Engelbert Blabsreiter

Courage

 

Eines Tages fragte mich meine kleine Tochter was das Wort Courage bedeute.
Daraufhin erklärte ich ihr, dass es sich um ein Wort aus dem Französischen handelt und mit Mut oder Beherztheit zu übersetzen sei. Mit einem erstauntem "Aha" ließ sie mich dann wieder stehen und schien zufrieden zu sein.
Ein paar Tage später wurde mir dieser Begriff "Courage" in einem sehr eindrucksvollen Moment nochmals bewusst. Als ich meinen Kindern diesen Moment schilderte und noch einmal das Wort Courage damit in Verbindung brachte, strahlten Ihre Augen. Das darauf folgendes laute Lachen werde ich den Rest meines Lebens nicht mehr vergessen. 
 
Laut schnarrende Geräusche ließen mich am späten Nachmittag aufhorchen und aus dem Wohnzimmerfenster schauen. Zwei Elstern attackierten eine meiner Katzen.
Ich bin ein sehr tierliebender Mensch, aber Elstern gehörten immer schon zu den Vögeln die ich mit großem Unbehagen in unserem Garten gesehen habe.
Mehrmals konnte ich beobachten wie sie die Gelege und Nachwuchs von Singvögeln beraubten. Dies geschah immer mit großer List, Intelligenz und Beharrlichkeit, was mich zu der Überzeugung brachte, dass die Anwesenheit dieser Vögel die Vielfalt der in unserem Garten vorkommenden andern Vögel ernsthaft dezimiert.
Die Zuordnung der Elstern zur Unterordnung der Singvögel ist angesichts der hässlich schnarrenden oder krächzenden Laute die sie von sich geben nur schwer nachvollziehbar. In der germanischen Mythologie waren Elstern sowohl Götterboten als auch Vögel der Todesgöttin Hel. Dies erklärt wohl auch den Ruf der Elstern als Unheilsboten. Im Mittelalter waren sie gar als Hexentiere und Galgenvögel bekannt.
 
Nun musste ich zusehen wie zwei dieser Unholde meine zweifelsohne sehr flinke Katze in solche Bedrängnis brachten, dass sie völlig eingeschüchtert den Rückzug antreten wollte. Immer wenn sich meine Katze einer der Elstern zuwandte, hieb die andere von hinten auf sie ein. Ungläubig beobachtete ich dieses Treiben eine Weile und entschloss mich schließlich die Unholde zu vertreiben.
Doch gerade als ich den Schauplatz dieses ungleichen Kampfes betrat wurde ich auf ein junges Elsterküken aufmerksam, dass von meiner zweiten Katze Schritt für Schritt vor sich hergetrieben wurde. Die zweite Katze wurde jedoch eigenartigerweise nicht von den Elstern attackiert. Offensichtlich war ihnen nicht entgangen, dass diese Katze im Gegensatz zur anderen etwas unbeholfen war und nicht in der Lage dieses Küken zu erlegen.
Immer wenn sie einen Angriff auf das kleine Küken versuchte und zubeißen wollte schrie das Küken in einem so herzzerreißendem Ton, dass die Katze verdutzt von dem Küken abließ. Und so ging es wohl schon mehrere Minuten so. Ich konnte dem Treiben nicht mehr zusehen und entschloss mich das im Rasen sitzende Küken von dem Zugriff meiner Katze zu befreien, oder wenn es schon ernsthafter verletzt worden wäre von seinem Leiden zu erlösen.
So stand ich schließlich vor diesem kleinen Knäuel aus Flaum und Federn das mich mit erwartungsvollen Augen musterte. Das Küken hatte keinen Schwanz und sah mit übergroßen Beinen und dem für seinen buckligen Körper riesigen Schnabel fast ein bisschen komisch aus.  Meine Katze schien denselben Gedanken zu haben und schaute mich fragend an. Ich erwartete, dass das Küken die Flucht ergreifen würde beim Versuch es in die Hand zu nehmen, aber dem war nicht so.
Es ließ sich bewegungslos aufnehmen und ich hielt es sanft und ohne Druck in meiner Hand.  Das schnarrende Gekrächze seiner Eltern begleitete die Situation ständig, jedoch in diesem Moment hörte ich es nicht. Ich erhob mich um dieses lustig aussehende Wesen zu bestaunen und es auf von meiner Katze beigebrachte Verletzungen zu untersuchen, doch gerade als ich es näher inspizieren wollte riss es seinen  Schnabel auf und krächzte mich mit einem ohrenbetäubenden Schrei an. Es krächzte mir direkt ins Gesicht und der Körper verschwand beinahe hinter seinem weit aufgerissenen Schnabel. Obwohl es aus meiner Hand springen hätte können oder mich mit seinem Schnabel zu attackieren unternahm es keinen Versuch dies zu tun. Nein wieso auch.... war ich doch offensichtlich genauso irritiert wie meine Katze.
 
 Ob es jetzt damit rechnet, dass mich meine Nachbarschaft der grausamen Qual von hilflosen kleinen Vogelküken bezichtigt und als Tierquäler brandmarkt dachte ich?
Zumindest konnte es die Lautstärke ihres vermeintlichen Todesschreies nochmals steigern und ich fragte mich ob es überhaupt noch Zeit findet um Atem zu holen.
Mit herzzerreißendem kontinuierlichem Schreilaut zeigte es mir seinen riesig großen geöffneten Kehlkopf und plötzlich hatte ich das unwiderstehliche Gefühl dieses resolute Wesen so schnell wie möglich wieder los zu werden, bevor ich in diesem riesigem Schlund verschwinden würde.
Ich hatte überhaupt nicht das Gefühl der Stärkere zu sein und musste mit einem Schmunzeln auf den Lippen zugeben, dass mich dieses Küken durch die Kraft ihrer Stimme und Courage so beeindruckt hatte dass ich es mit anderen Augen betrachtete.
Schnell fasste ich den Entschluss es auf den höchsten mir zugänglichen Ast eines nahen Apfelbaumes auszusetzen und konnte mein Lachen über diesen tragischlustigen Moment nicht mehr verkneifen. Als das Küken sich auf dem Ast niedergelassen hatte schaute es mich mit einem vorwurfsvollen und trotzigen Blick an, als wollte es mir sagen..."Mann hast du lang gebraucht bis du kapiert hast was ich von dir erwarte". Mit einem letzten verachtenden Blick wandte es mir dann schließlich den Rücken zu und würdigte mich keines weiteren Blickes mehr.
Jetzt konnte ich noch weniger verstehen, warum die Indianer die Elstern als mit den Menschen befreundete Geisteswesen verehrten.
So schritt ich dann erleichtert hinweg und erst jetzt wurde mir bewusst, dass das Schnarren und Krächzen der Elstern um mich herum ein Ende gefunden hatte.
Meine Katzen sperrte ich für den Rest des Tages im Haus ein und so konnte ich sicher sein, dass das Küken zumindest die nächste Zeit nicht mehr von ihnen belästigt wurde.
 
Am anderen Tag sah ich eine fremde Katze verdutzt vor einem Strauch im Garten des Nachbarn kauern. Der Nachbar beugte sich gerade hinunter um etwas aufzuheben als ein herzzerreißender Schrei  zu mir herüber drang…….

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Engelbert Blabsreiter).
Der Beitrag wurde von Engelbert Blabsreiter auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.05.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Engelbert Blabsreiter als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Das Pferd aus dem Moor von Maren Frank



Ferien auf einem Bauernhof am Rande des Moors. Evelina wird in ein fast schon mystisches Geschehen hineingezogen, doch ihre Phantasie und ihr Feeling für Tiere und ganz besonders für Pferde lässt sie nicht im Stich.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (6)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Tiergeschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Engelbert Blabsreiter

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Der Hut von Engelbert Blabsreiter (Mystery)
Rettung unserer Katze von Paul Rudolf Uhl (Tiergeschichten)
Er war BEIRUT von Dieter Christian Ochs (Skurriles)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen