Teil 3 ist hier zu finden:
https://www.e-stories.de/view-kurzgeschichten.phtml?18780 Hantel-Kern-Physik
Graf Frederik von Hombug und Rick McFertig freuten sich
sichtlich beim Anblick unseres Sonnensystems. Jeder Raumfahrer,
dem dieser Anblick vergönnt war, konnte behaupten, noch einmal
lebend davon gekommen zu sein.
Diese Wiedersehensfreude wurde nur durch den sogenannten Jo-Jo-
Effekt getrübt. Wenn Sie ein Jo-Jo hinunter rollen lassen, dann
rotiert es natürlich schneller, und wenn es dann hoch läuft,
dann wird es wieder langsamer. Ein Physiker würde sagen, daß
potentielle und kinetische Energie ineinander übergehen.
Das alles würde nur theoretische Bedeutung haben, hätte nicht
der ZB-732 ein sogenanntes Hantelkern-Triebwerk.
Normalerweise katapultiert sich der ZB-732 nahe an c
(die Lichtgeschwindigkeit), und bremst dann ebenso heftig, um
seinen Kampfeinsatz zu absolvieren. Auch der Rückzug vollzieht
sich, physikalisch gesehen ähnlich, sofern es Überlebende gibt.
Auf Grund der Auseinandersetzungen im System des roten
Zwergsterns, wurde der ZB-732 bei 99.99 % Licht d.h. einem
k-Faktor von 907 freigesetzt. Graf Frederik von Hombug hatte
also das Problem einen energetischen Kredit abzuzahlen, ohne
jemals einen solchen aufgenommen zu haben. Auch bei der
Umrundung des Neutronensterns wurde ja nur der Kursvektor, aber
nicht die Geschwindigkeit geändert. Alle kinetische Energie des
ZB-732 steckte mittlerweile in der Rotationsenergie der
Hantelkerne. Im dunklen zwanzigsten Jahrhundert hatten die
meisten Bodenfahrzeuge einen sogenannten Otto-Motor. Kaum einer
der Millionen Anwender hätte die Funktionen seines Fahrzeuges
exakt beschreiben können. Ähnlich schwer fiel Graf Frederik von
Hombug das Verstehen seines Hantelkern-Triebwerks. Auf Grund
ihrer extremen Form nannte man früher die angeregten Atomkerne
schwerer Elemente Hantelkerne. Diese schweren Atomkerne
zerfielen dann sehr schnell in die Kerne leichterer Elemente.
Der Cochrane-Warp-Antrieb verwendete hingegen voll ionisiertes
Eisen-Plasma. Eisen war der stabilste nukleare Zustand, wenn
man Eisenkerne mit Hilfe von Gammaquanten in die Hantelform
anregte, dann war eine Kernspaltung nicht zu befürchten. Wenn
man nun ein hochfrequentes elektrisches Wechselfeld anlegte,
dann begannen diese Hantelkerne rasend schnell zu rotieren. Die
Physiker hatten sich immer einen Kreisel gewünscht, der nahe
der Lichtgeschwindigkeit rotierte, und dennoch nicht durch die
Fliehkraft zerlegt wurde. Die hier wirksame Gegenkraft wurde
durch die Gluonen der starken Kernkraft vermittelt. Die
Fliehkraft zog den Hantelkern etwas in die Länge, dadurch wurde
seine Rückkehr in die Kugelform verhindert. Selbstverständlich
wurde diese Energiemenge in der Außenwelt durch die räumliche
Verzerrung kompensiert, ähnlich eines Mixers der einen Teig
durchstrudelt. Die Physiker nannten diesen Vorgang
Gravitationswellen-Ankopplung an das Rest-Universum. Als
bildhafter Vergleich bietet sich die Vorstellung einer
Schiffsschraube an. Graf Frederik von Hombug hatte nun das
Problem die viel zu hohe Drehzahl der Eisenatomkerne in
irgendeine andere Energieform umzuwandeln. Graf Frederik von
Hombug studierte sorgfältig die Anzeigetafel des Triebwerks.
Wegen der vielen glimmenden und blinkenden roten Warndioden
erinnerte diese Tafel an einen Rotlichtbezirk, nicht ganz so
unmoralisch, aber etwas mehr gefährlich. Wenn man der Anzeige
trauen durfte, dann betrug die Partikeltemperatur der
Eisenkerne unvorstellbare zehn hoch vierzehn Kelvin. Falls es
zum endothermen, energieverbrauchenden Kernzerfall kommen
würde, dann würde diese Temperatur auf etwa zehn hoch zwölf
Kelvin absinken. Jeder 26/56 Fe-Kern würde in zwei
13/28 Al-Kerne zerfallen, die mit 99.99 % der
Lichtgeschwindigkeit das Weite suchen würden. Bei dieser um den
Faktor hundert niedrigeren Temperatur würde sich der ZB-732 in
eine gammastrahlende fünfhundert Kilometer durchmessende
Plasmawolke verwandeln. Das jedoch sollte man tunlichst
vermeiden. "Wenn wir uns nicht von unseren Triebwerken trennen,
dann trennen sich diese von uns", meinte Hombug. Genau zu
diesem Zeitpunkt meldete sich das Funksprechsystem, und ein
Commander Shroud von der Außenring-Überwachungsflotte wollte
unbedingt wissen wer oder was Graf Frederik von Hombug und Rick
McFertig eigentlich seien. "Also, soweit ich noch sehen kann,
werden wir die heißen Warpkerne auf Jupiter abwerfen, dann
machen wir eine atmosphärische Bremsung in der Hochatmosphäre
von Jupiter." Mit seinem Taschenmesser hatte Graf Hombug
probeweise untersucht, ob seine Klarsichtkanzel aus Acrylamid
oder aus Quarzglas bestand. Glücklicherweise war das letztere
der Fall. Commander Shroud drohte derweilen mit thermonuklearem
Beschuß. Hombug und McFertig ignorierten diese Ankündigung, da
sie wesentlich dringendere Aufgaben zu bewältigen hatten. Mit
der Notschaltung für Warpentkopplung entließ der ZB-732 seinen
Doppelwarpantrieb. Es war wirklich faszinierend anzusehen, wie
die Warpkerne in immer engeren Schraubenlinien umeinander
taumelten. Schließlich handelte es sich hier auch um ein
gegenläufiges Warptriebwerk, wobei sich fast alle Kraftfelder
gegenseitig kompensierten. Derweilen knallte der ZB-732 in die
Hochatmosphäre von Jupiter. Die geplante Vorgangsweise war, die
Hochatmosphäre von Jupiter zu durchqueren, und dann mit den
Überresten des ZB-732 in das innere Sonnensystem zu trudeln.
Weißglühende Plasmaspuren hinter sich lassend raste der ZB-732
durch die Atmosphäre des Jupiter. Am Ende dieser Prozedur würde
vom ZB-732 nur noch glühender Schrott übrig sein. Inzwischen
hatte das Warpkern-Duo den dichteren Bereich der
Jupiteratmosphäre erreicht. Gegen die nun folgenden Prozesse
war der Einschlag des Shoemaker-Levy-Kometen ein harmloses
Ereignis. Der Feuerball einer fissionsgezündeten
Fusionsreaktion schickte eine gewaltige Überschallschockwelle
durch die Jupiteratmosphäre. "Mit etwas mehr Energieeinsatz
könnten wir den ganzen Jupiter-Wasserstoff in Helium umwandeln"
sinnierte Graf Hombug. Jupiter spuckte eine gigantische Menge
an Wasserstoffplasma aus, diese fing sich dann auch in seinem
kräftigen Magnetfeld. Insgesamt wirkte das alles wie ein
violetter, halb durchsichtiger Apfel von etwa zehn Jupiter-
Durchmessern Größe. Als Kerngehäuse schimmerte Jupiter hindurch,
und am magnetischen Nord- und Süd-Pol waren wie bei einem
richtigen Apfel kegelförmige Vertiefungen, die bis in die
Atmosphäre von Jupiter hinein reichten. An diesen Stellen
strömte auch das heiße Wasserstoffplasma langsam in die
Jupiteratmosphäre zurück, was recht hübsche Polarlichter
erzeugte. Fast jeder Naturwissenschaftler hätte Gefallen an
diesem Anblick gefunden, doch auch in diesem Fall gab es
Ausnahmen. Auf dem großen Jupitermond Ganymed befand sich eine
Forschungsstation, die die Interaktion des Sonnenwindes mit der
Magnetosphäre von Jupiter studieren sollte. Von dort unten
kamen über das Funksprechsystem eine Reihe sehr unhöflicher
Worte. "Aber ich bitte Sie, meine Herren" antwortete Hombug
gelassen, "die visuelle Beobachtung der Magnetosphäre ist doch
jetzt viel einfacher." Graf Frederik von Hombug war recht froh
darüber, daß sich im äußeren Sonnensystem so große Gasplaneten
wie Jupiter und Saturn befanden. Ein kleinerer Planet, wie zum
Beispiel der Mars, wäre bei einer solchen Behandlung
wahrscheinlich zerkrümelt. Außerdem hätten sich die
Überlebenden der dort lebenden Kolonisten wieder einmal bei der
Raumflotte über Graf Hombug beschwert. Beim Flottenoberkommando
galt Jupiter schon längere Zeit als Schrottplatz, auf dem man
wirklich alles abladen konnte. Im Stillen war Graf Hombug aber
froh, daß er nicht einen der vier großen Jupitermonde getroffen
hatte, die diesen Einschlag natürlich auch nicht gut verkraftet
hätten. Zum Zielen hatte er leider keine Zeit mehr gehabt,
andererseits waren diese Monde im Vergleich zu Jupiter extrem
winzige Ziele, die man auch mit voller Absicht kaum treffen
konnte. Graf Frederik von Hombug registrierte, daß der
Bremswiderstand der Hochatmosphäre von Jupiter langsam geringer
wurde. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie sich gerade die
letzten Tragflächenfetzen weißglühend verabschiedeten, dann
drückte er den Knopf für den Schleudersitz. Als Hombug wieder
das Bewußtsein erlangte, wurde er gerade von Commander Shroud
in die Luftschleuse gezogen.
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