Hans-Peter Zürcher

Geleise 7

 
18. Mai 2007
 
Es war einmal in einem schönen, fernen Land, da wohnte einst ein recht hübscher Jüngling. Er war rechtschaffen, war weder arm noch reich, denn er hatte nichts außer einem guten Herzen. Er liebte die Natur über alles, er wusste, dass wenn er zu ihr gut war, würde auch sie zu ihm gut sein. Er pflegte und hegte ein kleines Gärtlein, das er sich vor vielen Jahren angelegt hatte, als wäre es ein Heiligtum. Dafür wurde er auch reichlich belohnt. Blumen aller Gattung und zu allen Jahreszeiten blühten zwischen den großen und kleinen Steinen auf, Hummeln und Bienen wie auch Schmetterlinge, Spinnen und Käfer hatten in demselben eine Heimat gefunden und liebten die ihnen gebotenen Unterschlupfmöglichkeiten. Seit kurzem hatten darin sogar Eidechslein ihr Zuhause eingerichtet. An schönen, milden, schönen Tagen setzte er sich gerne in sein Kleinod, beobachtete das vielfältige Treiben und ließ sich dann auch gerne zum träumen verleiten. Seit langer Zeit hatte er nämlich jede Nacht ein und denselben Traum. Ein wunderschönes, junges Mädchen erschien ihm. Lächelte ihn verzaubert und liebreizend an, winkte ihn zu sich her, lachte und wenn er ihn ihre Nähe kam, wich sie spielend zurückt, lächelt süß und löste sich in ein Nebelchen auf, das sich langsam in nichts verwandelte.
 
Es vergingen etliche, ja sogar viele Jahre, der Jüngling wurde älter, ein flotter Mann eben, sonst aber blieb alles wie es war. Sogar der allabendliche Traum vom schönen Mädchen, das inzwischen auch älter wurde und dadurch ihr aussehen leicht verändert hatte, war noch immer da. Noch viel schöner ist sie geworden, eine richtig schöne Frau. Der Herbst mit all seiner Pracht und seinen Düften war ins Land gezogen, schöne milde Tage mit klaren, kühlen Nächten. Auch an diesem schönen Herbstnachmittag saß er wieder in seinem Garten, um seine geliebte Natur abzuzeichnen, wie er dies auch schon seit vielen Jahren gemacht hatte. All seine Blumen hielt er mit Bleistift gezeichnet in seinem  Zeichenbuch fest. Und zwischen den Blumen immer wieder das Bildnis des Mädchens, das ihm jede Nacht im Traum erschien. Er war so in sein seine Skizzen vertieft, dass er nicht bemerkte, dass jemand hinter ihn getreten wer. Erst als er hinter sich jemand mit zartem Stimmchen sagen hörte: „Du, dieses Mädchen das du gerade gezeichnet hast, das kenne ich“. Erschrocken drehte er sich um, hinter ihm stand ein kleines, mageres Mädchen, nicht älter als vielleicht zehn Jahre, ein hübsches Gesicht mit großen, braunen Augen, aber sehr einfach gekleidet. „Sag das noch einmal bitte“, sagte der Mann. „Du, dieses Mädchen das du gerade gezeichnet hast, das kenne ich“. „Ja, aber sag einmal, wer bist den du, wie kommst du eigentlich in meinen Garten?“ Das Mädchen lachte, „von da“, und zeigte mit ihrem mageren Ärmchen irgendwo hin, nur nicht dahin, wo der Weg zu seinem Haus führte. „Na, geflogen wirst wohl kaum sein“ Er schüttelte seinen Kopf, -dieses Lachen, verflixt, dieses Lachen kommt mir irgendwie bekannt vor-, brummte er vor sich hin, fügte noch einige Striche auf die Zeichnung, hielt das Buch eine Armlänge von sich weg, um sein Werk nochmals zu begutachten, „genau, so ist es gut, was meinst du dazu“? Er schaute sich um, aber das Mädchen war nirgends zu sehen. „Hm, jetzt fang ich alter Spinnoggel noch an zu fantasieren“ brummte er vor sich hin, erfreute sich seines Gärtleins und schaute sich all seine Skizzen im Zeichenbuch an, langsam und bedächtig, Blatt um Blatt.
 
Der Winter kam, der Winter ging und machte dem Frühling platz und der kam dann auch, mit Pauken und Trompeten zog er ins Land, in die Gärten, Felder und Wälder. Es grünte und blühte aufs schönste. Vogelgesänge, Düfte, Blüten und Blumen, rund herum, auch im Garten von unserem Freund. Kaum dass die Sonne die Luft auf angenehme Werte erwärmt hatte, saß er wieder mit Zeichenbuch in seinem Kleinod und skizzierte drauflos. Auch sein Traummädchen malte er zwischen Blumen und Blütenzweigen. Das kleine Mädchen hatte er völlig vergessen, bis eines Tage dieses Stimmchen hinter ihm sagte:  „Du, dieses Mädchen das du gerade gezeichnet hast, das kenne ich“. „Verd...“, er schaute sich um, das Wort stockte auf seiner Zunge, da stand doch dieses Mädchen wieder hinter ihm. Ja, genau das Mädchen mit den großen, braunen Augen wie letzten Herbst. „Nun sag mal“, aber das Mädchen ließ ihn nicht weiter sprechen und fiel ihm ins Wort, „du wirst diese junge Frau bald sehen, denn sie hat auch einen Traum, genau wie du“. Sie hüpfte ums Gartenhaus herum, trällerte ein lustiges Lied vor sich hin und hielt plötzlich eine Rose in ihrer zierlichen Hand, legte diese unserem Freund auf sein noch offenes Zeichenbuch. –Solche Rosen gibt es doch gar nicht in meinem Garten-, „hm, du, woher hast du denn diese Ros......“, drehte sich um, „verschwunden, jetzt ist dieses verflixte Mädchen schon wieder weg“.
 
So vergingen viele weitere Tage, einer schöner als der andere. Der allabendliche Traum, das Mädchen und vor allem die Rose gaben ihm nun wirklich zu denken, denn die Rose war da, nein, nicht aus seinem Garten, nicht aus einem Garten in der Umgebung, denn dass hatte er nun genauestens nachgeforscht, wenn Rosen am gedeihen waren, so waren sie noch lange nicht in diesem Stadium der Blüte. Was ihm besonders zu denken gab, war, dass diese Rose einen betörenden Duft ausströmen ließ und dass sie noch nach Wochen so frisch und schön war, wie an dem Tag, als das Mädchen sie ihm auf sein Zeichenbuch legte.
 
 „Du, dieses Mädchen das du gerade gezeichnet hast, das kenne ich, Morgen, auf Geleise 7“. Unser Freund schüttelte nur müde seinen Kopf, „liebes Mädchen, du kommst und gehst ohne mir zu sagen wer du bist, du schenkst mir eine Rose, die nicht verblüht und nun erzählst du mir, dass ich morgen das Mädchen aus meinem Traum sehen werde, auf Gleis 7“. Mit dicken Strichen hatte er das schöne Gesicht seiner Traumfrau aufs Papier gemalt und mit jedem neuen Strich, so schien es ihm, sah sie plastischer aus. „Auf unserem Bahnhof gibt es nur zwei Geleis und nicht sieben oder mehr“, sagte er, während er um seine Zeichnung malte. „Geleise 7 um siebzehn Minuten nach Eins, ganz sicher“. Er schüttelte wieder seinen Kopf, „ ganz sicher, so sicher und echt wie die Rose, die ich dir schenkte“. Das Mädchen fing wieder an zu lachen und dieses Lachen liess ihn wieder aufhorchen, -dieses Lachen, woher ist mir nur dieses Lachen bekannt...., das klingt ja....., ja, genau, das klingt wie das Lachen meiner schönen Traumfrau-, „jetzt sag mir mal mein Kind, wer bist du, woher kommst du, was machst du hier“? Das lachen verlor sich im Garten, aus weiter Ferne hörte er die Worte rufen: “Geleise 7.......weiiiiiisssssse Jackeeeee“.
 
Am anderen Morgen erwachte er ganz benommen, denn er hatte kaum ein Auge zugemacht, die Worte des Mädchens gingen ihm nicht mehr aus seinem Kopf. Aber da war dieser Traum, die Rose, die immer noch in einem Wäschen auf dem Fensterbrett stand, wo er sie vor vielen Wochen hingestellt hatte, schön und betörend duftend neben seinem Zeichenbuch, dessen zuletzt gezeichnetes Skizzenblatt wie immer aufgeschlagen waren.
 
Wie im Traum zog es unseren Freund zum Bahnhöfchen ins Dorf hinunter. Beim Bahnübergang konnte er aber bereits feststellen, dass da nur die beiden Geleise, die schon seit eh und je hier waren, vorhanden sind. Leichter Nebel umhüllte das Bahnhöfchen, -komisch, das Wetter ist schön, die Luft ist trocken, wieso denn der Nebel. Ihm kamen wieder die Worte des Mädchen in den Sinn: - Geleise 7 um siebzehn Minuten nach Eins, ganz sicher -. „So, jetzt möcht ich wissen, was hier gespielt wird, die Züge fahren hier im Halbstundentakt, um siebzehn nach Eins findet in diesem Bahnhöfchen nichts statt, das auch nur annähernd an die Einfahrt eines Zuges gleichkommt“.
 
Der Bahnhof war wirklich eingehüllt von einem lichten Nebel, nicht dicht, nur ein leichtes Nebelchen. Den Bahnsteig erreichte man durch eine Unterführung, denn die ein- und ausfahrenden Züge wurden ab diesem bedient. Die Bahnhofuhr zeigte fünfzehn nach Eins, soeben fährt der Regelzug auf Geleise 1 ab. Also in zwei Minuten....., aber was ist denn das, da wo sonst Geleise 2 angeschrieben ist, steht Geleise 7. Das konnte er ganz deutlich erkennen, ja, da stand eine 7. Von weitem vernahm unser Freund das rattern eines ankommenden Zuges, ja, da gab es keine Zweifel, da kam ein Eisenbahnzug. Aus dem lichten Nebel erscheinen drei hell leuchtende Scheinwerfer einer Lokomotive, da gab es nochmals keine Zweifel, ein schneller Blick auf die Bahnhofuhr, genau siebzehn Minuten nach Eins, da gab es zum dritten Mal keine Zweifel. Auf dem Geleise 7 fuhr tatsächlich ein Zug ein und kam mit quietschenden Bremsen zum stehen. Und aus dem lichten Nebel erschien etwas weisses, wurde immer deutlicher, eine Frau in weisser Jacke erschien. Nun wurde ihm bewusst, dass es immer noch Sachen zwischen Himmel und Erde gibt, die man sich nicht erklären kann, auch nicht zu erklären braucht. Diese geschehen einfach nur, entstehen, sind da. Früher, Heute und auch in Zukunft. Der Nebel löste sich bis auf einen leichten Hauch von nichts auf. Da standen sich zwei Menschen gegenüber, die einander noch nie gesehen hatten, wahrhaftig und echt, gingen aufeinander zu, umarmten sich und küssten sich auf das Innigste. -Ja, das ist es, dieses Mädchen, die schöne Frau aus meinen Träumen, die braunen grossen Augen, genau die gleichen grossen braunen Augen wie das kleine Mädchen in meinem Garten-, ging es ihm durch den Kopf. Sie schauten einander an, indem sie sich die Hände hielten, schweigend und tief schauten sie sich in die Augen. „Mein Zug fährt um zweiundvierzig Minuten nach Eins zurück, viel Zeit bleibt uns nicht, nicht traurig sein, wir sehen uns bald wieder mein Schatz“. Und wieder herzten sich die beiden, Zusammentreffen und Abschied in einem. –Mein Schatz hat sie zu mir gesagt, mein Schatz-, eine Träne kullerte ihm über die Wange und verlor sich in der Weite seines Gesichtes. Sie löst sich sanft aus seinen Armen, ging auf ihren Eisenbahnwagen zu, der sie wieder in eine weite, ferne Welt entführte, kehrte aber schnell nochmals zurück, um ihn zu Küssen um dann endgültig im Innern dieses Wagen. Der Nebel wurde wieder dichter. Durch die dunkle Fensterscheibe des Eisenbahnwagens konnte er die schöne Frau nur schemenhaft erkenn, konnte aber genau sehen, wie sie ihm eine Kusshand nach der anderen zuwarf, die er gerne erwiderte. Er getraute sich kaum einen Blick auf die Bahnhofuhr zu werfen, noch drei Minuten. Kurz entschlossen stieg er in den Eisenbahnwagen ein und während er sich durch den engen Gang zwängte, rief er: „nur noch einen Kuss mein Schatz, ich liebe dich“. Wie in Trance verliess er den Wagen, kaum ausgestiegen, führ der Zug vom Geleise 7 ab und tauchte ein in den lichten Nebel, der sich alsdann auflöste.        
 
Nun stand unser Freund da und wusste nicht, ob er geträumt hatte oder nicht, der Bahnsteig lag in schönstem Sonnenlicht. Ein Fliederbaum aus dem nahe dem Bahnhöfchen gelegen Garten verströmte einen betörend feinen Duft. „Achtung auf Geleise 2 Zugseinfahrt, Vorsicht und bitte rasch einsteigen“.   
 
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