.. wenn ödes und trübes Wetter ist.
Der Frühling angeblich schon da sein soll, sich aber wahrscheinlich gerade in der Antarktis herum treibt und ein paar Eisschollen in Saarlandgröße durchs Eismeer jagt. Er macht sich also seinen eigenen Lenz, während wir im kalten und grauen Alltag einfach und völlig unmotiviert dahin dümpeln. Im Radio hört man den gewohnten Einheitsbrei und im Fernsehen kommt auch nichts Gescheites. Selbst der eigentliche Lachgarant "Erfurt-TV" hält sich bedeckt und ist ungewohnt seriös. Zeitung lesen ist auch nur ein Blättern von Hiobsbotschaft zu Hiobsbotschaft und im Internet wird man von unerträglichen Spams zugepflastert. Entweder bin ich so depressiv oder nehme ich meine Umwelt nur so wahr?
Mensch, irgendwo muss es doch Spaß geben?
Da fiel mir ein, dass ich vor langer Zeit beim Arzt mal richtig viel Spaß hatte.
Also, Termin gemacht und schnell mal zum Doc geflitzt. Schon im Treppenhaus fing der Spaß an. Ein junges Pärchen stand vor der Eingangstür und klingelte, aber nichts passierte. So wurde weiter geklingelt und geklingelt und geklingelt.
Das hatte dieses Flair von "Klingelbahn" aus der frühen Kindheit. Nur hier rannte keiner weg. Nach ein paar Minuten wurde ich Hilfe suchend um Rat gefragt.
Ich bat darum, mal kurz zur Seite zu treten bewegte mich in Richtung Tür und ...
.. las in kleinen Lettern: "Bitte drücken, die Tür ist offen."
Welch ein Erfolg und ohne Gewaltanwendung. Das Pärchen stiefelte aber schnurstracks eine Treppe höher. Vielleicht ist da oben ein Augenarzt. Ich weiß es nicht. Am Anmeldetresen war Hochbetrieb und die nette Schwester tat mir fast schon ein bisschen leid. Aber irgendwie strahlte sie trotzdem Souveränität aus, obwohl sie mich 3 mal fragte ob ich denn bestellt wäre. Und jedesmal wenn ich antworten wollte, kam entweder ein Telefonat oder ein Engel in weiß dazwischen. Inzwischen war es halb sechs, für um fünf war ich bestellt und das Wartezimmer rammelvoll. Was bietet sich mehr an, als sich still in eine Ecke zu setzen, eine Zeitschrift zur Hand zu nehmen und die Leute zu beobachten. Da ich vor gut 5 Jahren das letzte Mal beim Arzt war, gab es reichlich neue Erkenntnisse zu gewinnen. Die durchschnittliche Behandlungszeit der Patienten, die vor mir dran waren, betrug ca. 5 Minuten.
Nun weiß ich nicht, wie und was Ärzte abrechnen können und dürfen. Aber der Stundensatz ist bestimmt nicht ohne und so eine schicke Praxis in bester Citylage
ist bestimmt auch nicht billig. Ist ja eigentlich auch egal, die meisten Patienten dürften richtige gesundheitliche Probleme gehabt haben und waren schließlich zur Behandlung hier und nicht zum Spaß. Aber dafür haben sie nebenbei gesorgt.
Wie gesagt, das Wartezimmer war richtig voll als sich ein Mann von stattlicher Größe erhob zum Tresen ging und fragte, wie lange er denn, als Privatversicherter, noch warten müsse. Das wären ja unzumutbare Zustände.
Zu dieser Zeit saß ich schon knapp 15 Minuten in meiner Logenecke und wenn ich mich recht erinnere, kam der gute Mann 10 Minuten nach mir herein.
Der Typ war nicht nur groß. Nein, er hatte auch eine extrem basslastige Stimme und sehr laute Aussprache. Die Haare schulterlang, gewellt und einen Bart. Eigentlich die wahre Reinkarnation von Iwan, dem Schrecklichen. Diese Rolle löste sich aber ganz schnell in Wohlgefallen auf, da er im Gesicht krebsrot anlief und beim Sprechen kleine Tröpfchen verschleuderte. Das schien auch der Auslöser zu sein, dass die Schwester hinterm Tresen sich ebenfalls hinstellte, den Kasack straff nach unten zog und mit fester Stimme sagte, dass es in dieser Praxis keine Zwei-Klassen-Gesellschaft gibt und er sich bitte wieder beruhigen und setzen solle. Diese Bitte hat der Typ, den ich ab jetzt nur noch Iwan nennen werde, nicht als solche verstanden, seiner Stimme ein paar Dezibel mehr gegönnt und sofort nach dem Arzt verlangt.
Darauf hin fragte die Schwester, ob es denn ein Notfall wäre. Und jetzt wurde es langsam interessant. Mein kurzer Rundblick über alle Wartenden, wäre eine Kameraeinstellung wert gewesen, da alle Münder offen standen und die Augen weit aufgerissen waren.
Also, Kamera ab und "Äktschen!"
Iwan schnaubte und drohte mit Anwalt und Klage. Und als ob das nicht ausreichen würde, wurde er auch noch richtig laut. Da klingelte das Telefon, die Schwester nahm ab, sagte ihren Spruch und ignorierte gezwungenermaßen den sich wild gebärenden Iwan. Der hatte nun aber mit allem gerechnet, nur nicht mit dieser coolen Ignoranz.
Und das bewegte ihn dazu, mit einer kurzen Handbewegung zum Telefon, das Telefonat zu beenden. Das fand wiederum die Schwester hinterm Tresen nicht lustig und fragte ihn, ob sich denn so etwas gehöre. Wohlgemerkt, sie schrie nicht und wirkte auch nicht aufgebracht. Iwan ging langsam der übliche und normale Sprachschatz aus und er begann sich, über den ganzen "Sch...laden" herzuziehen.
Die Schwester blieb indes cool und sprach ganz ruhig mit den anderen Schwestern, die sich mittlerweile im Wartezimmer versammelt hatten.
Iwan griff in seine Jackeninnentasche, zog ein Handy hervor und begann eine Nummer einzutippen. Nebenbei brummelte er vor sich hin und spuckte dabei auf sein mobiles Telefon. Als das die Schwester sah, zeigte sie auf ein Schild an der Wand und fragte ihn, ob er denn zum Telefonieren nicht vors Haus gehen könnte oder so nett wäre, das Telefon auszuschalten. Diese Bemerkung erzeugte meinerseits rote Gesichtsfarbe und ein Stoßgebet, dass mein Kind jetzt nicht anrufen möge, um zu fragen, ob ich von "McDoof" was mitbringen könne. Dieser kleine Fauxpas blieb aber unbemerkt, da sich alle auf Iwan konzentrierten. Jetzt kam auch ein Arzt aus einem Behandlungszimmer, verabschiedete seine Patientin und fragte, was denn hier los wäre. Iwan schien erleichtert und erzählte dem Arzt, dass er nur mal ganz nett eine Frage gestellt hätte und die Schwester patzig geantwortet hätte. Darauf hin sagte der Arzt, dass er sich das gar nicht vorstellen könne. Iwan versicherte ihm aber die Richtigkeit seiner Aussagen und bat darum, schnell behandelt werden zu können, da er noch einen wichtigen Termin hätte. Der Arzt sagte ihm freundlich aber bestimmt, dass er jetzt leider einen Hausbesuchstermin hätte, aber seine Praxiskollegin bestimmt einmal eine Ausnahme machen würde. Mit diesen Worten verschwand der Arzt aus der Tür und eine andere Schwester geleitete Iwan zum Behandlungszimmer 3. Die nette Schwester vom Tresen ging auch in ein anderes Zimmer und wurde von einer jungen Kollegin am Tresen vertreten. Nun normalisierten sich auch sämtliche Gesichtsausdrücke im Wartezimmer und ich hatte mein Handy inzwischen auch ganz unauffällig ausgeschaltet. Nach knapp 10 Minuten kam Iwan ganz schweigsam und ruhig aus dem Behandlungszimmer und ging wortlos aus der Praxis. Im selben Moment wurde ich aufgerufen und ging in das Behandlungszimmer Nr. 2. Da saß die nette Schwester von Tresen und stellte sich mir als Frau Dr. ... vor.
Und da bekam für mich der Begriff "Fettnäpfchen" eine ganz neue Dimension.
Wow! Was für eine Show. Und was für eine Story.
Meine bessere Hälfte ist auch in der Gesundheitsbranche tätig und erzählt manchmal ähnliche aber nicht ganz so drastische Erlebnisse. Meistens war ich dann aber nicht der richtige Reflexionspartner, geht auch schlecht wenn man beim Zeitung lesen noch zuhören soll, und das tut mir auch leid. Deshalb ziehe ich jetzt an dieser Stelle
meinen Hut vor der Ärzteschaft und deren MitarbeiterInnen und gelobe Besserung.
Wobei ich aber nicht gewillt bin, zum Arzt zu gehen, wenn mir nichts fehlt. Es sei denn meine momentane Behandlung schlägt nicht an, oder mich ereilt wieder eine depressive Phase. Hoffentlich kommt keiner auf die Idee und will noch eine Zuzahlung dafür, dass es manchmal beim Arzt auch Spaß geben kann.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.09.2002.
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