Hermann Josef Vollmer

Urlaubsflirt

Die im Meer versinkende rote Sonne, die einzigartige Dünenlandschaft und der blinkende Leuchtturm von Maspalomas waren mein Abschiedsbild von Gran Canaria. Aus dem südlichsten Hotel von Playa del Inglés', dem Riu Palace klang sanftspielende Musik, die sich mit dem Rauschen der Wellen verbündete und mir durch den Abendwind ein romantisches „Adiós“ zu trugen. So lag ich in Gedanken vertieft am Strand, als sich eine junge Frau dem Hotel näherte und sich in unmittelbarer Entfernung vor mir in den Sand setzte, ohne mich bemerkt zu haben. Sie betrachtete einen Moment die paradiesische Umgebung und ohne einen, für mich ersichtlichen Grund rollten ihr Tränen über die Wangen. Das leise Schluchzen war herzzerreisend und da ich sie in ihrem Kummer nicht stören mochte, erhob ich mich langsam aus dem schützenden Palmenbereich und wollte mit sanften Schritten in Richtung Hotel fliehen. Doch kaum hatte ich mich aufgerichtet, verstummte das Klagen dem ein erschrockener Aufschrei folgte:
„Ooooh! – Ist da jemand?“
„Entschuldigung!“ rief ich kleinlaut. „Ich wollte Dich nicht erschrecken.“
„Bis Du schon die ganze Zeit hier?“
„Ja, schon eine Weile!“ erwiderte ich und ging langsam auf sie zu.
„Dann hast Du alles gesehen?“
„Du meinst Deine Tränen?“
„Das ist mir aber peinlich...“, und ihr Gesicht errötete.
„Das macht doch nichts! Meine Stimmung ist auch nicht besser, den meine letzten Urlaubsstunden verrinnen“, versuchte ich sie zutrösten und reichte ihr ein Papiertaschentuch.
„Danke! Das kann ich gebrauchen, denn ich habe keine mehr“, meinte sie, wischte sich ihre Wangen trocken und ich setzte mich neben ihr in den Sand.
„Dann fliegst Du heute Abend nach Hause?“
„Ja!“ antwortete ich ihr kurz.
„Hast Du es gut! - Du darfst nach Hause fliegen“, meinte sie traurig.
„Ich höre wohl nicht recht? Ich fliege zurück und habe es gut? Aber wenn Du das meinst,“ lächelte ich sie an, „dann können wir ja tauschen.“
Sie muss den Scherz nicht verstanden haben, mit ernsthafter Minne sprang sie auf.
„Das würdest Du tun? Du könntest auch noch mehr als zwei Wochen hier bleiben“, erwiderte sie mir und versuchte mich an den Händen hochzuziehen. „Komm wir gehen sofort zu unseren Reiseleitern und buchen um.“
„Herrgott, was ist mit Dir los?  Warum willst Du nach Hause? Du bist doch erst zwei oder drei Tage hier. Außerdem ist umbuchen gar nicht möglich! Wenn es möglich wäre, dann ist mein Flieger schneller in Düsseldorf gelandet,  als wir irgendeinen Reiseleiter finden würden.“ 
„Oh, Nein! Auch noch nach Düsseldorf!“ rief sie und lies sich wieder in den noch warmen Sand fallen, hielt die Hände vor ihr Gesicht und weinte bitterlich. Sie tat mir leid, so dass ich ohne Frage mit ihr das Ticket getauscht hätte. Ihre Tränen rollten unaufhörlich und ich wusste nicht, wie ich ihr helfen konnte. Nach einer Gedankenpause fragte ich sie behutsam:
„Kannst Du mir mal sagen, warum Du so weinst? Oder willst Du darüber nicht sprechen?“
„Doch!“ schluchzte sie. „Aber Du kannst mir nicht helfen!“
„Das kannst Du doch nicht wissen“, sagte ich etwas genervt, weil ich weinende Frauen nicht ertragen kann und reichte ihr erneuet ein Taschentuch.
„Danke!“ seufzte sie, wischt sich ihr Gesicht wieder trocken und begann ihre Illustration:
„Wie immer im Urlaub, hatte ich mir auch dieses Mal vorgenommen, dass es nur ein Urlaubflirt geben sollte. Keine ernsthaften Liebeleien... Du weist schon was ich meine. So begann auch der erste Abend! Disko... Musik... Tanz, hier ein Scherz und da ein Spaß. Wir haben doch Urlaub, dachte ich. Bis kurz vor Mitternacht, da stand er plötzlich vor mir; braungebrannt mit blondem Haar, muskulösen Oberkörper, modisch gekleidet und ein reizvolles Aftershave. Wir hatten noch kein Wort gesprochen und schon hatte es bei mir eingeschlagen; mein Herz bebte, meine Knie zitterten, mir wurde heiß und ich rang nach Luft. Ich war total weg!
Wir verbrachten zusammen die nächsten zwei Tage und habe mich auch an die vorgenommenen Spielregeln gehalten; keine ernsthaften Liebeleihen. Dann kam der gestrige Abend und er sprach vom Abschied. Ich bemerkte erst jetzt, wie viel der mir bedeutete. Ohne das ich es wollte, war es kein Urlaubsflirt mehr.  Heute Morgen ist er wieder in Düsseldorf gelandet und ist wieder Daheim in Essen.
„Ah, jetzt verstehe ich! Und Du willst auch nach Hause... zu ihm!“
„Ja!“ rief sie. „Ich liebe ihn!“
„Weis er das?“
„Ich habe ihm nichts gesagt... es war doch nur ein Urlaubsflirt... eine Spielerei.“
„Und Du meinst, sein Urlaub ist vorbei und er denkt nicht mehr an Dich.“
Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, liefen ihr wieder Tränen über
die Wangen und sie nickte nur.
„Lass mich mal überlegen“, sagte ich grübelnd und schnell kam mir eine rettende Idee.
„Hast Du von Deinem `Romeo´ die Telefonnummer?“
„Ja, auf meinem Handy!“ Sie holte das Telefon aus ihrer Tasche, suchte nach der gespeicherten Nummer, reichte mir das Gerät und meinte:
„Die Karte ist aber leer.  Es ist sauteuer von hier nach Deutschland zu telefonieren.“
„Das macht doch nichts!“, erwiderte ich ihr, als ich mein Handy hervorholte und die Nummer einwählte.
„Was mach’s Du da?“ rief sie mir erschrocken zu. Doch ich konnte vor Staunen nicht antworten, meinem Handy war die Nummer bekannt und es zeigte mir den programmierten Namen an.
„Das gibt es nicht!“ rief ich und drückte auf die Anruftaste. In dem das Gerät seine
Funktionen ausübte und die Verbindung aufbaute, sagte ich zu ihr.
„Ich kenne Deinen `Romeo´!“
„Wirklich?“ meinte sie und sah mich fassungslos an. Ich rückte ihr seitlich näher, so dass sich das Telefon zwischen ihrem und meinem Ohr befand und sie das Gespräch mithören konnte. Als das Klingelzeichen ertönte flüsterte ich ihr zu:
„Es ist mein Arbeitskollege! Wir kommen beide aus Essen... “
Weiter kam ich nicht, denn schon hörte ich seine Stimme:
„Hier ist der Andi!“
„Hallo, Andi! Ich grüße Dich vom Strand Playa del Inglés'“, begann ich mein Gespräch
und schon diese paar Worte zeigten Wirkung.
„Hermann!“ er hatte meine Stimme sofort erkannt. „Willst Du mich auf den Arm nehmen?“
„Ich wollte Dir nur sagen, dass ich noch hier bin“, erklärte ich ihm.
„Sag bitte, dass es nicht wahr ist. - Bitte!“
„Soll ich Dich belügen?“ fragte ich ihn ernsthaft. „Ich wüsste nicht warum?“
„Ich bitte Dich! Lass die Scherze!“
An seiner ehrlichen Stimmlage bemerkte ich, dass es ihm nicht spaßig war.
„Oh man! Da hat es Dich aber erwischt.“
„Das kann man wohl sagen und Du verstehst mich endlich!“
„Wie kann Dir so etwas passieren? Du, der Playboy! Der wahllos die Herzen der hilflosen Frauen gebrochen hat. Für Dich ist doch alles nur ein Spiel, ein Abenteuer!“
„Ich verstehe mich selbst nicht! Glaube mir Hermann, so was ist mit mir noch nie geschehen!“ 
„Dann erzähl doch mal von ihr. Ich bin ganz gespannt!“ forderte ich ihn auf.
„Ich kann sie Dir nicht beschreiben, so schön ist sie. Sie ist einmalig, ein Juwel unter spanischer Sonne“, begann er träumerisch. „Sie kommt aus Heidelberg und ich habe sie in den letzten drei Urlaubstagen kennen gelernt...“
„Die letzten drei Tage?“ tat ich erstaunt. „Du meinst, dass sie sich noch an Dich erinnert? Versteh´ bitte richtig!  Du hast Dich auch an keiner Urlaubsbekanntschaft erinnert, ob Du sie zwei Tage oder zwei Wochen kanntest.“
„Fang nicht schon wieder an!“ rief er.
„Ist ja schon gut!“ antwortete ich, um ihn zu beruhigen. „Ich habe ja Mitleid mit Dir, dass darfst Du mir glauben. Aber wer mit dem Feuer spielt,  kommt drin um.“
„Du hast Recht!  Aber jetzt wird alles anders! Den ich liebe Sie!“
„Ich glaube es nicht! Würdest Du das noch mal sagen?“ antwortete ich ihm, gab meiner Nachbarin das Handy und ich hörte, wie er langsam, jedes Wort einzeln wiederholte:
„Ich... liebe... sie! Hast Du jetzt verstanden?“
Sie strahlte über das ganze Gesicht; es muss wie Musik in Ihren Ohren geklungen haben
und ergriffen antwortete sie ihm:
„Ja, ich habe Dich verstanden, Andi! Ich liebe Dich auch!“
 
Das Handy habe ich dem Brautpaar zur Hochzeit geschenkt. Seitdem liegt es wie ein Goldschatz auf dem Wohnzimmerschrank und auf der Rückseite sind folgende Zeilen eingebrannt:
Playa del Inglés', Sonntag den: 04. Juli 1993

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.06.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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