Friedemann Rothfuchs

Zwei weiße Mäuse nachts um Drei

 
 
Einmal lag Kater Tzuki nachts auf dem Sofa und schlief. Alles war still und dunkel, der Wind spielte nur ganz leise mit den Vorhängen, und ein wenig Mondlicht viel auf den Teppich. Und Tzuki war ziemlich müde, ja, er schnarchte sogar ein bisschen.
Plötzlich gab es ein Geräusch. Tzuki hob sofort den Kopf, spitzte die Ohren und sah ungefähr in die Richtung, aus der er das Geräusch gehört hatte. Er hielt den Atem an. Von der Haustür her hörte er, wie etwas ganz leise über den Teppich strich, ansonsten hörte er nur sein Herz klopfen. Er wartete noch eine kurze Zeit, und dann sah er, was diese Geräusche gemacht hatte: Zwei ziemlich große, ganz weiße Mäuse liefen nebeneinander her in das Wohnzimmer und hinüber zum Schrank.
Die Mäuse waren wirklich ziemlich groß, so große Mäuse hatte Tzuki noch nie gesehen, so groß wie Ratten waren sie, und ganz besonders seltsam war: Eine der Mäuse hatte zwei Schwänze, die bei jedem Hopser durch die Luft flogen, und die andere Maus hatte überhaupt keinen Schwanz. Zuerst glaubte Tzuki, seinen Augen nicht recht trauen zu können, aber so oft er auch hinsah, es blieb dabei: Eine hatte zwei Schwänze, die andere überhaupt keinen.
Die Mäuse bewegten sich eine Zeit lang vor dem Schrank hin und her und machten ein paar ganz leise Geräusche, standen einmal auf den Vorderpfoten und hoben ihre Hinterteile in die Luft, dann hoppelten sie zur Kommode, danach zum kleinen Schreibtisch hinüber. Tzuki wagte nicht, sich zu rühren. Jedes Mal, wenn die Mäuse sich fortbewegten, sah er die zwei Schwänze der einen Maus hin- und herfliegen, und von der anderen Maus sah er überhaupt keinen Schwanz.
Vom Schreibtisch hoppelten die Mäuse ganz leise zur Tür des Arbeitszimmers, blieben dort einen Moment still stehen, dann öffnete sich die Tür ganz langsam. Tzuki staunte. Mäuse, die so groß und so weiß waren und die diese großen Türen aufmachen konnten - so langsam kam ihm das unheimlich vor. Die Mäuse gingen ins Arbeitszimmer.
Tzuki beugte sich ganz vorsichtig ein wenig vor, um durch die offene Tür blinzeln zu können.
Die Mäuse standen im Arbeitszimmer vor dem Schrank, stellten sich auch dort für einen kurzen Moment auf die Vorderpfoten und hoben die Hinterteile, dann kamen sie wieder heraus, hoppelten durch das Wohnzimmer hindurch zur Wohnungstür hin und verschwanden wieder.
Das machte Tzuki neugierig, das musste er sich näher ansehen. Er schlich hinterher durch seine kleine Katzentür hinaus in den Vorgarten und auf den Bürgersteig. Die Mäuse hoppelten durch das Dunkel die Straße hinunter. Tzuki, immer dicht and den Gartenzäunen und Hecken entlang, ließ sie nicht aus den Augen und verfolgte sie zwei Straßen weit. Es war sehr dunkel, eine Wolke stand vor dem Mond, und nur mit Mühe konnte Tzuki die Maus ohne Schwanz und die Maus mit zwei Schwänzen noch sehen, als plötzlich das Martinshorn eines Polizeiwagens ertönte. Tzuki schaute kurz hinter sich und sah Blaulicht blinken. Dann sah Tzuki wieder nach vorn und stellte fest, dass die beiden Mäuse plötzlich schneller hoppelten. Nach ein paar Metern bogen sie nach links in eine Gasse ein. Als Tzuki schließlich den Eingang der erreichte, sah er ein Schild, das er natürlich nicht lesen konnte:
 
 
----------------- Sackgasse ----------------
 
 
Tief in der Gasse sah Tzuki nur schwarzes Dunkel und davor die beiden weißen, großen Mäuse, die ganz aufgeregt immer hin und her hüpften und manchmal zusammen hochsprangen, genau gleichzeitig, wie auf Kommando. Dann bog hinter ihm das Polizeiauto in die Gasse ein, der Lichtkegel des Autos erleuchtete die ganze Gasse, und jetzt erst sah Tzuki ganz genau, was er die ganze Zeit verfolgt hatte: Direkt auf den beiden "Mäusen" stand ein Mann, schwarze Hose, schwarzer Pullover und schwarze Mütze, sprang vor der Wand immer hoch und versuchte, über die Wand zu kommen. Und das Weiße unter ihm, das waren gar keine Mäuse, sondern seine Turnschuhe, von denen einer offen war. Die Schnürsenkel flatterten hin und her und sahen immer aus wie zwei Mäuseschwänze. Und weil dieser Mann nachts in eine fremdes Haus gegangen war - in das Haus nämlich, wo Tzuki lebte - nahm die Polizei ihn jetzt erst einmal mit zum Revier und untersuchte, ob er irgendwo etwas gestohlen hatte.
Zuhause wieder angekommen legte Tzuki sich sofort wieder auf seinen Schlafplatz, der noch ein bisschen warm war, aber er konnte ziemlich lange nicht einschlafen, so aufregend war die ganze Geschichte gewesen.
 
ã Friedemann Rothfuchs, Bremen 2007

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.06.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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