Yvonne Habenicht

Auf der Suche

Wenn ich mich so im Spiegel betrachte, bin ich doch ganz okay. Sogar der Dreitagebart steht mir. Warum tue ich mich so schwer, eine Frau zu finden? Nein, ich bin kein männliches Mauerblümchen. Natürlich hatte ich schon Frauen, hübsche, nette Frauen. Aber jetzt, wo ich so auf die vierzig Jahre gehe, denke ich mal an was Festes. Muss nicht gleich eine Ehe sein, aber doch so eine, die täglich um einen ist. Kurz: ich bin das Alleinsein satt.
Zum Ausgehen bin ich zu faul. Also, mal ins Internet. Und siehe da, schon habe ich was Hübsches an der Angel. Verabredung inklusive. So, dann mal nichts wie hin.
Erst mal suche ich verzweifelt in dem Berliner Plattenbauviertel ihre Wohnung. Folglich komme ich natürlich zu spät. Sie öffnet die Tür. Na, das Bild im Internet war reichlich geschmeichelt. Ich habe Mühe, unter der Schminke das Gesicht zu erraten. Schöne Haare hat sie. Die sind nicht gefärbt, das ist echtes Blond. In die Haare könnte ich mich schon mal verlieben. Im Wohnzimmer sind Kerzen angezündet, der Tisch appetitlich gedeckt. Ich setze mich. Unser Gespräch holpert noch ein wenig. Wir essen, dann legt sie Musik auf. Wir tanzen. Ich streiche über ihr schönes Haar, stelle fest, dass sie sehr hellblaue Augen hat. Treue, liebe Augen. Plötzlich geht die Tür auf. Im Zimmer steht ein Mann im Schlafanzug. Ich fahre zusammen.
"Karin, stell die Musik doch leiser. Oh, ich wusste nicht, dass du Besuch hast. Entschuldigung. Kube, Oswald Kube. Mich stört es ja nicht, aber die Mutter meckert."
"Hornreich", sage ich, und gehe formvollendet und reiche ihm die Hand.
"Ach, der Mann aus dem Internet. Na, dann will ich mal das Töchterchen nicht weiter stören."
Ich fühle mich gemustert. Ein Vater, auch im Schlafanzug, ist immer ein Vater. Ich fühle mich regelrecht klein werden.
"Sorry", sagt meine Blondine, "Papa hat Talent im falschen Moment reinzukommen."
Hat er wirklich, denn er erscheint gleich noch mal.
"Habt ihr was dagegen, wenn ich ein bisschen dazu setze? Wenn ich mal wach bin, kann ich nicht gleich wieder schlafen."
Immerhin hat er inzwischen den Schlafanzug mit einer Jogginghose und einem Schlabber-T-Shirt vertauscht.
"Ihr könnt ruhig weiter tanzen, ich hole mir mal 'n Bier."
Natürlich tanzen wir nicht weiter. Ein Vater ist ein Vater, und ich fühle mich bemüßigt, mich mit ihm zu unterhalten, was von Bier zu Bier mühseliger wird. Als ich mich verabschiede, ist mir klar: Dies war mein erster und letzter Auftritt in diesem Haus.
Also wieder auf meine Partnerseite im Internet an. Ei, die könnte mir gefallen.
Nummer zwei hat wenigstens eine eigene Wohnung. Hübsch ist sie. So eine Sportliche, und ein liebes Lächeln hat sie. Hat gekocht. Wir sitzen zusammen und plaudern. Ist keine Dumme, diese Monika. Kennt alle Musicals, wie ich auch. Liebt die gleiche Musik. Oh, und Augen hat sie, dafür gibt es keine Worte. Da geht die Tür auf. Ein verschlafenes, kleines Mädchen kommt herein: "Mama, ich kann nicht schlafen."
Dann sehen mich große, blaue Kinderaugen erstaunt an.
"Hallo", sag ich, "ich bin der Olaf. Und wer bist du?"
Das Kind ignoriert meine Frage, als gäbe es mich nicht.
"Mama, darf ich in dein Bett gehen?"
"Klar, Mäuschen, ich komm gleich."
Ich werde noch mal ein Türtrauma kriegen, weil immer eine Tür aufgeht.
Also, nun reicht es. Ich werde jetzt einen Annonce aufgeben. Alles reinschreiben, was ich nicht will. Sie soll schlank und blond sein, nicht bei den Eltern wohnen und keine Kinder haben.
Der Erfolg ist ein voller Schreibtisch. Zuschriften, Fotos, ich finde nicht mehr durch. Dann packt mich die Wut, und ich schmeiß den ganzen Kram in den Müll. So, das war es dann, die Suche nach der Wunschfrau. Was soll das eigentlich? Ist doch albern, plötzlich, und auf diese Weise eine Frau zu suchen. Bisher bin ich ohne eine solche ausgekommen, warum nicht auch in Zukunft? Ich werde mal wieder ausgehen.
Als ich so in den vollen Papierkorb schaue, geht die Klingel. An der Tür steht meine Nachbarin.
"Tschuldigung. Haben Sie Ahnung von Waschmaschinen? Ich krieg den Anschluss nicht dicht."
Klar habe ich Ahnung. Bekomme es auch hin.
"Wunderbar", sie strahlt., "mögen Sie Lasagne? Ich habe gerade welche im Ofen."
Ich mag. Bin zum Kochen sowieso zu faul, kann es auch nicht besonders gut. Als sie den Tisch deckt, fällt mir auf, dass sie wunderbare Haare hat. Meist sind sie aufgesteckt, aber heute mal offen, fallen weich und golden über ihre Schultern. Sie lächelt mich an, und dieses Lächeln ist sehr hübsch. Grübchen hat sie dabei. Beim Lachen werden ihre Augen ganz klein. Sie lacht viel, über alle möglichen Dinge.
Seit zwei Jahren wohnen wir nebeneinander. Ich sah sie mal am Müllkasten, an der Haustür, wenn sie morgens zu Arbeit ging. Sie war eine von vielen Mietern in diesem Haus.
Wir essen und lachen. Ach, über was wir alles lachen. Kein holperndes Gespräch. Was bin ich für ein Dummkopf. Sie ist hübsch, keine Eltern, keine Kinder. Und dieses Gesicht: ich tauche hinein in ihr wunderbares Lachen. Bin ich all die Jahre blind gewesen?
Am Morgen wache ich neben ihr auf. Beim Frühstück erzähle ich ihr von meiner Suche nach der Traumfrau. Sie lacht. Ihr Lachen wird mich den ganzen Tag begleiten. Ich wusste doch, es gibt sie, die Frau für mich.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.09.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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