Walter Günther

Gemüse Heidi

Gemüseheidi - Das Ende

"Hey Gurke, wie lang' ham' wa' noch?" "Ich weiß nich' wie lang du hass, ich hab' jedenfalls

mindestens 32 cm, du alte Pflaume." "Oh 'Tschuldigung, heute wohl nich' so gut drauf die

Dame. Wat kann ich dafür dat se dein'n Mann au'm Buffet verteilt haben. Nee, ich mein' wie

lang' wa' no' ham', wir alle."

"Ach so, du meins' wegen der Heidi und zumachen und so..." "Ja genau und wenn ich nich'

bald gekauft werde bin ich irgendwann wirklich ne alte Pflaume."

"Nun macht ma' halblang Kollegen," meldet sich das Petersiliensträußchen aus der oberen

Reihe. "Soweit wir sehen können, geht das hier genau so weiter wie immer." "Pah," nörgelt

der Kartoffelsack von unten herauf. "Petersilie und Weitsicht, die haben ja schon von Natur

aus Petersilie auf den Augen." "Besser als Bohnen in den Ohren," kreischt das empörte

Bündel beleidigt. "Was heißt hier Bohnen?! Wir hören immer Bohnen! Seit wann haben

Bohnen Ohren?!" Wütend tanzen die prallgrünen Schoten in ihrer Kiste herum.

"Ganz ruhig, keine Aufregung," doziert die kerngesunde Knoblauchabteilung. "Hier wird's

auch weiter'in keine Vampire geben." "Weiter'in keine Vampiere geben," lästern die

Auberginen, "stinkende Knoblauchbande, Egoisten!"

"Mür üst nücht gut," jammert der vollreife Kürbis. "Mür ist rüchtüg übel." "Schnauze, ihr

Weichlinge," klirren die Kokosnüsse. "Dass Lebben ist ebben harrt, so hart wie

Kokkossnüsse. Was störrrt unss dass. Wirrr trocknen einfach auss. Davon wird man nurrr

noch härrrter."

Ja, ganz schön gestresst ist man hier in den verschieden Ablagen, Kisten, Kästen, Dosen,

Gläsern, Beuteln und Säcken in dem kleinen Gemüselädchen. Heidi würde sie verlassen. Ihre

Heidi. Die einzig wahre Heidi, mit ihren weichen Händen, die so wunderschön abwiegen

können. Hände, die einem ganz normalem Koks-Orange Apfel schon den Saft unter die

Schale treiben, wenn er nur daran denkt, von ihnen in einen herrlich knisternden Papierbeutel

gesteckt zu werden. Hände, die das Gute vom Faulen trennen, das Frische vom Verwelkten.

Die Tomaten werden rot wenn sie daran denken, wie angenehm erotisch sie zufassen kann.

Nicht die kleinste Delle hinterlassen diese zarten Finger auf den glänzenden Oberflächen. Ja

und der Kappes und erst der Wirsing. Würden jemals wieder ihre verwelkten Blätter mit

derart vehementer Eleganz abgerissen und mit bestimmender Hand in den Müll geworfen

werden, damit der zarte innere Kern die Kundenaugen erfreuen kann?

Eine Reihe von Jahren hat sie es schon gebracht, unsere Heidi. Immer bestrebt den Kunden

ein möglichst breites Angebot aus aller Herren Länder mit oft unaussprechlichen Namen wie

Mürbschwanztrillerbedonie aus der Familie der Galoschenklappmäuler zu vermitteln. Die

Beine hat sie sich in den Bauch gestanden, oder umgekehrt, bei den sinnlosen Versuchen, das

Gemüsemonopol von Dinslaken zu erringen. Mann muß früh aufstehen, wenn man die

frischsten Teile ergattern will. Jeden Morgen zum Großmarkt. Kisten schleppen, stapeln,

einladen, ausladen, einräumen. Ihr Vater bekommt heute noch lange Arme, wenn er daran

denkt. So mancher Rentner würde früh morgens viel lieber liegen bleiben. Doch auch das hat

jetzt ein Ende, ein Glück.

"Aufgepaßt!"zischen die Zwiebeln. "da kommt die dünne Tussi mit dem Charlotten-Tick."

"Ganz schön scharf," kichern die Radieschen. "Die hat sich heute wieder elektrisch rasiert."

"Ein Pfund kanadische Charlotten bitte und schöne knackige, wenn's geht." "Ach wissen Sie

Frau Mehlwurm-Günzel, Charlotten habe ich heute absichtlich nicht eingekauft. Die waren ja

so fürchterlich verstoßen, daß ich Ihnen das auf keinen Fall zumuten wollte. Wie wär's denn

mit ein paar wirklich milden Zwiebeln, ganz frisch?" "Ich will doch nicht hoffen, daß Sie

nachlassen Heidi. Das ist jetzt schon das zweite Mal in sechs Jahren, daß ich bei Ihnen keine

kanadischen Charlotten bekomme. Zwiebeln! Ich stelle mir gerade vor, was passieren würde,

wenn ich meinem Mann, dem Herrn Obermüllrat Mehlwurm-Günzel ordinäre Zwiebeln

vorsetzte. Nicht auszudenken. Gut, dann geben Sie mir ein Tütchen getrockneter

Affenbrotbaumrinde. Machen wir heute halt einen Diättag. Sie hätten's eigentlich auch mal

nötig." Heidi starrt verständnislos auf diese achteckige Spinatwachtel mit dem Aussehen einer

hungernden Bohnenstange und verdrängt den Gedanken an ein Erdbeereis mit viel Sahne.

Die Zwiebeln zischen hasserfüllt.

"Tut mir leid, Frau Gehlwurm-Münzel, aber sowas führe ich wirklich nicht" - und in

Gedanken - friss doch einfach Körner du Huhn. Distinguiert klappert die Vogelscheuche

hinaus und hebt in der Türe den Unterschenkelknochen auf, der ihr gerade aus der Armani-

Jeans gefallen ist.

"Guten morgen liebe Heidi, ach was ist das für ein schöner Morgen, dieser Morgen heute

Morgen. Geben Sie mir doch bitte fünf Kilo Bananen, aber ohne Zucker halt, ich mache heute

meinen Bananentag." Gott is' die dick, denkt Heidi; und ich dachte immer ich wäre... "Ach

wissen Sie Frau Grundinger, es geht doch nichts über die Gesundheit. Ich halte jetzt schon seit

Jahren meine Diät." Ich auch, denkt Heidi. "Und wie Sie sehen, ist man kerngesund, fühlt sich

einfach jung. Ich könnte Bäume ausreißen." Klar, Mammutbäume, wie du aussiehst, sinniert

Heidi. Vielleicht hat sie 'n Mammut in der Verwandschaft, oder vielleicht frühere

Vorfahren......? "Was ist los Heidi, träumen Sie?" "Äh nein, äh......" Also wo es spricht ist

wahrscheinlich oben, lacht sie innerlich. Meiner nee, wat'n Maul, da passen bestimmt fünf

Kilo Bananen auf einmal rein...... "äh ja...ehm.. ich glaube nicht, daß meine Bananen mit

Süßstoff gesüßt sind." "Ja aber wieso denn nicht, mein Kind? Heute ist doch alles zuckerfrei.

Zucker ist doch total schädlich." Weiß ich, denkt Heidi wehmütig. "Ja aber Bananen, die

wachsen doch an......" "Denken Sie doch mal an Cola, Fanta, Kuchen, ja selbst Sahnetorte...,"

unterbricht die Kugel. Denk' ich oft dran, denkt Heidi. "Alles zuckerfrei. Zucker ist nicht mehr

in heute." Schade, denkt Heidi. "Sie meinen also gewissermaßen Chiquita-Light eh?" "Genau

mein Kind, Sie haben's erfaßt. Was tut man nicht alles für seine Gesundheit. Den ganzen Weg

vom Wagen bin ich zu Fuß gegangen."

Vergeblich versuchen sich zwei weitere Kunden an ihrem protzigen Daimler vorbei in den

Laden zu zwängen.

"Tut mit leid Frau....ähm.." "Ballermann." "Frau Ballerman, aber es gibt keine zuckerfreien

Bananen. Bananen sind Früchte, die auf Bäumen wachsen und die haben nun mal Zucker."

"Ach ja ich habe ja auch so hohen Zucker. 350 hat der Doktor gestern gemessen. Wieviel

haben denn so Bananen?" Langsam wird's ihr zu bunt. "Versuchen Sie doch mal meine

Trockenpflaumen, die führen richtig toll ab." Die Tränen schießen der molligen Fleischersfrau

in die Wülste. "Ach sagen Sie das nicht. Gerade heute morgen haben sie meinen Ulf-Thorsten

abgeführt. Wissen Sie wegen BSE zum BKA. Ich weiß gar nicht was das ist." Wirst du auch

nie erfahren, denkt Heidi und hilft der weichen Luxuskugel beim Besteigen ihrer Kutsche.

"Trockenpflaumen," jammern die Pflaumen, " wie schrecklich."

Zur Mittagszeit rauscht sie herein. Groß, blond und ihrer Mutter wie aus dem Gesicht

geschnitten. "Mutti, kannst du mir mal..." "Da mußt du den Papa fragen." "Nein, ich brauche

im Moment kein Geld." "Bist du krank Kind?" Diane nimmt sich einen knackigen Apfel und

beißt herzhaft hinein. "Immer die blöden Äpfel," meckern die Birnen. "Warum kann unsereins

nicht mal von ihr gebissen werden."

"Nein nur 'n Zwanni bis gleich." Ach 'n Zwanni ist kein richtiges Geld, denkt Heidi. Geld

fängt erst beim Papa an und wahrscheinlich beim Hunni. Komisch, daß es noch keine

Kosenamen für Tausender gibt, überlegt sie, vieleicht 'n Tunni oder 'n Tausi.

"Kriege ich aber bestimmt gleich wieder, hier hasse solange, Tschüss." Grabsch, rausch raus,

weg. Schnellebig ist die Jugend und kurzlebig die Kohle. Adieu, auf Nimmerwiedersehen,

was den Zwanni betrifft.

Dann kommen die Kinder aus der Schule. Nehmen sich Äpfel, Birnen, Pflaumen und

Pfirsiche, gerade wie es ihnen schmeckt, ja und manchmal bezahlen sie sogar dafür. Heidi

nimmt's nicht so eng, sie hat ein großes Herz, groß und weich und was sind schon so'n paar

Stückchen Obst mehr oder weniger.

Ihr Mann Erwin hat ein noch größeres Herz. Das resultiert unter anderem daraus, daß er sie

um mindestens drei Haupteslängen überragt, natürlich rein körperlich. Auch zu ihm kommen

sie nach Schulschluß, die lieben Kleinen und auch die schon etwas größeren Kleinen. Auch

bei ihm greifen sie zu ohne zu bezahlen. Auch nur kleine Teile, klein und handlich. Mal'n

kleiner Expander, mal ein Mikrofönchen, ab und an ein Netzteilchen, die niedlichen kleinen

Käbelchen, ja manchmal sogar ein kleines Gitärrchen aus der oberen Reihe. Ach, denkt auch

er, was soll's, eine Gitarre mehr oder weniger, schau dir die Heidi an, die erlebt so etwas

täglich.

Heidi schließt ihren Laden allerdings nicht, weil zuviel geklaut wurde. Sie wird in ihrem

anderen Laden, dem Musikgeschäft dringender gebraucht denn je. Wenn sie dort nur an der

Kasse säße und etwas aufpaßen würde, könnte sie sich die ewige Herumrennerei in ihrem

Gemüseladen ersparen und verdiente trotzdem mehr als vorher, denn Obst und Gemüse sind

einfach billiger als Expander und Gitarren. Dafür kann man letztere nicht essen, doch

glücklicherweise liegt die Firma W+W günstig eingebettet zwischen Bäckerei und Eissalon.

Selbst für Fastentage gibt's die Lösung. Eine Portion Pommes mit Majo aus dem 'Schmutzigen

Löffe' sollte in der Regel jeden weiteren Appetit verhindern und vom Magendrücken bis zu

unkontrolliertem Nervenzucken, gefolgt von kurzen Aufscheien, gut in Erinnerung bleiben.

"Wir heulen uns die Augen aus," schluchzen die Kirschen herzerweichend. "Aber Künder

nehmt's doch nücht so persönlich," tröstet der reife Kürbis, "wür kommen ganz sücher wieder

ün gute Hände. Mür ist auch schon ganz schlääch':" "Ach was," rufen sie, "du dummer,

sentimentaler Dickkopf, siehst du nicht, daß sie uns genau neben die Zwiebeln gestellt hat!"

"Wir mögen Kirschen nicht," zischen die Zwiebeln, "Kirschen sind was für Kinder und

außerdem, wann gibt es sie schon. Zwiebeln gibt es immer. Zwiebeln sind beständig.

Zwiebeln sind erwachsen." "Erwachsen?" kichern die Radieschen, "habt ihr sowas schon mal

gehört? Die bilden sich doch nur was auf ihre sieben Häute ein. Wenn die Kirschen soviel

Schutzanzüge anhätten, würden ihnen auch nicht die Augen tränen, von dem erbärmlichen

Gestank."

"Was wollt ihr denn, ihr kleinen roten Kullererbsen," zetern die Zwiebeln, "ihr seid ja nicht

einmal süß." "Dafür sind wir genauso scharf wie ihr, auch ohne die sieben doofen Mäntel,"

parieren die Radieschen.

"Kullererbesen?! Hat hier gerade jemand Kullererbsen gesagt?!" Die Erbsendosen neigen sich

bedrohlich nach unten um bessere Sicht auf die Zwiebeln zu erlangen.

"Ach Gott," sagt Heidi, "habe ich doch tatsächlich die Zwiebeln neben die Kirschen gestellt.

Erst mal ab, unter die Theke. "Da gehören sie auch hin," rufen die Früchte im Chor. "Neben

die ollen Kartoffelsäcke."

"Das schlägt doch dem Faß den Boden ins Gesicht," drönt es von unten. "Was bilden sich

diese lächerlichen Dreingaben eigentlich ein. Gemüse, wenn wir das schon hören. Statt froh

zu sein, daß sie auf dem Teller neben uns liegen dürfen, machen sie hier den dicken Peter."

"Nicht persönlich werden, bitte," beschwert sich die Petersilie, immerhin geben wir euch den

richtigen Geschmack." "Ihr seid doch garnicht gemeint," entschuldigen sich die Kartoffeln,

"aber die komische Melone da hinten...." "Was was, komisch?! Es soll komisch sein wenn

man Temprament hat?!" Die Honigmelonen führen einen exstatischen Tanz auf. "Es geht also

wieder mal gegen die Ausländer, wie? Da stehen wir doch vollkommen drüber, Espana olé,

rattattattatam."

Heidi kann gerade noch das lockere Brettchen festhalten, sonst wären die ganzen Melonen auf

den Boden gerollt. Was ist nur los heute, denkt sie, irgendetwas ist heute anders als sonst.

Der Tag vergeht, die Kundschaft ist zufrieden, Heidi ist zufrieden und überlegt, ob sie ihr

Gemüse nicht doch eines Tages vermissen wird. Inzwischen zu einer selbstständigen

Geschäftsfrau avanciert wird es ihr jedoch wenig Mühe bereiten, einfach ein anderes Geschäft

zu eröffnen. Vielleicht eine kleine Cafeteria in den Räumen ihres Mannes mit Verkauf von

Kuchen und Eis, Kaffe, Tee und Trinkschokolade. Keine schlechte Idee eigentlich, besonders

das mit dem Eis. Davon wird sie sich gleich erst mal ein mächtiges Teil einfahren. Eis

beruhigt und hebt die Stimmung. Fünf Minuten vor halb sieben kommt die letzte Kundin und

kauft tatsächlich den überreifen Kürbis.

"Tschüss Kollegen," ruft er überglücklich. "Macht's gut und vielleicht sehen wir uns auf

irgend einem Buffet wieder.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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