Hartmut Pollack

Norma

 
Norma
 
Ein leiser Windhauch berührt die Nasenspitze. Ich schnüffele dem Geruch der Nacht hinterher. Es ist mehr als Luft, es bringt eine erste Bewegung in müde Glieder. Langsam, ganz langsam ergreift der Tag Besitz von mir. Ein Auge hebt sich hoch, das andere folgt. Unbeholfene Körperbewegungen folgen. Es scheint Tag zu sein.
Erinnerungen greifen zu. Da war doch was. Eine zarte Bewegung ist eingeprägt. Sie war schön. Sie war mehr als schön.
Verschwommen taucht ein Bild auf. Eine zarte, zerbrechliche Figur bildet sich in meinem Kopf. Sie war wahrhaftig da. Realität war sie, aber in meiner Erinnerung nur noch verschwommen. Ich rieche noch ganz im Unterbewusstsein den Duft eines Frauenkörpers. Leichter Hauch von Moschus stiehlt sich in meine Nase. Doch kein Bild formt sich.
Was war mit mir los. Ich fühle sie und sehe sie nicht. Kein Bild.
Wie eine Fee, denke ich, entschwunden und nicht gefunden. Nicht mehr als ein Gefühl, obwohl
Gefühle zu leben ist Meisterleistung. Gefühle zu haben ist Mensch. Fühlen zu können, ist der Gipfel der Menschlichkeit.
Das nächste Denken ist die Spur der Nachdenklichkeit. Ich hatte sie doch gespürt.
Dieser Hauch von Frau. Meine Nasenspitze wittert, nimmt auf.
Die Erinnerung schaltet sich ein. Meine Augen hatten sie doch erfasst. So schnell kann dieser erste Eindruck nicht in die Vergesslichkeit entgleiten.
Dunkelblondes Haar, fein strukturiertes Gesicht, eine leicht nach oben gerichtete Nase. Ich meine noch, mich an eine Sommersprosse erinnern zu können. Sie war in meinem Kopf präsent.
Ich hatte sie angesprochen, einfach so und ohne jeden Hintergedanken. Allerdings mit einem uralten Trick, den sie auch als solchen erkannt hatte.
„Waren wir nicht im Studium zusammen, in Göttingen ?“
Leicht verwunderte Augen schauten mich an.
„Meinen Sie nicht, dass diese Anmache allein unser Alterunterschied widerlegt?“
Verlegen war mein Lächeln.
„So genau wollte ich gar nicht wissen, dass ich erheblich älter oder besser gesagt weiser als Sie bin.“
Nun lachte sie auf.
„Habe ich Sie verletzt?“
„Jein!“
„Meinten Sie weiser oder weißer ?“
Ihre Augen schauten auf meinen Haare.
Nun musste ich wirklich lachen.
„Es reicht,“ hörte ich meine Stimme, „seien Sie bitte mit einem Punktsieg zufrieden. Haben Sie heute schon etwas vor ?“
Ich hatte wirklich den Mut, diese entzückende Frau zu fragen.
„ Eigentlich,“ erwiderte sie, „ habe ich einen festen Termin, aber ..“
In meinem Alter weiß man, wann man eine Chance hat. Ich hatte sie.
„Mit dem …aber … haben Sie signalisiert, dass dieser Tag interessant werden kann.“
„Kann ja, aber muss nein.“
Kluge Antwort dachte ich.
„Was wollten Sie vorhin machen,“ fragte meine dunkle Stimme. Ich war selbst überrascht.
„Ich muss in einer Bar arbeiten, aber Sie können mitkommen.“
Kein Warnsignal klopfte bei mir an.
„Ja, gerne.“
Eine interessante Frau nebelte meinen Kopf ein.
„Barbesuche sind nicht gerade meine Sache,“ hörte ich mich sagen.
„Ich reiße Ihnen den Kopf nicht ab,“ war die Antwort.
„Auf dem Weg dahin erzählen Sie doch bitte etwas von sich.“
„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Die Arbeit in der Bar ist anstrengend, doch sie macht mir Spaß. Allerdings müssten Sie ein wenig Zeit mitbringen, wenn wir nach meiner Arbeit noch etwas unternehmen wollen.“
„Das ist kein Problem.“
Da gibt es doch ein altes deutsches Sprichwort, wenns dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis tanzen.
Es wurde ein fürchterlich anstrengender Abend oder besser gesagt anstrengende Nacht. Leider aber ohne angenehmen körperlichen Abschluss.
Wie war doch das alte deutsche Sprichwort.
Norma, ihren Namen sagte sie mir gegen Morgen, brachte mich nach Hause. Ich denke mal, dass dieser Name nicht stimmte.
Meine Rechnung hatte ich kurz zuvor begleichen müssen. Sie war entsetzlich hoch und ich dementsprechend angeheitert. Mir sei diese Abschlussironie erlaubt.
Die Treppe brachte mich diese entzückende Frau noch hoch und dann verschwand sie spurlos.
Ins Bett fiel ich wie ein nasser Sack.
Erinnerungen tauchten mühsam auf. Es ist Morgen und da war doch etwas. Sie war wirklich schön. Aber sie war auch echt raffiniert.
Nicht nur Lehrlinge bezahlen Lehrgeld. Aber ich kann sie noch riechen. Ein leichter Moschusgeruch fängt sich in meiner Nase.
 
 © pk 06 / 07
 
 
 
 
 

Die Kategorie Ernüchterung stimmt hier in doppelter Hinsicht. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich diese Kategorie mit meiner Selbstironie etwas missbrauche.Hartmut Pollack, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.06.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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"Schmetterlinge im Kopf und Bauch" ist mein holpriger lyrischer Erstversuch. Mit Sicherheit merkt man, dass es keine Lektorin gab, wie übrigens auch bei den anderen beiden Büchern nicht. Ungeordnet sind viele Gedichte, Gedankenansätze, Kurzgeschichten chaotisch vermengt veröffentlicht worden. Ich würde heute selbstkritisch sagen, ein Poet im Aufbruch. Im Selbstverlag gedruckt lagern noch einige Exemplare bei mir. Oft schau in ein wenig schmunzelnd in dieses Buch. Welche Lust am Schreiben von spontanen Gedanken ist zu spüren. Ich würde sagen, ein Chaot lässt grüßen.

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