Eingefroren

Ich starre an die Wand. Ich weiß, das vor mir ein Mensch steht. Aber ich sehe ihn nicht.
Ich höre seine Stimme, weiß, das es mein Freund ist. Er sagt etwas. Ich höre es nicht.
Ich will es nicht hören. Ich will nicht hören, das etwas nicht mit mir in Ordnung ist, das ich nicht mehr lache, das er sich Sorgen macht, das meine Arme voller Narben sind...
Aber heute ist es anders. Er sagt mehr als das. Er sagt Dinge, die ich nicht verstehe.
Therapie...Reden...Angst...Grund...Verzweiflung...Blaue Flecken...
Ich will ihn fragen, was diese Worte bedeuten. Ich kann es nicht. Meine Stimme ist eingefroren. Hat geschworen, nie mehr zu sprechen, nie mehr zu lachen, nie mehr zu schreien.
Meine Augen schließen sich. Als ich sie wieder aufmache, sehe ich ihn. Seine Lippen bewegen sich, reden weiter von diesen merkwürdigen Sachen. Ich glaube, er weint.
Vielleicht ist es auch der Regen. Jemand ruft seinen Namen. Er hört auf zu reden, sieht sich um. Sein Bild wird verschwommener. Meine Augen schließen sich wieder und sehen beim aufmachen nur noch die Wand. Er ist weg. Und erst jetzt schaffe ich es, zu sprechen.
Meine Stimme taut auf, aus meinem Mund kommen Worte, die mir Angst machen.
"Es tat so weh...So unglaublich weh..." Ich zucke zusammen. Was tat weh?
"Ich konnte mich nicht wehren...Er war zu stark...Viel zu stark für mich..." Wer?
"Er hat mich geschlagen...Er hat mich angeschrieen, das ich ruhig sein soll..."
Ich beiße auf meine Lippen, bis sie bluten. Ich darf es nicht sagen...Es stimmt nicht.
Er hat es nicht getan. Er liebt mich. Du lügst...Ich weiß genau, das du lügst! Hör auf!
"Er hat mich vergewa..." Hör auf! Hör damit auf! Ich halte das nicht mehr aus!
"Er hat mich sexuell mißbrau..." Nein! Hat er nicht! Lügnerin!
"Er hat mich gezwungen, sein Ding..." Sag so etwas nicht! Bitte, sag so etwas nie mehr...
"Es war so schrecklich..." Hör auf...Oh, bitt hör auf...
"Ich habe Angst vor ihm. Ich will nicht mehr mit ihm allein sein." Tu es nicht...
Ich halte mir die Ohren zu. Aber sie ist immer noch zu hören. Ich will singen aber die Stimme lässt mich nicht. Sie quält mich mit ihren Lügen, treibt mich in den Wahnsinn...
"Du weißt, wie gemein er war. Du weißt, wie weh es tat." Nein! Nein! Nein!
"Du warst dabei! Du hast es gesehen und deine Augen zugemacht!" Nein...
"Du wurdest vergewaltigt!" Stille. Totenstille. Nichts. Ich lass die Hände sinken.
Mein Freund kommt zurück. Er sieht mich besorgt an, will mich in den Arm nehmen.
Ich weiche zurück. Er fragt, ob ich etwas gesagt habe. Ich starre ihn an. In seine dunklen Augen. ER hatte dieselben Augen. ER war auch ein Mann. ER wollte mich auch anfassen.
"Nein..."
Ich friere meine Stimme wieder ein. Auf das sie mir nie mehr sagen kann, was an meinem 14 ten Geburtstag wirklich passierte.

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