Dominik Schott

Der Künstler und das Radio


 
 
 
Musik. Lauter, wieder leiser, etwas deutlicher, leicht verzerrt.
Der Künstler liebte es, vor seinem alten, aber durch die Jahre immer treuem Radio zu sitzen, der Musik der Oper zu lauschen und gleich einem Dirigenten die Akkorde zu steuern. So saß er Tag für Tag auf seinem ungepolsterten roten Stuhl inmitten seiner kalten Küche und lauschte den warmen Klängen. Gefiel ihm ein Lied, drehte er lauter und hoffte auf einen durchweg guten Empfang. So wollte er in seiner großzügigen Art auch die Nachbarn an seinem Vergnügen teilhaben.
Missfiel ihm ein Lied, betätigte er verschiedene Knöpfe, Schalter und Räder, um das Lärmen auf ein Minimum herabzusetzen. Den Radio abschalten, das wolle er nicht.
Eines Morgens betrat der Künstler nach einer viel zu langen Nacht ohne sein Radio die Küche und fand das Gerät, dass ihm so viele schöne Stunden beschert hatte, beschädigt vor. Das Radio wollte nicht mehr spielen.
In Ermangelung technischer Fertigkeiten und Kenntnisse verzweifelte der Künstler, mied die Menschen und das Licht, und auch die Küche wollte er nicht mehr betreten. Der arme Künstler wäre gestorben, hätte Fortuna nicht ein Einsehen mit ihm gehabt.
So fand er an einem ruhigem Nachmittag  in seinem Briefkasten, den er nur noch selten leerte und welcher vor unwichtigen Briefen und Bescheiden irgendwelcher Menschen zu platzen drohte, ein Reklamezettel für eine Operdarbietung in der Stadt vor.
Der Künstler beschloss trotz der vielen Menschen, die zweifelsohne dort sein würden, die Oper zu besuchen, um sein Radio, das noch immer im Sterben lag, zu vergessen.
So saß er an jenem Abend auf einem weichgepolsterten Sessel inmitten von Menschen mit kalten Mienen in einem großen Saal. Die Musik setzte ein, bevor der Arme seine Küche zu sehr vermissen konnte und lenkte ihn von seinen trüben Gedanken ab.
Der Arme lauschte einige Momente und ihm missfiel, was er dort hörte. Er lehnte sich aus über Jahre angeeigneter Gewohnheit nach vorne und suchte nach den Knöpfen, Schaltern und Rädern, um die Musik leiser und erträglich zu machen. Doch da war nur ein Stuhl, und vor diesem noch ein weiterer, der ganze Saal war gefüllt mit Stühlen, die ihre schwere und unruhige Last geduldig trugen.
Verzweifelt drehte sich der Künstler zur Seite, versuchte so, der Musik zu entfliehen, die ihn peinigte und übel traktierte. Doch sie war überall, hallte von den Wänden, drang in sein Ohr, erfüllte ihn, bereitete ihm Schmerzen.
Ein Klatschen hier und da, vereinzelt, unsicher, lobte die Verrenkungen des Künstlers, so dachte er. Doch mit Aussetzen der verhassten Musik und dem Beginn neuer Klänge legte sich die Angst des Künstlers und er verstand nun die Absicht des Klatschens und das System des auf der Bühne stehenden, etwas schmächtigen Künstlers. Es ähnelte dem Radio, zu Hause in seiner Küche.
Die neue Musik war anders als die, die zuerst gespielt wurde, sie war elegant, stilvoll, witzig. Der Künstler begann zu grinsen, unterließ diesmal die Suche nach den Knöpfen, Schaltern und Rädern. Er erhob sich, wie ein verloren geglaubtes Schiff, dass aus der Wellen hervorbricht, wie ein Fisch, der zum ersten Mal die Oberfläche durchbricht, und begann zu klatschen. „Lauter, da vorne!“, rief er und der Künstler war wieder der Dirigent.
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.06.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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