Anke Ritter

Ein ganz normaler Sommertag


Die alte Küchenuhr tickte. Mit ihren Gedanken war sie weit weg, an einem herrlichen Strand oder in einem kühlen Wald, Urlaub, die Ruhe genießend. Die Kartoffel in ihrer Hand wurde hin und her gedreht, bis auch der letzten Rest Schale abgeschält war. Es war warm, sie schwitzte leicht und das Sommerkleid klebte ein wenig am Rücken. Ein plötzliches, lautes Poltern ließ sie aus ihren Tagträumen aufschrecken, sie horchte, es kam aus dem Wohnzimmer.
 
Aufseufzend trocknete sie sich die Hände und ging aus der Küche hinüber ins Wohnzimmer. Der Kleine, jetzt schon 18 Monate alt, hatte die gestapelten Bauklötze alle auf einmal umgeworfen, daher der Krach, er jauchzte und freute sich über das angerichtete Chaos.
 
´okay´ dachte sie, ´nichts weiter passiert´ gab dem Kleinen einen Kuss, sammelte die weg gekullerten Klötze auf und drehte sich wieder um, um in die Küche zurückzugehen und weiter das Abendessen vorzubereiten. Da hörte sie plötzlich ein Brummen, ein Motorengeräusch. Ihr Herz fing an schneller zu schlagen, Panik breitete sich in ihr aus, sie schaute auf die Kaminuhr.
 
´nicht jetzt schon – er ist doch viel zu früh dran. Das Essen ist noch nicht fertig, der Große spielt noch draußen und im Wohnzimmer sind noch alle Spielsachen vom Kleinen verstreut´.
 
Hektisch machte sie einen Schritt Richtung Küche, dann wieder zurück Richtung Wohnzimmer, was sollte sie nur zuerst tun?
 
Sie schnappte sich den Kleinen im linken Arm, die meisten der herumliegenden Spielsachen im rechten Arm und packte alles hastig in den Laufstall. Mit schnellen Schritten eilte sie weiter in die Küche, machte das Fenster auf und rief den Großen, der im Garten spielte: ´Komm rein, genug gespielt für heute – sortier deine Spielsachen weg und wasch dir die Hände´.
 
In dem Moment hörte sie, wie der Schlüssel sich in der Tür drehte, dann aufsprang und ihr Mann den Hausflur betrat. Er kam zurück von seiner Arbeit auf der Baustelle. Eine Arbeit, die er noch nicht lange machte, seine Muskeln waren noch untrainiert und das Zusammenspiel eines reibungslosen Ablaufs erfasst er noch nicht ganz. Die Arbeit frustrierte ihn und meistens ging er nach Feierabend noch auf ein paar Bier zum Schorsch. Aber heute nicht. Heute hatte er sich mit seinem Polier gestritten. Er war immer noch wütend.
 
´Dieser eingebildete hochnäsige Kerl, sagt dass ich zuviel quatsche und zu langsam bin´ er schnaufte empört und schmiss die Arbeitstasche in die Ecke.
 
Sie hörte die Arbeitstasche poltern, zuckte zusammen und zog automatisch die Schultern ein, ihr Kopf sank nach unten während sie sich tief über die Kartoffeln beugte, da hörte sie ihn auch schon rufen: „Was ist das denn hier? Der Kleine im Wohnzimmer? Ich habe schon oft genug gesagt, dass ich keine Kinder im Wohnzimmer dulde“ er wurde noch lauter als er wütend brüllte: „und schon gar keine Spielsachen“
 
Wieder polterte es und gleichzeitig fing der Kleine an zu weinen. Er hatte das Feuerwehrauto so weggekickt, dass es an das Holzgitter vom Laufstall flog.
 
Die Kartoffel fiel ihr aus der Hand, während sie das Messer in die Spüle warf und ins Wohnzimmer eilte. „Entschuldige, ich . . .“ weiter kam sie nicht, denn eine schallende Ohrfeige stoppte ihre Schritte. Er schnauzte sie an: „Du musst nur dieses Haus und die Kinder in Ordnung halten, ist das zuviel verlangt, bist Du einfach nur eine Schlampe?“ Tränen der Wut stiegen in ihr hoch und ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Sie schaute schnell weg, denn der Anblick hätte ihn aufs Neue gereizt. Sie bückte sich, um den Kleinen hochzuheben und – klatsch – fiel bald vorn über, ihr Hintern brannte von seinem Schlag.
 
Mit einem selbstgefälligen Grinsen rieb er sich die rechte Hand am Oberschenkel: „Strammer Hintern, den werde ich heute noch zu nutzen wissen“ und ging die Treppen hoch in Richtung Schlafzimmer, um die Arbeitskleidung auszuziehen.
 
Wie hatte es nur so weit kommen können, dachte sie. Wo ist der witzige, fröhliche Kerl geblieben, in den sie sich vor vielen Jahren verliebt hatte. Sie hob den Kleinen hoch und zog mit der anderen Hand das Laufgitter aus dem Wohnzimmer in Richtung Küche. In dem Moment schlich der Große von draußen rein und schaute sich ängstlich um, den ganzen Arm voll Spielsachen. „ist Papa schon da“?
 
„Geh sofort hoch“ sagte sie ihm „pack alles ordentlich weg und wasch dich bevor du zum Essen kommst – und sei bloss ruhig!“. „Ja, Mama“ antwortete der Große. Er konnte kaum sehen wo er hintrat als er die Treppe hinauflief und dabei versuchte, keine Geräusche zu machen. Die vorletzte Stufe war es dann, er strauchelte, der Fuß rutschte ab, er verlor das Gleichgewicht. Hilflos ruderte er mit den Armen in der Luft und verstreute dabei alle Spielsachen auf dem oberen Flur und die ganze Treppe hinunter. Er fiel und rutsche ein paar Stufen, bis er sich am Geländer festhalten konnte.
 
Jetzt brach das Chaos aus. Er kam aus dem Schlafzimmer und fing an den Großen anzubrüllen.
 
„Was machst Du hier für einen Mist? Kannst Du nicht aufpassen?“ Der Große klammerte sich weinend am Geländer fest, während sein Vater ihn schlug. Nun fing auch noch der Kleine an zu brüllen, da seine Mutter ihn ruckartig wieder in den Laufstall gesetzt hatte.
 
Sie lief zu den beiden auf der Treppe und schrie „Hör auf den Jungen zu schlagen“ und zerrte gleichzeitig an seinem Arm. Er ließ vom Kind ab, das blitzartig davonlief und im Kinderzimmer verschwand. Er starrte sie nun haßerfüllt an: „Kannst Du nicht mal die Kinder im Zaum halten?“ Er packte sie an den Oberarmen und drückte zu. Die Daumen verursachten schmerzhafte blaue Flecken. Aber auf ein paar mehr oder weniger kam es ihr nicht an. „Was für eine Frau bist Du eigentlich, und wie siehst Du überhaupt aus?“ Er zog schmerzhaft an ihren Haaren „Bist Du überhaupt zu ´was nütze?, Du alte Hexe?“ und schubste sie rückwärts an das Treppengeländer. 
 
Sie schaute ihm nach, wie er langsam die Stufen rauf ging und plötzlich hatte sie nur noch einen Gedanken. Stirb! Er fluchte immer noch, als er auf der obersten Stufe auf ein Feuerwehrauto trat. Die kleine Leiter auf dem Dach des Spielzeugautos knackte, das Auto rutschte weg und sein Standbein gleich mit. Er bekam den zweiten Fuß nicht hoch. Der Badelatschen hatte sich halb vom Fuß gelöst und hing unter der nächsten Stufe fest. Er verlor das Gleichgewicht und fiel. 
 
Im Fallen griff er nach dem Rock seiner Frau, die sich an das Geländer gepresst hatte und ihn mit boshaftem Gesichtsausdruck ansah. Er schrie, er landete hart, mit dem Kopf zuerst. Bevor er kopfüber, auf jeder Stufe aufschlagend, bis in den Flur hinunterrutsche, dort liegen blieb und nicht wieder aufstand.
  
Ruhe. Plötzlich war Ruhe eingekehrt. Der Kleine baute wieder Türme mit Bauklötzen, der Große war noch in seinem Zimmer. Nur die Räder vom umgekippten Feuerwehrauto surrten noch etwas von der ungewohnten Kraft, die dem Auto einen Schubs gegeben hatte.
 
Sie drehte sich langsam um und strich den Rock glatt. Das Glitzern in ihren Augen verschwand und die Farbe änderte sich auch wieder von einem bösen grün in ein sanftes hellbraun. Sie lächelte und dachte noch – wie Recht er doch hatte.
 

Meine erste Geschichte - hoffe sie gefällt jemandem :-)Anke Ritter, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.06.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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