Mario Hedemann

Die Insel der Verlorenen - Teil 9

                                          Auf der Fähre                                 

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ich meine Karte bekam und ich mich dann endlich auf der Fähre befand. Eine Menge Leute waren mit mir auf diesem Schiff und ich dachte nur - wenn das Ding hier untergehen sollte, wird es ein richtiges Geschrei geben und alle werden sie wie von Ameisen gebissen hin und her laufen und nach Rettungsbooten Ausschau halten. In den überwiegenden Fällen kamen eh erst immer Frauen und Kinder in die Rettungsboote.

Ich weiß nicht warum und in welche Zusammenhang ich dass dachte, wahrscheinlich, weil ich ein bisschen Angst hatte, mit der Fähre  zu fahren. Ich wäre lieber geflogen, aber zu dieser Insel  gab es keinen Flug. 
 Als ich dann die Fahrt über so an der Rehling stand und auf das Wellen schlagende Meer hin aussah, wurde mir plötzlich schlecht. Im Magen überkam mich ein komisches Gefühl und ich fing auf einmal an zu frieren. Trotzdem es sehr heiß heute war, aber ich fror und zitterte unerwartet. Als ich mich umdrehen wollte und zu meinen Sitzplatz zurück zu kehren anstrebte, da wo auch mein Gepäck stand, konnte ich nicht mehr an mich halten. Im hohen Bogen übergab ich mich und das, was ich heute Morgen gegessen hatte, lief nun halb verdaut die Außenwand des Schiffes hinunter.
 Eine Frau, die diesen Vorfall wohl beobachtet haben musste, kam zu mir und gab mir ein Taschentuch.
 „Alles in Ordnung?“ erkundigte sie sich.
 „Ja ja,“ nickte ich beschämt und nahm dankend das Taschentuch entgegen.
 „Wollen Sie sich hinsetzen?“ fragte die Frau erneut.
 Mir war richtig schlecht und ich hatte das Gefühl, als müsste ich mich gleich noch mal übergeben, aber ich wollte mir diese peinliche Situation ersparen. Es reichte schon, dass es überhaupt jemand mitbekommen hatte.
 „Sie sehen ja richtig blass aus. Kommen Sie, setzen Sie sich da hin.“
Sie deutete mit dem Kopf auf eine Reihe leerer Holzsitze, die sich hinter mir befanden. Einige andere Leute saßen da und warfen mir einen schadenfrohen Blick zu.
 Die Frau nahm mich an die Hand und zog mich wie ein kleinen Jungen zu einen dieser Sitze. Auf einen von ihnen setzte ich mich. Die Frau setzte sich rechts neben mir.
"Ich hab meinen Koffer noch da drin,“ sagte ich und zeigte auf eine Tür, die zum inneren der Fähre führte.
 „Ich hole Ihnen den Koffer schon, wenn Sie mir nur sagen, wie der Koffer aussieht. Es ist glaube ich das beste, wenn Sie etwas frische Luft haben.“ Zuerst war ich skeptisch, dass sie einfach meinen Koffer nehmen könnte und damit auf nimmer wieder sehen verschwinden würde, aber ich hatte auch keine Wertsachen in den Koffer. Dann dachte ich, dass es Blödsinn ist, denn wohin wollte die Frau verschwinden? Wenn sie dass Schief verlassen würde wollen, dann müsste sie eines der Rettungsboote nehmen. Und die wurden, soviel ich weiß, nur in Notfällen heruntergelassen und nur vom Schiffspersonal. Ich beschrieb der Frau, wie mein Koffer aussah und wo er stand und dann ließ sie mich allein.
 Es war eine hübsche Frau, mit einem freundlichen Lächeln und Dunkelblonden langen Haaren. Sie war sehr Elegant gekleidet. Für einen kurzen Moment dachte ich an Loren, wie sie mich - den heulenden Jungen heute Morgen noch getröstet hatte. Das Heimweh zu ihr verlor sich allmählich und ich war froh darüber. Noch bevor ich auf diese Fähre kam, spürte ich einen dicken Kloß im Hals und ich hatte alle Mühe, mich zusammen zu nehmen, um nicht los zu heulen. Und das vor allen Fremden Menschen. Das wäre glaube ich, der peinlichste Moment in meinem ganzen Leben gewesen. Als Erwachsener wegen einer Frau zu heulen. Na und?
 Was wissen manche Leute schon von Liebe? Wie es ist, wenn man seine oder seinen Liebsten für eine Weile verlässt?
 Ich liebte Loren nun mal, daran gab es keinen Zweifel.  Als ich sie damals heiratete, hätte ich nie gedacht, dass Abschied so schmerzhaft sein kann.
 Die Frau kam mit meinen Koffer  und einer Flasche Cola in der Hand zurück.
 „Ich hoffe, dass hier ist der richtige Koffer und das Sie Cola mögen.“ Sie setzte sich neben mir. „Ja, es ist der richtige Koffer und ich trink auch gerne Cola. Sagen Sie bloß, Sie haben die Cola für mich mitgebracht?“
 „Ja, habe ich. Ich dachte, ein Schluck Flüssigkeit würde ihnen gut tun.“
 „Danke, aber ich gebe Ihnen nachher das Geld für die Cola zurück.“
 Als die Insel langsam in Sichtweite kam,  löste sich unser Gespräch auf.
 Ich nahm meinen Koffer und stellte mich wieder an die Reling. Das Mädchen sah mich von ihrem Platz aus an.
 „ Haben Sie Angst, dass  Sie es nicht zeitig von der Fähre schaffen?“ fragte sie mich.
 „Nein, ich wollte nur mal zusehen, wie so ein riesiges Schiff überhaupt anlegt“.
 Einige Leute erhoben sich von ihren Sitzplätzen und gingen ins Innere der Fähre. Das Festland, das wir anfuhren, kam immer näher auf uns zu, und irgendwie war ich froh, endlich wieder festen Boden unter den Füße zu bekommen. 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.05.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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