Elke Vennemann

Freischreiben Unfall......

Freischreiben….

 

 

 

Diese Nikotinflecken am Himmel des Seat Marbella meiner Mutter geben mir zu denken. Sie raucht doch angeblich gar nicht. Wieso geben sie mir zu denken? Eine schrille Stimme schreit. Ist das meine?! Wieso starre ich die Decke eigentlich an?! –Ich liege im Auto. Warum?! Ich blicke mich um… Scheiße!! Ein Unfall!!!

 

 

 

Sind alle Kinder da? Eins… zwei… drei… alle da. Nein, verdammt!!! Ich war mit vier Kindern unterwegs. Ruhig bleiben…. Wo ist die Nummer vier??? Andreas, mein ältester Sohn, er ist sieben Jahre alt, sitzt hinten rechts. Er hat die Augen offen und sieht aus, wie ein Engel. Sein Kopf liegt auf seiner rechten Schulter, so, als schlafe er. Nina, meine Nichte, neun Jahre alt, sitzt neben mir und weint. Simon, fünfjährig, liegt unter meiner abgebrochenen Rückenlehne. Lukas!!! Wo ist Lukas?! Ich blicke mich hektisch um. Er ist nicht zu sehen. Panik breitet sich aus. Ich richt mich auf. Überall Scherben.

 

 

 

Ich versuche, die Autotür zu öffnen. Verdammt!!! Sie klemmt. Nina klammert sich auf ihrem Sitz fest und schluchzt. „Nina, bekommst du deine Tür auf?“ Keine Reaktion. „NINA!!!“ diesmal etwas lauter. Noch immer keine Reaktion. Ich stupse sie an „Nina“ Endlich reagiert sie. „Nein…“ wimmert sie. „Alles wird gut Nina….“ „Alles wird gut…“ Hektisch versuche ich, die Fensterscheibe hinunter zu kurbeln, bis ich merke, dass gar keine Scheibe mehr da ist. Ich quetsche mich furch die Öffnung. Kein leichtes Unterfangen, da ich sehr korpulent bin.

 

 

 

Von außen versuche ich dann, die Tür zu öffnen, keine Chance, also bitte ich die Kids, im Auto zu bleiben und blicke mich um. „Was für ein Chaos!!!“ Direkt vor unserem Wagen stehen zwei Autos ineinander verkeilt. Rechts von unserem Wagen, der auf ca. 1 m Breite gestaucht ist, eine Familienkutsche. Mutti und Vati mit einem Baby auf dem Arm stehen daneben. Das Baby weint, wird getröstet. Eine Bilderbuchfamilie.

 

 

 

Ich wende mich wieder dem Seat zu. Reiße die Rückenlehne durch das Fenster heraus. Dabei öffnet sich die Tür mit einem Ruck.. und ziehe dann Simon heraus. Nina klettert hinterher. Beide scheinen einigermaßen unversehrt. Andreas rührt sich nicht. „Er sieht aus, wie ein Engel…“ geht es mir durch den Kopf „Wie ein Engel…“ Ich weise die Beiden an, sich etwas von der Unfallstelle entfernt auf die Straßeninsel zu setzen. „Bitte bleibt zusammen hier sitzen. Bitte“ Dann mache ich mich auf die Suche nach Lukas.

 

 

 

Alles ist so leicht, Wie in Watte. Ganz entfernt höre ich gedämpfte Geräusche. Immer mehr Leute stehen an er Unfallstelle. „Gaffer!!! Blut rauscht in meinen Ohren. Alles erscheint so unwirklich. Wie im Film. Ich warte darauf, dass mich jemand kneift oder dass ich endlich aufwache…

 

 

 

Ich krieche auf dem Boden umher und suche nach Lukas. Eine Frau zerrt an mir herum und will mich auf die Beine stellen. Ich wehre sie ziemlich heftig ab, kann ihr aber nicht sagen, dass ich auf der Suche nach Lukas bin. Jetzt zerrt auch noch so ein Kerl an mir herum. Ich schlage nach den Händen. Stammele nur…“Lukas… Sohn… „ Sie können daraus natürlich nicht schlau werden. „Lukas… mein Sohn…. Klein… verloren…“ Sei hören auf an mir zu zerren und krabbeln mit mir auf dem Boden umher. Sie bitten die Umstehenden um einen Moment Ruhe. Da… ein Wimmern. Es kommt unter den Autos hervor, die verkeilt vor unserm Wagen stehen. Mehrere Leute werfen sich auf den Boden, um zu gucken. Wir sehen ihn. Er wimmert… „Mama… Gott sei Dank, er lebt. Das vorderste Auto wird zur Seite geschoben. Mehrere Männer heben den hinteren Wagen an, so dass wir Lukas darunter hervorziehen können.

 

 

 

Ich versuche, ihn zu beruhigen. Er wimmert und weit, versucht, aufzustehen. Wie soll ich einem Dreijährigen klar machen, dass er liegen bleiben soll? Alles ist wie in Watte gepackt. So dumpf. „Bitte Luke, es ist ganz wichtig, dass du liegen bleibst… bitte.“

 

 

 

Wann kommt denn endlich jemand, um zu helfen? Wo bleibt die Feuerwehr? Ich tigere von Lukas zu Simon und Nina, zum Auto. Andi sitzt immer noch ganz friedlich im Wagen. Das Blech, das sich bedrohlich nahe an seiner Halsschlagader befindet, nehme ich nicht wahr oder ich versuche, es zu ignorieren. Überall ist Blut, aber auch das wird mir nicht bewusst, erst nach dem Unfall, in den immer wiederkehrenden Albträumen, habe ich dieses Blut vor Augen und höre diese schrecklichen Geräusche.

 

 

 

Ich rede mit ihm. Rede ihm wieder gut zu. …“alles wird gut… alles wird gut…“ Meine rechte Hand schlackert immer vor und zurück, vor und zurück. Ich habe sie nicht mehr unter Kontrolle. Faszinierend zu beobachten. Sie schwenkt immer vor und zurück, so als gehöre sie gar nicht zu meinem Körper, als hätte sie ein Eigenleben. Mit der anderen Hand versuche ich, sie fest zu halten. Was mir auch gelingt, bis ich vergesse, sie festzuhalten. Ich habe keine Schmerzen und gehe wie auf Wolken. Irgendwie abgehoben.

 

 

 

Noch einmal trabe ich zu Simon und Nina, rede mit ihnen. Eine Frau mit gewaltiger Oberweite kümmert sich um die Beiden und redet ihnen gut zu. Ich streichle über ihre Köpfe und gehe zu Lukas. Ein paar tröstende Worte für ihn, die er nicht hört, da er gnädigerweise ohnmächtig ist.

 

 

 

Panik kriecht meinen Rücken hinauf. Wo bleibt die Feuerwehr? Ich gehe wieder zum Auto und versuche, Kontakt mit Andi aufzunehmen. Jemand fasst mich an der Schulter und zieht mich vom Wagen weg. Ein Polizist. „Wo kommen Sie denn her?!“ frage ich ihn völlig zusammenhanglos. Er redet auf mich ein, ich kann ihn nicht verstehen. Es ist, als spräche er Latein. Bahnhof. Ich schaue ihn verständnislos an und gehe dann wieder zum Auto Er zieht mich wieder weg und versucht, sich mit mir zu unterhalten. Dann schiebt er mich in einen Krankenwagen. “Hä?! Wo kommen die denn so plötzlich her?“ Mir ist schwindelig. Er nötigt mich, auf dem Sitz im Krankenwagen Platz zu nehmen. Endlich verstehe ich, was der will. Personalien. „Warum haben Sie denn das nicht gleich gesagt?!“ Er notiert sich unheimlich langsam alle Daten. „Soll ich das aufschreiben? Dann geht´s schneller!“ Er macht langsam weiter. Scheißkerl!! Ich will aufstehen und zu meinen Kindern. Immer wieder drängt er mich zum Hinsetzen. Endlich geht er raus. Er will sich für mich nach Nina und den Jungs erkundigen.

 

 

 

Ich schleiche mich hinten aus dem RTW und schaue selber nach. Mindestens fünf oder sechs Krankenwagen. Zwei Hubschrauber. „Was ist den hier los?“ frage ich mich. An unserem Auto stehen mindestens zehn Feuerwehrleute. Ich zwänge mich durch, will zu Andreas.

 

 

 

Wieder ist dieser Scheißbulle da und zieht mich in en RTW. Sanft tadelnd berichtet er, dass Nina und Simon auf dem Weg ins Krankenhaus sind und Lukas, wenn er verbunden ist, auch weggebracht wird. Auf die Frage nach Andreas bekomme ich keine Antwort.

 

 

 

Er verabschiedet sich noch einmal uns lässt mich alleine im RTW. Kurz darauf kommt er mit der Bilderbuchfamilie zurück und platziert sie so, dass ich nicht mehr raus kann. Ich plaudere ein wenig mit ihnen. Wie ein Kaffeeklatsch, bis ich es nicht mehr aushalte und wieder aus dem Krankenwagen verschwinde, diesmal durch die Seitentür.

 

 

 

Der eine Hubschrauber ist weg, der andere steht noch da. Mehrere Krankenwagen stehen noch herum. Einer fährt gerade mit Blaulicht davon. Ein anderer fährt, ohne die Sirene einzuschalten. Jetzt sind nur noch „mein RTW“, ein weiterer Krankenwagen, ein Hubschrauber und lauter Feuerwehr – Fahrzeuge zu sehen.

 

 

 

Ungefähr zwanzig Feuerwehrleute hantieren herum. Lautes Gekreische von einer Säge ist zu hören. Ich stehe fasziniert beobachtend herum. Was für ein realer Film!!

 

 

 

Das Gekreische kommt von einer Rettungsschere, mit der Andreas aus dem Wagen freigeschnitten wird. Das ausgelaufene Öl ist schon mit Pulver abgedeckt.

 

 

 

Mitten auf der Kreuzung liegt ein Damenschuh. Ich betrachte ihn genau. Etwa Größe 39, vielleicht40. Irgendwas will der Schuh mir sagen. Albern. Wie magisch angezogen, schaue ich ihn an. Der kommt mir bekannt vor. „Denk nach… denk nach…“ rumort es in meinem Kopf. Ich habe das Gefühl, diesen doofen Schuh schon eine Stunde zu betrachten. Langsam wandert mein Blick von Schuh über die Strasse, wo die Scherben regenbogenfarbig in der Sonne glänzen, über den staubigen Asphalt mit den undefinierbaren Flecken…“hoffentlich ist das kein Blut, kein Blut…“ hin zu meinen Füßen. Wieso habe ich denn nur einen Schuh an? Nachdenklich betrachte ich meine Füße und komme zu keinem Ergebnis. Eine Woge von Scham überkommt mich, als ich das Loch in einem der Socken betrachte und den Schmutz. Ich lasse meinen Blick wieder schweifen. Er bleibt bei dem auf der Strasse liegenden Schuh hängen. Langsam, quasi in Zeitlupe, gehe ich darauf zu. Es erscheint mir unendlich wichtig, den Schuh zu erreichen, bevor mich jemand anspricht, oder mich auch nur bemerkt. Ich grapsche nach dem Schuh und ziehe ihn an. Das heißt, ich versuche, ihn anzuziehen. Nehme nichts mehr um mich wahr. Alles ist weit, weit weg. Es existieren nur noch der Schuh und ich. Albern!!!

 

 

 

Alles ist schwarz für einen Moment. Wo bin ich?

 

 

 

Dann erinnere ich mich an den Schlüssel, der noch im Zündschloss steckt, wie soll ich daheim in die Wohnung kommen? frage ich mich. Ich drängele mich an den Feuerwehrleuten vorbei zu Fahrertür und will danach greifen. Sie ist nicht da die Tür. Da zieht mich ein Typ im weißen Kittel vom Auto weg, um mich mit überflüssigen Fragen zu belästigen. Mein Arm schleudert schon wieder vor und zurück. Bar jeglicher Kontrolle meinerseits.

 

 

 

Der doofe Polizeibeamte ist auch wieder da. Ich resigniere. Scheint so. als käme ich nicht mehr an meinen Schlüssel ran. Aber meinen Schuh habe ich. „Ätsch!“ Der Polizist sülzt mich voll. „Blablabla… Schuld…. Unfall… 8 Fahrzeuge…“ Als er mich fragend ansieht, verstehe ich zumindest, dass er eine  Antwort haben will. Ich habe zwar die Frage nicht verstanden, aber was soll´s? Wenn er mich dann in Ruhe lässt. „Ja…ja“ ich versuch zu nicken und ihm in die Augen zu schauen, aber nehme nichts von dem auf, was er sagt, scheint auch nicht wirklich wichtig zu sein.

 

 

 

Die Frau, die sich um Simon und Nina gekümmert hat, die mit der gewaltigen Oberweite, nimmt mich in en Arm. Sie drückt mir ein Mobiltelefon in die Hand und sagt mir, dass ich irgendwo anrufen soll. Ich schaue sie verständnislos an. Wir wählen verschiedene Nummern, können aber niemanden erreichen. Bei dem Bruder meines geschiedenen Mannes erreichen wir dann etwas. Ich teile ihm mit, dass wir einen Unfall hatten, dass ich nichts weiter weiß und der Hubschrauber noch hier steht. Ziemlich konfus. Er schaltet schnell und stellt die richtigen Fragen. Gut. Er wird sich um alles kümmern. Ich versuche, den Hörer aufzulegen. Damals war ein Mobiltelefon ein Ding, was Ärzten und neureichen Angebern zu Eigen war, aber nicht mir, deshalb war mir nicht so ganz geläufig, wie ich denn nun auflegen sollte. Ich habe den Hörer einfach auf die nicht – vorhandene Gabel gelegt und dann ganz entsetzt zugeschaut, wie das Telefon auf dem Boden zerschellte. Fassungslos schaue ich die Frau an. Kann nichts sagen. Sie nimmt mich einfach in den Arm, ohne sich weiter um das dumme Telefon zu kümmern.

 

 

 

Endlich entsteht Bewegung am Seat. Das Dach ist abgesägt und wird angehoben. Die Ärzte werden hektisch, die Frau führt mich weg.

 

 

 

Eine Weile später ist das laute „Knallen“ der Hubschrauberrotoren zu hören. Draußen ist es irgendwie hektisch oder rührig oder so. Ach ja, ich liege im Krankenwagen, einem der Ärzte ist es gelungen, mich auf die Pritsche zu zwingen. Überflüssig zu sagen, dass ich so festgeschnallt bin, damit ich nicht mehr aus dem Wagen abhauen kann. Komisch, ich verspüre auch keine Lust dazu. Ich bin soooo müde. Werde untersucht. „alles halb so schlimm…“ höre ich den Arzt sagen. Unterbewusst nehme ich noch wahr, dass meine Jungs und Nina in zwei verschiedenen Krankenhäusern sind und Andreas in einem Dritten. Ich bitte den Arzt, dafür zu sorgen, dass Simon, Nina, Lukas und ich in ein Krankenhaus kommen. Erst einmal da ankommen, dann weitersehen. Das Martinshorn jault. Ich werde ausgeladen. All wuseln herum. Tun ihre Pflicht.

 

 

 

„Lasst mich in Ruhe, was ist mit den Kindern?“ Lukas ist schon im Röntgenraum. Er hat sich das Schlüsselbein gebrochen, alle möglichen Gräten verstaucht, Prellungen, Gehirnerschütterung, das Gesicht ist zerschnitten und fast überall an seinem Körper ist er zerschrammt. Er schläft gnädigerweise.

 

 

 

Simon hat nicht einmal einen Kratzer abbekommen, steht aber vollkommen unter Schock, genau, wie Nina. Sie soll geröntgt werden, da sie starke Schmerzen im rechten Fußgelenk hat. Als man ihr die Jeans entfernt fallen lauter kleine Scherben auf die Liege. Sie schreit, vollkommen hysterisch. Ich halte Händchen, kann nicht bei meinen Jungs sein. Sie wird in den Röntgenraum gebracht, klammert sich an meiner Hand fest. Ich gehe mit hinein, bekomme eine Bleischürze umgehängt und kann nicht bei meinen Jungs sein. Ich nehme das fast stoisch hin.

 

 

 

Endlich ist sie fertig. Alles ist in Ordnung, nur Prellungen und natürlich der Schock. Die Kinder sind auf der Kinderstation im „Familienzimmer“ untergebracht. Ein Arzt berichtet mir, dass Andreas irgendwo in Osnabrück in einer Klinik für Gesichtschirurgie liegt. Alles wird gut. Und dass er operiert würde. „Er lebt“ sagt er noch. Ich kippe um. Die Schwestern und Pfleger können mit mir anstellen, was sie wollen. Ich bekomme Blut abgenommen, eine Spritze, die beiden Mittelfinger sind gebrochen, ein Nackenwirbel angebrochen, Prellungen, Gehirnerschütterung, Stauchungen, Kleinkram, nichts Wichtiges.

 

 

 

Als ich ins Familienzimmer komme, ist Ninas Vater, samt Freundin, schon da. Sie trösten Nina und fahren bald wieder weg. Marietta, meine Schwester, Ninas Mutter, ruft an. Derzeit ist sie in Kur, darum war Nina mit mir und den Jungs unterwegs. Sie macht mir Mut, nimmt mir die Sorgen ab, trotzdem sie weit weg ist. Keine Vorwürfe, obwohl ich ihre Tochter in einen schweren Unfall verwickelt habe. Irgendjemand hat meine Mutter, mit deren Auto ich ja unterwegs war, abgeholt und zu uns ins Krankenhaus gebracht. Sie ist erschüttert aber betont freundlich. Keine Vorwürfe. Scheint, als sei das das gemeinsame Motto. Es schimpft keiner, auch wenn ich fast darauf warte. Wahrscheinlich wissen alle, dass sie mir keine größeren Vorwürfe machen können, als ich mir selbst.

 

 

 

Die Schwester kommt, um Nina eine Tetanusspritze zu geben, wie mit dem Vater vorhin besprochen. Nina schreit. Lukas Bett wird herausgeschoben, Simon ins Fernsehrzimmer verbannt. Nur ich muss es aushalten. Nina schreit. Es kommt noch ein Pfleger hinzu. Nina schreit. Ein Arzt. Das soll doch wohl klappen. Nina schreit und zappelt so sehr mit Armen und Beinen, dass keine Chance besteht, ihr die Spritze zu geben, ohne ihr zu schaden, oder sie zu verletzen. Nina schreit,. Kein Zureden hilft. Nina schreit und schreit und schreit. Ich werde aus dem Zimmer geschoben. Wie sie ihr nun letztendlich die Spritze verpasst haben, weiß ich nicht. Aber sechs Weißkittel kommen aus dem Zimmer und scheinen Erfolg gehabt zu haben.

 

 

 

Thomas, mein geschiedener Mann, kommt vorbei. Auch er ist erschüttert. Er fährt von Ahaus, wo wir liegen, direkt nach Osnabrück ins Krankenhaus zu Andreas.

 

 

 

Nina und Simon erkunden das Krankenhaus. Ihr bevorzugter Aufenthaltsort ist das Spiel- und Fernsehzimmer.

 

 

 

Nach einigen Tagen werden Simon, Lukas und Nina entlassen. Ich weiß von Thomas, dass Andi im Koma liegt. Er erzählt mir nichts Genaues, darum gehe ich davon aus, dass es nicht gut um ihn steht. Die Drei lenken mich ab und das ist auch gut so. So bleibt einfach keine Zeit, dass ich mir mehr Sorgen mache.

 

 

 

Thomas holt uns ab. Simon fragt: „Mama, kannst du fahren, der Papa fährt immer so schnell…“ Ich bin erschüttert, dass die Jungs die Möglichkeit überhaupt in Betracht ziehen. Wegen meiner eingegipsten Hände fährt Thomas. Wir bringen Nina zu ihren Grosseltern und die Jungs heim, wo meine Mutter auf sie wartet. Ich wurde ins Krankenhaus zu Andreas verlegt. Als wir zum Krankenhaus fahren wollen, klammert sich Simon an mir fest, er ist völlig von der Rolle. so dass wir ihn mitnehmen. Er will unbedingt mit, Andreas sehen. Okay.

 

 

 

Der erste Anblick ist schrecklich. Andi liegt total apathisch im Bett. Schläuche überall und der Kopf ist bandagiert. Simon kuschelt sich weinend an ihn, doch es kommt keine Reaktion. Koma. Wie soll ich das Simon erklären?

 

 

 

Obwohl es Andi so schlecht ging, ist Simon nicht ängstlich, als er heimfährt. Er hatte gesehen, dass Andi lebt und das ist wohl sehr, sehr wichtig gewesen.

 

 

 

Die nächsten Tage verbringe ich damit, Andi Nahrungsbrei durch die Schläuche zu spritzen und ihn zu windeln und zu waschen. Was, wegen des Gipses an meinen beiden Händen gar nicht so einfach ist. Lange sitze ich an seinem Bett und schaue ihn einfach nur an. Ich bete für ihn. Komisch, so bald schwere Zeiten kommen, erinnere ich mich ans Gebet.

 

 

 

Andis Genesung schreitet, nachdem er endlich aus dem Koma erwacht ist, schnell voran. Sein Handgelenk ist gebrochen, er hat so viele Verletzungen, dass ich einfach nicht weiß, was das Schlimmste ist Sein Unterkiefer ist mehrfach gebrochen, sein gesamtes Gesicht ist zerschnitten, Gequetscht und alles kaputt. Mehrere Operationen folgen. Mit einem Rollstuhl fahre ich ihn spazieren. Wir erkunden das gesamte Krankenhausgelände. Er isst Unmengen Eis und langsam bekommt seine Haut wieder normale Farbe.

 

 

 

Als wir dann endlich in ein Doppelzimmer verlegt werden und er einen Spielkameraden hat, geht es massiv aufwärts. Nach etwas mehr als vier Wochen Krankenhaus werden wir entlassen.

 

 

 

Irgendwann auf dem Weg zur Abschlussuntersuchung, konnte ich den Unfallbericht lesen, den der Notarzt geschrieben hat. Andreas war an der Unfallstelle klinisch tot. Er wurde mehrfach widerbelebt. In dem Bericht standen auch die zahlreichen Verletzungen, die er davongetragen hatte. Kieferbrüche, Prellungen, Schnittwunden, Quetschungen, Schädel-Hirn-Trauma, die Lippe war abgerissen, Jochbein und Nasenbein gebrochen, Radiusfraktur… ich kann ich nicht an alle Fachausdrücke erinnern.

 

 

 

Hätte ich doch niemals dieses Auto ausgeliehen, um mit den Kindern, ohne passende Kindersitze, einen Ausflug zu machen. Nichts kann und wird das jemals entschuldigen. Kein Ausflug der Welt rechtfertigt die Leichtfertigkeit, mit der ich den Kindern derartige Verletzungen zugefügt habe.

 

 

 

                            (© Elke Vennemann)

 

Inzwischen ist dieser Unfall mehr als zehn Jahre her. Er hat mein bzw. unser Leben folgenreich verändert. Ich habe gelernt, mein Leben wieder zu lieben und vor allem, viel bewusster zu leben. Uns als kleine Famuilie hat das Geschehen sehr zusammengeschweisst. Mit dieser Geschichte konnte ich mich endlich davon freischreiben.

Gerade von euch Lesenden ist es mir sehr, sehr, sehr wichtig, dazu einen Kommentar, selbst, wenn er nicht positiv ausfallen sollte, zu bekommen. - Bitte.

Danke Elke

elke
Elke Vennemann, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.04.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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