Hartmut Pollack

Zukunftskonvent

 
Zukunftskonvent
 
Sehr seltsam spielt das Leben. Es lässt dich hoffen, Schmetterlinge lässt es tanzen, Sonnenstrahlen spielen in deinem Herz. Eine späte Liebe küsst täglich deine Seele. Du bist fast sicher auf der schönen Seite. Wohlgefallen am Leben breitet sich aus.
Eine Fahrt nach Hannover ist angesagt. Zukunftskonvent – wie schön klingt dies Wort. Zukunft für unser Volk zu suchen, welche gute Absicht. In deinem Kopf läuft, das kann nur gut sein, mach einfach mit, fahr hin.
Die Autobahn ist voll, Hannover noch voller  - mit Baustellen. Der erste Eindruck von Zukunft ist, suche sie. Endlich habe ich das Centrum der Zukunft gefunden. Es ist ein alter Kuppelbau. Fast 2000 Menschen suchen in alten Gemäuern ihre Zukunft. Irgendwie weist immer wieder das Leben darauf hin, nur auf deiner Tradition kannst du nach vorne blicken.
Parkplatzsuche Absurdistan, gegen alle rechtlichen Vorschriften handelnd finde ich einen Platz für das Auto. Bedeutet Zukunft, sich nicht mehr an alle Regeln halten zu dürfen ? Müssen wir endlich mal revolutionär denken (dürfen) ?
Verdammt, warum fällt mir bei den Sozialdemokraten immer das Wort dürfen ein ? Warum vermisse ich bei ihnen dieses Wollen, welches eigentlich Politik bestimmt ?
Das sind Gedanken im Nachhinein.
Parkplatz verlassen und nun beginnt erneut eine Suche. Ich suche den Kuppelsaal, den Ort der Ansprachen, den Platz der Huldigungen.
Suche – erneut ein Gedankensprung. Zukunft ist Suchen, wie richtig, doch wer von uns kennt die Rezepte zur Suche ?  Wer hat den Wegweiser zur Hand ?
Am Eingang einer öffentlichen Parteiversammlung (Gäste sind, so heißt es, selbstverständlich willkommen, wenn sie kommen) sind starke Kontrollen.
Ich habe mir meinen Presseausweis an die Jacke geheftet.
„Presse, da müssen Sie sich dort anmelden,“ sagt die Dame am Durchlass.
„Ach wissen Sie, dann lassen Sie mich doch als einfaches Parteimitglied durch.“
Kurzes Überlegen folgt, dann geht das.
Wie viel Bürokratie steckt in dieser Partei, denke ich. Angst vor offener Kritik oder was ist es ? Früher hat man doch den Ostblockländern ihre Klatschpolitik vorgeworfen, Heute – es scheint mehr die Angst vor dem Volk zu finden zu sein, als die Suche der Zukunft.
Kontrollen, Kontrollen, Sicherungen überall – ist dies die Zukunft. Schäuble fällt mir ein. Sicherlich ein trauriger Fall in seinem persönlichen Leben. Nur muss er sein Schicksal auf das ganze Volk umlenken ?
Kontrollen auch vor dem Kuppelsaal. Mein Presseschild hilft mir. Ich darf fast vor der Bühne stehen.
Der Kuppelsaal ist voll. Gedrängt stehen wir vorne. Körpergeruch vermischt sich mit einer hoffenden Unruhe. Die Zeit des Auftrittes der Prominenz ist erreicht. Ein Raunen läuft durch den Saal. Es ist wie im Karneval,  lasse wir se rein. Jaaaaa !
Mit Klatschen werden sie auf die Bühne gelassen. Sie alle aufzuzählen erspare ich mir. Selten habe ich so viel Unwichtiges auf einem Haufen gesehen.
Wieder diese Fragen in meinem Kopf. Hat unsere Presse nicht diese beklatschten Auftritte der Politiker in China und in Russland zerrissen ? Dies wären doch keine Zeichen von Demokratie, habe ich da gelesen.
Starke Zeichen der Demokratie wäre der heiß beklatschte Auftritt des amerikanischen Präsidenten in Washington gewesen, las ich aber auch einmal.
Amerika, öffentliche Show, so sieht für mich das Zukunftskonvent aus. Zukunft für Deutschland scheint immer mehr Show zu werden.
Sind wir eigentlich nicht das Land der Dichter und Denker ? Finden bei uns nicht die Erfindungen der Zukunft statt ? Geschieht dies nur noch im Rummelplatz der Show ?
Warum muss ich so viel denken inmitten von jubelnden Menschen, welche im Sicherungskreis der Überwacher stehen.
Durchtrainierte Männer stehen zuhauf am Podium der Prominenz. Ein harter prüfender Blick auf meinen Presseausweis, er weicht von den üblichen ab, ein Blick in meine Augen, ich darf bleiben.
In jedem Ohr dieser harten Männer steckt ein Mikrofon. Auch sie sind kontrolliert und müssen wie Automaten gehorchen. Diese Zukunft führt unausweichlich immer mehr in Kontrolle, in Überwachung. War dies nicht für 1984 in einem Buch vorgesehen ?
Der Auftritt des Bürgermeisters folgt. Sein Motto ist, wie schön dass es Hannover gibt. Im Prinzip stimme ich ihm zu.
Eine Stadt voller Menschen, voller Ideen, voller Musik, eine Stadt der Menschen, welche noch fühlen, sich bemerken, sich helfen. Eine Stadt, welche mit ihren Schwierigkeiten kämpft und durch die Menschen am Leben gehalten wird.
Hier höre ich, eine Stadt der Sozialdemokratie und wir sind stolz darauf. Die Leute hier haben uns immer gewählt, für sie sind wir die Zukunft, wir sind stolz auf sie.  Stolz bedeutet also, du musst so wählen, wie sie es wollen. Dann ist es gut, danach machen sie es.
Wieder diese Gedanken an Russland und China und Amerika, Zustimmung reicht, danach bist du, freu dich, wieder Volk. Du darfst in deiner von uns vorbestimmten Bürgerlichkeit frei leben.
Ein völlig unwichtiger, von einer Partei nach oben gebrachter Bürgermeister formt gesellschaftliches Leben in Parteidenken um. Ich vermisse seinen Vorgänger, der formte am Leben.
Es kommt der Kandidat für Niedersachsen. Seine Rede beeindruckt mich. Hier kämpft ein Mann, der aus dem Volk kommt, um das Volk. Hier fühle ich Leben für Leben. Das ist stimmig. Etwas unbeholfen zwar, er ist wie wir, aber stimmig.
Meine Hände rühren sich für den Applaus. Endlich mal Ehrlichkeit statt Show. Ich werde ihn wählen.
Kandidatin Hessen kommt. Es sind ihre Auftritte, zwei Kandidaten im Wahlkampf.
Was hat dies eigentlich mit einem Zukunftsprogramm der Partei zu tun ?
Eng geschnitten ihre Kleidung denke ich. Hochhackige Schuhe, um größer zu wirken, hartes Gesicht. Sie sucht ihr Profil. Ihre Worte intellektuell geprägt. Wahrhaftig eine kluge Frau steht da und ….
Mein Empfinden ist, sie strahlt keine Wärme aus, auch nicht die Stammtischwärme ihres Gegners.
Sie strahlt Ehrgeiz aus, sie will und kann dies gut formulieren. Doch die Menschen brauchen das Gefühl, angenommen zu werden, akzeptiert zu werden. Der Verstand allein macht keine Politik. Leider glauben das zu viele.
Wie bei Niedersachen rauschende Klatschorgien am Ende der Rede. Man klatscht sich Mut zu.
In meinem Kopf klingt ein Gedanke aus der Psychologie. Inmitten einer Masse setzt das Denken aus, habe ich mal gelesen. Die Schlussfolgerung daraus bedeutet, man braucht diese Zukunftskonvente, zu denen massenhaft Menschen strömen, um den Verstand des Einzelnen auszuschalten. Die wenigen Bestimmer können dann walten, wie sie wollen.
Der Parteivorsitzende kommt ans Rednerpult. Beifall begrüßt ihn. Dieser Beifall spült eine gewisse Müdigkeit aus seinem Gesicht. Er beginnt zu strahlen.
Sein Redekonzept liegt vor ihm.
Anfangs schmeichelt er sich in die Herzen der Vorredner. Warum eigentlich ? Er soll eine Konzeption für die Zukunft vorstellen. Wir warten auf seine Aussagen.
Strahlende Augen bei ihm, wenn er Politik mit Wein vergleicht. Ich kann es nachempfinden.
Vorsicht, wenn er aktuelle Themen innerhalb der großen Koalition anspricht. Parteidenken geht eben vor, ehrliche Worte sind nicht angebracht.
Ehrlichkeit – ein sehr alter deutscher Begriff, wir suchen ihn wirklich, Presse und öffentliche Medien lenken uns immer mehr ab. In Deutschland beginnt das Wort Ehrlichkeit an Wert zu verlieren.
Zukunft in den Worten des Vorsitzenden liegt darin, dass man wieder den Begriff Solidarität entdeckt. Selten habe ich einen Vorsitzenden so eindeutig sagen hören, dass man diesen Begriff vergessen hatte.
Benachteiligung der ärmeren Bevölkerungsschichten sollte aufhören. Na klar, dies haben internationale Untersuchungen aufgezeigt. Ein Zukunftskonvent entdeckt längst bekannte wissenschaftliche Ergebnisse. Wer arm ist in Deutschland, bleibt dumm.
Das wissen wir doch schon lange, nur selten wurde es gesagt. Das Privileg des Geldes schafft das Privileg der besseren Ausbildung.
Wir sind eben eine privilegierte Demokratie.
Zwischen durch ertönt Applaus, klangweise stark.
Nun werden die Augen bitter, der Ton wird hart. Es geht nicht mehr um die Zukunft der Menschen, es geht um Auseinandersetzung. Jetzt geht es zielbewusst gegen die Linken.
Selten höre ich Worte, welche einen ungenannten Menschen so nieder machen wie hier. Jeder weiß, von wem er spricht, er nennt ihn nicht. Er macht ihn nieder. Viele empfinden das als kämpferisch, ich als charakterlos. Jubel brandet auf. Links hat Links nieder gemacht, Rechts lacht.
Die Zukunft bedeutet also, links gegen links und rechts gewinnt. Applaus !
Unternehmergewinne, nur am Rand erwähnt, Lohndumping geschaffen durch die Gesetzgebung, also Mindestlohn.
Die Zukunft bedeutet also, dass zumindestens jedem arbeitenden Menschen ein Mindestlohn gebührt. Irgendwie spüre ich in der Hitze des Kuppelsaals eine Gänsehaut. Der Mensch wird reduziert auf ein Mindest.
Ist das meine Zukunft ? Ich darf also noch mindestens ein Mensch bleiben in diesem unserem Vaterland. Oder war gemeint , ich darf zumindest einen Lohn erwarten, wenn ich arbeite ? Hatten wir da nicht einmal den Begriff Zwangsarbeiter in unserer Geschichte ?
Mindestlohn  ist doch die Kapitulation der Politik vor der Industrie.
Lohn ist eine Auseinandersetzung zwischen Gewerkschaft und Unternehmer. Sind wir so weit in unser gewerkschaftlichen Bewegung durch die Politik geschwächt, dass wir nicht mehr kämpfen können ?
Meine Gedanken gehen durcheinander. Ruhig denke ich, ruhig, hör doch erstmal zu.
Aber dann war es schon vorbei. Einige persönliche Bemerkungen über persönliche Verletzbarkeiten kommen noch. Ich kann ihn verstehen. Doch wo bleibt das klare Konzept für die Zukunft unseres Landes ?
Beide Linien neoliberal und sozial suchen ihn noch. Sie haben die Grenzen der Verletzbarkeit des Volkes noch nicht gefunden. Sie werden es bei der nächsten Wahl erneut kennen lernen.
Zukunftskonzept bleibt für mich ein Begriff, welcher nicht ausgefüllt ist.
Ich würde fast sagen, wir suchen in Deutschland nach den Prinzipien der Demokratie, der Herrschaft des Volkes und veranstalten Entscheidermessen der Industrie und Konvente der Parteien.
Hartmut Pollack 06 / 07 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.06.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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"Schmetterlinge im Kopf und Bauch" ist mein holpriger lyrischer Erstversuch. Mit Sicherheit merkt man, dass es keine Lektorin gab, wie übrigens auch bei den anderen beiden Büchern nicht. Ungeordnet sind viele Gedichte, Gedankenansätze, Kurzgeschichten chaotisch vermengt veröffentlicht worden. Ich würde heute selbstkritisch sagen, ein Poet im Aufbruch. Im Selbstverlag gedruckt lagern noch einige Exemplare bei mir. Oft schau in ein wenig schmunzelnd in dieses Buch. Welche Lust am Schreiben von spontanen Gedanken ist zu spüren. Ich würde sagen, ein Chaot lässt grüßen.

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