Norbert Schimmelpfennig

Schlechtes Gewissen

Als es an der Tür pochte, fuhr Sieghard zusammen. Ihm war schon mulmig geworden, als er vom Fenster aus gesehen hatte, wie das Polizeiauto vor dem mehrstöckigen Haus gehalten hatte, in dem er wohnte. Und jetzt wollten die Polizisten tatsächlich zu ihm!
„Ein Glück, dass ich den Ton vom Fernseher abgestellt habe, um zu hören, was im Treppenhaus vor sich geht“, dachte er sich. Es war deutlich zu vernehmen, wie die Schritte der Polizisten auf den Stufen knarrten.
Schon mehrmals hatte Dietlinde gedroht, ihn zu verraten – immer wieder war sie eifersüchtig auf ihn geworden. Verdenken konnte er ihr dies auch nicht, oft genug flirtete er mit anderen Frauen, wenn sie nicht dabei war. Allerdings hatte er es stets für einen Scherz gehalten, wenn sie ihm angedroht hatte, ihn zu verraten, und sie dann mit einem Geschenk immer wieder versöhnt.
 
Eigentlich hatte Sieghard nach der Schule etwas Anständiges machen wollen. Aber eines Tages war die Firma, bei der er und Dietlinde beschäftigt waren, in Konkurs gegangen; und eine neue Anstellung hatten sie beide bislang nicht finden können.
Näher gekommen waren sie sich an einem Donnerstag vor dem Fasching, als er sich bei einer Betriebsfeier nach Dienstschluss dummerweise eine Krawatte umgebunden hatte und sie zufällig neben ihm saß. Zu ihrem Bedauern hatte sie ihre Schere daheim vergessen; und daher hatte sie rasch ein wenig Bier über Sieghards Krawatte geschüttet und mit dem Bier hastig zwei Ringe darauf gezeichnet. Diese Krawatte hatte er seitdem nicht mehr gewaschen, sondern an einen Nagel an der Wand gehängt, so dass der Bierfleck deutlich sichtbar blieb.
 
In ihrer jetzigen Situation war es ihnen gerade recht gekommen, als sie bei einem Ausflug in die Berge auf die reiche Wanda von Sperlingsburg trafen.
Als Sieghard mit dieser dann zu flirten anfing, war das eigentlich auch in Dietlindes Sinn. Denn diese reiche Frau besaß so viel Schmuck, der obendrein bei ihr so wüst in einem großen Haufen durcheinander lag, dass Sieghard sich kaum vorstellen konnte, wie sie einen Verlust bemerken sollte. Er konnte also leicht etwas entwenden, als er bei ihr zu Hause war, worüber sich auch Dietlinde freute. Natürlich hatte er gegenüber Wanda seine wahre Identität verschwiegen und ihr als seine Adresse einen Ort genannt, der weit entfernt von seinem wirklichen Zuhause lag.
 
Aber nun hatte die reiche Wanda von Sperlingsburg vielleicht doch gemerkt, dass etwas von ihrem Schmuck fehlte, und herausgefunden, wer er wirklich war; es konnte jedoch auch Dietlinde gewesen sein, die ihn verraten hatte. Irgendetwas musste jedenfalls geschehen sein, so dass die Polizei jetzt hinter ihm her war!
Angespannt lauschte Sieghard, was die Polizisten unternahmen; anscheinend hatten sie nach dem ersten Klopfen erst einmal seine Nachbarn aufgesucht.
„... sie haben ihn dort gesehen“, vernahm Sieghard undeutlich.
 
Es pochte erneut an seine Tür, doch er blieb mucksmäuschenstill und rührte sich nicht von der Stelle.
Einen endlos scheinenden Augenblick später vernahm er, wie einer der Beamten sagte:
„Wir werden später noch einmal kommen; vielleicht erwischen wir ihn dann!“
Anschließend hörte er an ihren knarrenden Schritten, wie sie die Treppe hinab stiegen.
 
Da atmete Sieghard auf und überlegte rasch, was er tun sollte: Zunächst musste der gestohlene Schmuck, den er noch nicht weiterveräußert hatte, weg, so schwer es ihm auch fiel, sich von diesem zu trennen. Also wickelte er den Schmuck in Toilettenpapier und betätigte die Spülung.
Nachdem er sich dieser belastenden Beweismittel entledigt hatte, packte er eilig ein paar Habseligkeiten zusammen, die er unbedingt benötigte, und sah aus dem Fenster in Richtung des Polizeiautos. Dieses fuhr jedoch gerade wieder weg – wahrscheinlich glaubten die Polizisten, dass er nicht da wäre, und würden es später noch einmal versuchen.
Also musste Sieghard schleunigst fort! Er lauschte an der Tür, ob die Luft im Treppenhaus rein war. Dies schien der Fall zu sein – er konnte also das Haus verlassen, ohne aufzufallen, dachte er sich.
Als er mit seinem Koffer die Treppe hinunter ging, vernahm er in seinem Rücken eine Stimme, die ihn sogleich zusammenfahren ließ:
„Ach, wir dachten schon, Sie wären nicht da! Sie wollen verreisen?“
„Jetzt, nachdem die anderen schon weg sind, haben Sie mich doch noch erwischt ...“, meinte Sieghard resignierend. Der Polizist erwiderte:
„Wie man so sagt. Meine Kollegen sind schon weitergefahren, ich musste hier noch etwas anderes erledigen.“
Der Polizist räusperte sich, während Sieghard ihn ängstlich anstarrte, und fuhr fort:
„Wenn Sie es eilig haben, will ich Sie nicht aufhalten. Aber haben Sie zufällig gesehen, wie der Fahrer des roten Porsche das Auto Ihres Nachbarn, Herrn Winkler, angefahren und anschließend Fahrerflucht begangen hat?“
„Äh, ja, das habe ich gesehen!“
„Dann kommen Sie doch bitte zu uns auf das Revier, wenn Sie aus dem Urlaub zurück sind, damit wir Ihre Aussage aufnehmen können! Jetzt will ich Sie wirklich nicht weiter aufhalten; gute Reise!“
 
  
 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.05.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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