Er haßte sie wie die Pest,
und das umso mehr, weil sie ihn dessen ungeachtet weiter verhöhnten und ihr
gemeines Spiel fortsetzten. Nicht aus Boshaftigkeit oder Willkür - nein -
entsprach es doch ganz deren Bestimmung. Und es wäre in der Tat vermessen
gewesen, ihnen gar Emotionen zuzuschreiben.
Obwohl sie von
einem gewissen Eigenleben beseelt zu sein schienen, fand man doch bei
nüchterner Betrachtung strenge Gesetzmäßigkeiten in ihrem Tun.
Aber gerade
diese eiskalte, arrogant anmaßende Art ihrer Befehlsgebung, diese Verbindlichkeit,
die fast jeder bedingungslos akzeptierte, ja, diese ekelerregende Unterwerfung,
die man ihnen allerorts darbrachte, brachte sein Blut derart zum Kochen, daß er
unentwegt schreien wollte.
Natürlich wußte
er um die Absurdität solcher Gefühlsausbrüche. Er kannte die Übermacht seiner
Gegner und war sich durchaus bewußt, daß es ihm der Haß nicht leichter machen
würde, sie zu ertragen. Es gab kein Entkommen, keinen Weg an ihnen vorbei, denn
sein Beruf - er war Versicherungsvertreter und häufig unterwegs mit dem Auto –
konfrontierte ihn unentwegt mit ihnen.
Ehefrau,
Familie, üppiges Einkommen, ein Mercedes, ein Eigenheim draußen am Land, Erfolg
im Privat- und Geschäftsleben... Alles hatte er erreicht, und doch fand er
daran keine rechte Freude mehr. Der Haß setzte ihm vor allem gesundheitlich zu.
Neuerdings rauchte er wieder, trank viel Kaffee, schluckte Tabletten, war
leicht reizbar, litt unter Schlafstörungen und gelegentlichen
Kreislaufschwächen. Er wußte, wem er das alles zu verdanken hatte.
Tagsüber, als
Gleicher unter Gleichen, eingekeilt in dieser anonymen Masse stinkender,
röhrender, sich wie Glieder eines Wurmes vorwärts wälzender Blechkarossen,
ertrug er es leichter. Nachts aber stand er ihnen meist allein gegenüber, Auge
in Auge, als designierter Verlierer. Oft schrie er wie ein Kind, ballte die
Fäuste oder stieß Flüche und obszöne Beschimpfungen aus, um zu beeindrucken.
Immer erfolglos, versteht sich.
Manchmal, wenn
es besonders schmerzte, nahm er sich fest vor, einen Psychiater ins Vertrauen
zu ziehen. Aber was halfen schon Spritzen und Therapien gegen diese durchaus
realen Feinde?
Seine Frau, die
von alledem nichts wußte, führte die Symptome auf berufsbedingten Streß zurück
und kümmerte sich aufopferungsvoll um sein privates Wohlbefinden. Doch Dank
erntete sie keinen, statt dessen manche üble Zurechtweisung und penible Kritik,
sobald im Haus nicht alles tipptopp war. Es wurde täglich schlimmer mit ihm.
Dabei war er wenige Monate zuvor ein ausgeglichener, mit sich und der Welt
zufriedener Mensch gewesen.
Begonnen hatte
sein Leiden aufgrund eines einschneidenden Erlebnisses in einer jener düsternen
Spätherbstnächte:
Die Landstraße,
feucht vom Regen, schmierig vom faulenden Laub der Bäume, zwang ihn, langsam zu
fahren. Er mußte einen Kunden besuchen - nach 22 Uhr. Die Ausnahme zwar, aber
durchaus ärgerlich, denn er hatte dafür kurzfristig seinen allwöchentlichen
Skatabend mit guten Freunden absagen müssen.
Nun, es ging um
ein dickes Geschäft, das er sich unmöglich entgehen lassen durfte. Der Kunde -
ein wohlhabender Landwirt - genoß außerdem diverse Vorzüge bei seiner
Versicherungsgesellschaft, zahlte er doch schon seit über 40 Jahren treu seine
Beiträge, ohne je irgendwelche Dienste in Anspruch genommen zu haben. Das
verpflichtete zu Service und Pünktlichkeit.
Letzteres
gestaltete sich bald zu einem ernsthaften Problem, denn ein Warnschild unterwies
ihn, bis auf Schrittempo herunter zu bremsen. Als nächstes folgte ein Schild,
welches die Präsenz einer mobilen Ampelanlage ankündigte. Danach erst folgte
das Baustellenzeichen. Rauher Granatschotter pikste die Reifen. Quer zur
rechten Straßenhälfte stand eine Absperrung, behängt mit schwach blinkenden,
gelben Lämpchen. Dahinter fehlte ein Stück Teer - ein Hindernis, welches es durchaus
abzusichern galt.
Und die nicht
allzu breite, doch kerzengerade Straße irgendwo auf freier Pläne, einem Stück
unbewohntem Land, das der Nebel mied, eine Straße, die selten mehr als drei Autos
pro Stunde sah, sie erfuhr jetzt durch diese stolze, grell leuchtende Ampel
eine fast peinlich übertriebene Aufwertung. Die Ampel für die Gegenfahrbahn -
nur einen Steinwurf weiter vorne - kehrte ihm den Rücken zu und gab dem nicht
vorhandenen Verkehr derzeit grünes Licht, welches sich deutlich auf dem Asphalt
spiegelte.
Er, der es eilig
hatte, sah sich vom giftigen Rot geblendet und somit gezwungen, zu warten.
Worauf eigentlich? Eine Hälfte der Straße war doch frei. Und weit und breit keine
Menschenseele. Zwanzig, allenfalls dreißig Meter, die auf eine Spur eingeengt
wurden. Kurz Gas gegeben und man wäre vorbei. Er fragte sich, ob die Arbeiter
nach Feierabend vergessen hatten, die Ampel auf Warnblinklicht umzuschalten.
Aber er tröstete
sich damit, daß sie ohnehin bald umschalten würde, denn lange zuvor hatte er sie
auf Rot gesehen, während er sich ihr näherte. Ein nervöser Blick zur Uhr: Schon
über eine Minute stand er jetzt. Erstmals entlud sich seine Spannung in
leichten Unmutsäußerungen. Er legte den Gang ein, ließ die Kupplung langsam
kommen, konzentriert das schmerzende Rot beobachtend, um den ersehnten
Farbwechsel nicht zu verpassen. Dabei bestand überhaupt keine Gefahr, von
hinten angehupt zu werden.
Keine
Veränderung.
Ob er einfach
losfahren sollte? Das ``Stop´´ ignorieren? Regeln brechen? Sich strafbar machen?
Er war ein rechtschaffener Mensch, rechtschaffen genug jedenfalls, um selbst
eine solch offensichtliche Schikane ergeben hinzunehmen.
Zwei Minuten
später wurde ihm die Absurdität dieser Szene erst in vollem Ausmaß deutlich: Da
stand er mit seinem Wagen ganz allein vor einer möglicherweise defekten Ampel,
wartete ohne jeden erkennbaren Sinn, einzig, weil das Licht es so wollte. Wohlgemerkt,
nicht rohe Gewalt, sondern ein LICHT zwang ihn! Der Mensch, höchstes Wesen des
Universums ob seiner Intelligenz, beugte sich der Willkür des Lichts! Er
schämte sich dessen, und in diese Scham mischte sich bald schmerzhafte Wut -
Wut über seine Hilflosigkeit.
Es vergingen
zehn Minuten. Ihm fiel ein, wie oft er ähnlich hilflos vor einer dieser
gnadenlosen Diktatoren gewartet hatte, wie ein Sklave auf den Wink seines Meisters.
Dies war die Initialzündung: Haß von nie dagewesener Stärke brandete in ihm
auf. Doch das Rot ließ sich dadurch nicht beirren. Wild fluchend wendete er
schließlich und nahm einen zeitraubenden Umweg in Kauf.
Der Landwirt war
natürlich längst im Bett, als er bei ihm klingelte. Letztendlich ging dadurch
auch das großartige Geschäft in die Binsen.
***
Seitdem haßte er
sie und kam in Rage, wo immer er ihnen begegnete. Wenn ihr Tun beizeiten auch
nutzvoll und hilfreich erschien, er sah nur das Schlechte, Teuflische in ihnen.
Am meisten demütigte ihn das Umschalten auf Rot, kurz bevor er sie erreicht
hatte. Dieses schmerzhafte In-die-Bremse-steigen-müssen, so als hätten die
Biester auf sein Herannahen nur gewartet.
Bisweilen jedoch
bescherte ihm das Schicksal noch richtige Glücksgefühle, wenn hie und da eine
besonders fiese Ampel repariert wurde. Dann stand da ein weiß uniformierter
Schutzmann mit ausgestreckten Armen, vor dem er gerne hielt, dem er am liebsten
die Füße geküßt hätte, und regelte nach menschlichem Ermessen den Verkehr.
Ja, er wünschte
sich mehr solcher Pannen der Technik, Totalausfälle oder nächtliche
Abschaltungen unrentabel arbeitender Geräte.
Leider überwogen
die negativen Erfahrungen. Es gab zu viele, die einfach unzerstörbar schienen.
Er wußte, sie würden ihn in absehbarer Zeit vollends zermürben. Vielleicht
drehte er dann durch, fuhr Amok und tötete unschuldige Menschen. Vielleicht kam
er ins Irrenhaus, wo sie ihn mit grünen und roten Lichtern weiter folterten.
Vielleicht traute er sich eines Tages nicht mehr aus dem Haus.
Nur ein Sieg
konnte ihn noch retten. Also nahm er sich vor, die widerlichste, gemeinste und
nutzloseste unter all den Ungetümen in einer günstigen Gelegenheit aufs Korn zu
nehmen und zu Schrott zu fahren.
Sie stand an
einer Kreuzung, die er täglich mehrmals passierte. Sie zeigte immer Rot, wenn
er kam. Sie arbeitete rund um die Uhr. Sie war die größte ihrer Art, eine
Chefin, arrogant wie keine. Und sie schmückte sich mit einer Blitzkamera. Ihm
war es vollkommen egal, wie sein Auto nachher aussah. Hauptsache, sie lag am
Ende flach und in Scherben vor ihm da.
Für sein
Vorhaben wählte er die frühen Morgenstunden, um keine Unbeteiligten zu
gefährden. Es lag Schneematsch auf der Straße, was ihm hilfreich entgegenkam,
denn so würde alles wie ein Unfall durch Unachtsamkeit aussehen.
Nach letzten
aufmunternden Worten und einem entschlossenen Blick nach vorne trat er ins
Gaspedal und stürzte seinem Ziel entgegen.
Der Betonpfeiler bekam nur einen kleinen Sprung.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Franz Gilg).
Der Beitrag wurde von Franz Gilg auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.07.2001.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Franz Gilg als Lieblingsautor markieren
Nebel am Cevedale
von Franz Gilg
Es handelt sich um eine Mischung aus Bergsteigerdrama und Psychothriller.
Die örtlichen Begebenheiten sind weitgehend originalgetreu wiedergegeben.
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: