Hartmut Pollack

Piazza

 
Piazza
 
Geliebte Schwester, Spaziergänge können zu einer Plage werden, wenn das Schuhwerk nicht stimmt. Mühsam halte ich mit dir, immerhin meiner älteren Schwester, dein Gehtempo mit. Jeden Stein spüre ich dabei unter meinen zu dünnen Sohlen an den Leinwandschuhen.
Unsere Gespräche lenken mich ab. In lebhaften Worten schilderst du mir einige Teile aus meiner Kindheit, welche ich nicht mehr gespeichert hatte. Ich fülle Lücken in meinen Erinnerungen auf. Irritierend und dennoch interessant.
Verzieht sich mein Gesicht beim Gehen leicht schmerzhaft, huscht ein Lächeln der Schadenfreude über dein Gesicht. Immerhin hattest du mich gefragt, ob ich den langen Spaziergang in diesen leichten Schuhen machen wollte. Na gut, ältere Schwestern haben meistens recht. Ich lache im Inneren.
Doch eine Pause, besser Zwischenpause naht. Unser Ziel war die Piazza in Vellmar. Sie ist in Sichtweite. Sie winkt uns von weitem zu und lädt zur Pause ein. Als ich erleichtert tief durchatme, bewirkt dies erneut ein leichtes Lächeln bei meiner Schwester.
Piazza Vellmar, Geschäfte rundum, Leute huschen vorbei, Kinder an Spielgeräten, eine Eisdiele lädt ein.
Schwesters Gesicht strahlt, leuchtet voll innerer Freude.
Eisdiele mit kleinerem Bruder. Ich überrage sie zwar um etliche Zentimeter, aber der kleinere Bruder bleibe ich mein Leben lang. Es gibt eben menschliche Bewertungen, welche weder Lebensjahre noch Realitäten ändern können. Sie bleibt ja auch meine größere Schwester.
Beobachtungen in der Eisdiele füllen die nächste Zeit. Ein schreiendes Kind lenkt die Aufmerksamkeit auf sich. In dieser Welt der Phonstärken müssen Kinder schreien, um ein wenig Aufmerksamkeit zu bekommen. Obwohl – ich sehe etliche Gesichter, in denen sich die Stirnen runzeln. Störe meine Ruhe nicht, wird signalisiert.
Schwester erzählt und genießt. In ihren Worten klingt heraus, dass sie unbedingt noch ein Buch braucht und einige Termine in der Buchhandlung absprechen muss.
Na alles klar, sie ist hier die Chefin. Ich schlürf hinterher. Vorher ließ sie es sich nicht nehmen, das Eis zu bezahlen. Ich musste schmunzeln.
Hinein in die Buchhandlung, leicht klingelt eine Glocke beim Eintreten. Meine Schwester blüht auf. Sie ist in der Welt der Träume, der Träumer, der Dichter, der Denker, der fühlenden Menschen, der Poeten.
Auch ich spüre hier eine Belebung meiner abgeschlafften Sinne. Meine Augen ändern ihre Farbintensität, sie werden wach.
Ich glaub es fast nicht, es ist schön zu sehen, eine Frau fast allein regiert diese Buchhandlung. Sie füllt, klein an Gestalt, den Raum fast vollständig aus. Sie ist.
Ich spüre ihr Temperament im gesamten Raum. Geschäftsfraumäßig gezüngelt, doch mann spürt es.
Der Mann in mir ahnt nur die Glut unter der Oberfläche. Ich atme sie tief ein. Gleichzeitig ziehe ich etwas der plötzlich entstandenen Atmosphäre in mich hinein. Meine Blicke erblicken die zierliche Person und ich erahne die große Persönlichkeit in ihr.
Obwohl körperlich größer und ihr sicherlich auch geistig gewachsen, verstecke ich mich hinter der Schutzwand des Frotzelns, des Austausches schlagfertiger Worte. Im Schutze meiner höflichen Schwester mache ich mich klein, will gar nicht bemerkt werden, schwimme aber gleichzeitig in einem Strome des Wohlbehagens.
Ich könnte dies Gefühl malen. Würde mich im Gelbrot baden und gleichzeitig mich mit verwirrten Spritzern bewerfen. Damit das Umwerfende dieses Momentes umsetzen.
Doch dazu müsste ich diese Persönlichkeit, diese Frau, diese Besitzerin vorher näher kennen lernen. Vielleicht schwimmt dann ein kleiner plagender Ton des grauen Alltags in das Bild. Es wäre ein Risiko, doch es wäre es wert zu prüfen.
Geliebte Schwester, deine Stimme holt mich zurück aus den Träumen. Ich frage sie hinsichtlich der von mir erfühlten Frau. Schwesterherz zeigt mir gnadenlos die Grenzen meines Alters auf. Für diese Frau wäre ich sicherlich uninteressant und vor allem zu alt. Ich solle doch vernünftig bleiben.
Innere Neugier, Spannung eher bleibt tief in mir. Ich werde mir irgendwann in einer Buchhandlung in der Piazza Vellmar ein Buch allein kaufen müssen.
© pk 06 / 07

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.06.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Poetische Gedanken über Liebe und Natur
Über den Tag hinaus zu schauen, heißt für mich, neben dem Alltag, dem normalen Alltäglichen hinaus, Zeit zu finden, um das notwendige Leben mit Gefühlen, Träumen, Hoffnungen, Sehnsüchten, Lieben, das mit Lachen und Lächeln zu beobachten und zu beschreiben. Der Mensch braucht nicht nur Brot allein, er kann ohne seine Träume, Gefühle nicht existieren. Er muss aus Freude und aus Leid weinen können, aber auch aus vollem Herzen lachen können. Jeder sollte neben dem Zwang zur Sicherung der Existenz auch das Recht haben auf romantische Momente in seinem Leben.

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