte Politiker’’, schreit er immer wieder. ,,Uns, dem kleinen Mann wird es hinten und vorne aus der Tasche gezogen.’’ Helmut K. redet sich in Rage und wird immer lauter dabei. Alle Gesichtslosen stimmen ihm kopfnickend, das Glas Bier in der Hand haltend, zu.
Gegen 22.00 Uhr verlässt Helmut K. die Eckkneipe um sich, von Alkohol umnebelt, in seiner gemütlichen Wohnung ins Bett zu begeben. Seine Frau schläft bereits tief und fest. Sie hat Watteknäuel in den Ohren, denn seit längerer Zeit lärmt es in der Wohnung über ihnen. Die Watteknäuel erfüllen ihren Zweck sehr gut, denn sie hört auch ihren hereinpolternden Ehemann nicht. Sie wartet schon lange nicht mehr auf ihn.
Helmut K. legt sich auf seine Seite des Bettes, ist kurz vorm Einschlafen, als er dieses Wimmern aus der Wohnung über sich vernimmt. ,,Nicht schon wieder.’’, sagt Helmut K. , mehr so leise zu sich selbst. ,,Bitte, nicht schon wieder’’, schon lauter, aber wieder nur zu sich selbst sagend.
Drei Meter höher.
Ein lautes Krachen ertönt, der Vater des 7-jährigen ist außer sich vor Wut. Immer und immer wieder prügelt er auf den am Boden liegenden Jungen ein, der Arme und Beine anwinkelt, um seinen geschundenen Körper zu schützen. ,,Nein Vater, hör auf damit ...bitte... bitte!’’
,,Es ist nur das Beste für dich, glaube mir. Ein paar Schläge haben noch nie geschadet. Sie haben auch mir nicht geschadet. Es ist nur zu deinem Besten.’’
Nach einer Stunde ist die Tortour zu Ende.
Er nimmt die Flasche Bier, die er auf dem Schreibtisch seines Sohnes abgestellt hat und begibt sich aus dem Kinderzimmer hinaus. Unter einer Bierlache liegen verstreut die Hausaufgaben, mit denen sich Dennis so schwer tat. Jetzt liegt er wimmernd auf dem Boden seines Zimmers und weint so viele Tränen wie noch nie. ,,Ich bin hingefallen’’, wird er morgen in der Schule sagen müssen. Wie immer.
Im Zimmer unter ihm, nur durch ein wenig Wohnungsdecke getrennt, liegt Helmut K.
Er hat sich tief in sein Kissen vergraben und vernahm doch jedes Wort und dieses schreckliche Wimmern. ,,Na endlich ist Ruhe da oben, habe morgen wieder einen harten Tag vor mir.’’ Das Leben als mutiger Jäger scheint anstrengend. Helmut K. schläft selig ein. Er hat in seinem Leben gelernt, dass zur guten Erziehung auch hin und wieder ein paar aufmunternde Klapse gehören. Am nächsten Tag macht sich Frührentner Helmut K. auf den Weg zur Eckkneipe. Unterwegs begegnet er dem Vater von Dennis. Sie sagen sich kurz und freundlich ,,Guten Tag’’ und Helmut K. bemerkt nicht, das Dennis’ Vater eine Reisetasche bei sich führt. Es geht ihn ja auch nichts an.
Am Abend, wie so oft, vernimmt er wieder dieses Jammern. Helmut K., abgehärtet und auch sonst hart im Nehmen, erträgt es. Er hat ja sein Kissen, und seine Frau die Watteknäuel. So vergeht Nacht um Nacht, mit dem einzigen Unterschied, dass das Wimmern immer leiser und leiser wird. Wie schön, denkt sich Helmut K. und kann das Kissen als Einschlafhilfe alsbald weglassen. 13 Tage nachdem sich Helmut K. und Dennis’ Vater am Spielplatz vor dem Wohnhaus begegneten, hält ein Polizeiwagen direkt vor dem Aufgang Helmut K’ s. Gleich darauf noch ein Feuerwehrwagen mit schwerem Stemmgerät. Die Männer laufen die Treppe hinauf, gleich ein Stockwerk über K’ s Wohnung. Sie stemmen die Tür auf und ein entsetzlicher Gestank schlägt ihnen entgegen. Sie tasten sich langsam von Tür zu Tür und schließlich halten sie kurz inne vor der Tür, auf der ein Aufkleber mit dem Namen ,,Dennis’’ versehen war. Sie stoßen die Tür auf und einige von den tapferen Männern sinken auf die Knie und haben Tränen in den Augen. Dennis liegt auf dem Boden seines Zimmers und jegliches Zeichen von Leben ist aus ihm entwichen. Ein Feuerwehrmann nimmt einen Brief aus Dennis’ Händen, auf dem steht, in Frauenschrift geschrieben:
 
                                                             Liebster Dennis,
 
                        Die Mama hat nicht mehr viel Zeit um mit dir zu spielen.
                        Ich bin schwer krank und es ist nur eine Frage der Zeit,
                        bis Mama von euch gehen muss.
                        Sei bitte ein großer Junge und weine nicht so viel um mich.
                        Das Leben muss weitergehen für dich, mein liebster Sohn.
 
                                                           
 
                                                                    Deine dich liebende Mutter
 
Es gibt niemanden mehr in diesem winzigen Zimmer, der seine Tränen verbergen kann.
Sie tragen Dennis in einem kleinen Sarg die Treppe hinunter, jeder Schritt fühlt sich schwerer an und tut so schrecklich weh.
Die Polizei macht sich schnell an die Arbeit und vernimmt zuerst die unmittelbare Nachbarschaft. Helmut K., wie auch alle anderen im Haus, haben nichts bemerkt.
 
 
 

Hallo lieber Leser!

Helmut K. ist Mitglied einer grauen Masse,die Tag für Tag mitschuldig ist an tragischen Ereignissen.Er hat keinen vollständigen Nachnamen, weil er stellvertretend für die oben genannte Masse von Gesichtslosen steht.
David Becker, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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