Anna-Marie Borek

Renn so schnell du kannst...er ist hinter dir!

Es war Abend und ich ging joggen. Gestern hatte ich eine neue Strecke entdeckt, die wollte ich heute zum ersten Mal laufen. Ich liebte die Natur, ich liebte die Welt und ich liebte mein Leben.  Als ich aus meinem Haus ging, übrigens das letzte Mal in meinem Leben, stand die Sonne tief am Himmel. Ein paar Vögel zwitscherten und Schmetterlinge tanzten ausgelassen in der Luft. Es war ein schöner Tag gewesen, denn ich hatte von meinem Verlobten einen romantischen Heiratsantrag bekommen, den ich auch angenommen hatte. Bald würden wir Hochzeit feiern, ich war ja so glücklich!
 
Mit festen Schritten bog ich in den Park ein und begann, langsam aber stetig an Tempo zuzulegen. Wind kräuselte mein Haar und ich musste es andauern zurückstreichen, um nicht gestört zu werden. Schließlich hatte ich es satt und kramte in meiner Hosentasche nach einem Zopfgummi, um sie zu Recht zubinden. Die Sonne warf lange Schatten auf den Kiesweg und meine Turnschuhe knirschten auf den kleinen Steinchen. Ich genoss die ungetrübte Idylle und die Ruhe gleichermaßen. Es erinnerte mich an Frieden und Geborgenheit und Sicherheit und vor allem nahm es mir die Geschäftigkeit des Alltags.
 
Ich joggte an einem See vorbei und blieb kurz stehen, um ihn zu betrachten. Die Sonne brach sich an der Wasseroberfläche. Ein Frosch sprang ins kühle Nass, mit einem Platschen gehorchte er dem Gesetz der Schwerkraft und befand sich unter Wasser. Seerosen und Schilfgras trieben auf dem Teich oder bogen sich gemütlich im Wind. Ein Fisch sprang aus dem Wasser und tauchte wieder unter, Libellen schwirrten übers Wasser und Vögel badeten in der nähe des Ufers und inmitten vieler prächtiger Pflanzen. Das war für mich das Paradies auf Erden.
 
Ich zwang mich dazu, weiter zu gehen, und tat es auch endlich. Ich wollte ja eigentlich joggen, oder nicht? 10 Minuten später sprudelte vor mir eine frische Quelle aus dem Boden. Das Glucksen erfüllte die Luft, ich roch frisches Wasser und konnte durch den Bach bis auf den Grund sehen. Bunte Steinchen glitzerten wie rohe Diamanten in der untergehenden Sonne. Ja, ich liebte mein Leben und ich liebte es zu leben.
 
Eine Stunde später geschah ein Unglück: Ich nahm eine falsche Abkürzung und kannte mich bald nicht mehr aus! „Verdammt! Scheiße! Warum ausgerechnet heute?!?“, fluchend setzte ich mich auf einen Baumstumpf und stütze den Kopf n die Hände. Dann fiel mir mein Handy ein: Verdammt, kein Empfang!! Mit klopfenden Herzen versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen und der Panik keine Chance zu geben. Es gelang mir recht gut und ich wollte gerade aufstehen, als ich Schritte hörte.
 
Ich drehte mich um und sah einen jungen Mann auf mich zukommen. Er grinste bis über beide Ohren: „Na, etwa verlaufen?“ Im selben Moment erkannte ich seine Absichten. Er wollte mich vergewaltigen, hier!! Panisch begann ich zu rennen und mit Schrecken bemerkte ich, dass er mir folgte!! Ich lief einfach zu und bemerkte nicht, dass ich immer dichter in den Wald geriet. Der Abstand zwischen den Bäumen verringerte sich und immer weniger Licht schimmerte zwischen den Baumkronen hindurch.
 
Ich hatte wahnsinnige Angst, dass der Mann mich erwischen könnte und mich zu seinen Zwecken missbrauchen könnte. Die Panik verlieh mir einen zusätzlichen Adrenalinschock, der mich unerbittlich weiter trieb. Immer noch hörte ich den keuchenden Atem des Fremden, der noch immer hinter mir war. In rasender Geschwindigkeit raste meine Umgebung an mir vorbei, Einzelteile verschwammen zu einem farbigen Fleck vor meinen Augen. Mein Puls raste bis ins Unendliche und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich konnte nicht mehr und wollte stehen bleiben, da explodierten plötzlich goldene Sterne vor meinen Augen. Ich schrie auf, taumelte aber und fiel. Im selben Moment, als ich auf dem Boden aufschlug, wurde mir schwarz vor Augen und mein erschöpfter Körper erschlaffte ruckartig.
 
Bevor ich starb, wusste ich plötzlich, dass ich über einen Kilometer in verdammt schnellem Tempo gerannt war. Auf einmal konnte ich meine Augen wieder öffnen. Langsam stieg ich immer weiter auf. Mir dämmerte, dass ich tot war. Ich schrie, weinte und flehte, man möge mich doch wieder auf die Erde zurücklassen, aber nichts geschah. Verzweifelt wehrte ich mich gegen den Sog, der meine Seele Meter für Meter weiter nach oben brachte. Weg von der Erde und weg vom Leben.
 
Als es nichts half, erinnerte ich mich an mein Leben: Ich hatte eine wunderbare Kindheit und immer Glück gehabt. Bilder meines Lebens zogen vorbei, wie in einem Kino. Ich wollte in meinem Job Karriere machen und meinen Verlobten heiraten. Mir wurde klar, was ich schon geahnt hatte: Dass ich viel zu früh gestorben war. Es war zu früh. „Warum ich?“, schrie ich, aber alles, was ich hörte, war das Rauschen des Windes.
 
 
  Ende
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.04.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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