David Becker

Die weiße Blume

Die Schule ist längst zu Ende.
Im tristen Viertel dieser so langweiligen Stadt zieht es den Bergarbeiter Rudolph nach Hause. Er öffnet die Tür und der Duft von schnödem Kartoffelbrei kitzelt seine Nase.
Sie kann nicht anders, denkt Rudolph und streift seinen regendurchnässten Mantel ab. Der Hut scheint wie festgeklebt und vom Regen aufgedunsene Hände wischen das Gesicht des 35-jährigen von Regentropfen frei.
,,Wo ist Sascha'', fragt Rudolph seine Frau, die jäh zusammenzuckt.
,,Setz dich und iss den Kartoffelbrei, bevor er kalt wird'', entgegnet Susanne.
Ihre Stimme klingt ängstlich und sie vermeidet jeden Blickkontakt, zu sehr schmerzt Susanne der Anblick seiner Augen, die ausdruckslos und voller Abwesenheit zu sein scheinen.
Seit der Arbeitslosigkeit ist Rudolph gar nicht mehr zu einem normalen Leben fähig. Es war stets eine Ablenkung für ihn, diese Arbeit im stickigen Untergrund, aber nichts ist mehr wie früher, keine Umarmung, keine Zärtlichkeit und kein offenes Ohr für meine Probleme. Liebt er mich noch? Hat ein Leben mit ihm noch einen Sinn? Ich war früher so gerne für ihn da, unser Leben war von Glück erfüllt und unser Sascha war die Krönung einer Liebe die niemals enden sollte. Ich kann es ihm nicht sagen, wie mein Herz nach Liebe schreit und Tag für Tag ein größeres Stück von ihm abbröckelt. Wenn ich doch sagen könnte, wie sehr ich ihn doch liebe.
Was denkt sie sich dabei, jeden Tag dieser ekelhafte Kartoffelbrei. Bin ich ihr nichts mehr wert? Ich habe wichtige Dinge mit Sascha zu klären, muss ihn auf das harte Leben vorbereiten, und Susanne, sie scheint das Alles überhaupt nicht zu interessieren. Liebt sie mich überhaupt noch? Könnte ich ihr doch sagen wie verletzt ich bin, wie unsicher und doch voller Liebe für sie und Sascha.
Wahrscheinlich sind es die Hormone. Seit sie wieder schwanger ist, wankt ihre Stimmung wie ein Kutter auf rauer See. Ich denke es wird wieder ein Junge, genauso wie unser Sascha, dieser Prachtkerl.
Er stochert im Essen herum und legt sich wohlbedachte Worte zurecht für das Gespräch von ,,Mann zu Mann''. ,,Ich muss los, Susanne'', bellt Rudolph und verlässt, die weinende Frau zurücklassend, das Haus. Er eilt durch das triste Viertel, der Regen peitscht in sein Gesicht, er wird immer schneller, er rennt fast. Er muss seine Kapuze tief ins Gesicht ziehen um den jetzt stechenden Tropfen zu entfliehen. Es wird immer schlimmer und Rudolph beschließt, in einer Bushaltestelle nahe des Friedhofes, eine Pause einzulegen um dem gröbsten Schauer zu entgehen.
Doch da, er traut seinen Augen nicht, steht auch Sascha. Die Freude der beiden ist riesig.
,,Sascha, was machst du denn hier? Ich habe bei der Schule auf dich gewartet, hab mir große Sorgen gemacht, mein Großer,''
,,Mensch Papa, ich bin schon sechs Jahre alt und in der ersten Klasse. Jonas von nebenan hat mir ein megacooles, neues Spiel gezeigt. Du weißt schon Papa, so eines mit U-Booten und so. Ich kann es zwar noch nicht, aber Jonas will es mir beibringen. Toll oder?''
,,Mein liebster Sohn, sage bitte bescheid, wenn du das nächste Mal jemanden besuchen möchtest. Du weißt doch noch als das mit diesem Mann war, oder? Muss ich dich dauernd daran erinnern, lieber Sascha. Jedes verdammte Mal sag ich es dir, Sascha, höre doch auf mich. Ich konnte dir damals nicht helfen, bringe mich nie wieder in eine solche Situation. Nie wieder, bitte!''
,,Ja Papa, ich verspreche es dir. Bitte sei mir nicht böse, ich mag nicht wenn du schreist. Ich höre auch immer wenn du mit Mama schimpfst. Ich hab dann immer ganz böse Träume.''
,,Ist schon gut mein Sohn, lass uns über deine Zukunft reden. Wenn ich so darüber nachdenke, sehe ich dich noch als mein kleines Baby. Du warst die Krönung einer Liebe die niemals enden sollte. Ich habe dich gehalten, als deine kleinen Füße dich unsicher durchs Leben trugen, habe deine Tränen getrocknet, wenn du dir den Kopf gestoßen hast, und weinte selbst, als du die Stufen der Schule das erste Mal betratest. Ich möchte nicht mehr um dich weinen müssen, mein lieber Sascha. Du wirst größer und größer und bald schon wird dein Leben von meinem und deiner Mutter losgelöst. Ich begleite dich dabei und beschütze dich, wie es sich doch für einen guten Vater gehört, oder?''
,,Deine Worte machen mich sehr traurig, Papa. Es ist kalt hier, lass uns zum Friedhof gehen. Dort ist es wärmer.''
,,Nein mein Sohn, geh nicht dorthin. Du verläufst dich dort und dann finde ich dich nicht mehr.''
Rudolph nimmt die Kapuze ab und plötzlich wärmen Sonnenstrahlen seine Haut. Tränen laufen über sein Gesicht. Er kniet sich zu seinem Sohn herunter, fasst seine kleine, kalte Hand und sagt: ,,Es wird wohl Zeit zu gehen. Ich liebe dich mein liebster Sascha.''
,,Sei bitte nicht mehr traurig, Papa.''
Rudolph legt eine weiße Blume auf das Grab, welches noch reich bekränzt ist. Einige Blumen welken schon.
Auf einem Kranz ist zu lesen:
 <<Warum nur DU, warum so JUNG, warum SASCHA, er war noch so jung>>
Rudolph Arndt aus Saalfeld geht langsam nach Hause, gleich morgen wird er wieder hier sein, wie jeden Tag.
Er öffnet die Tür und es riecht nach Kartoffelbrei. Rudolph nimmt seine Frau in den Arm und sagt:
,,Ich liebe Dich''.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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