Rainer Tiemann

Ängste eines jungen GI

Hinter mir liegt die endlose Weite der irakischen Wüsten. Vor mir liegt nun die Zeit der Freiheit und vor mir das Glück - die Enttäuschung?!

Seit Monaten lebe ich hier und weiß nicht mehr, wie sie ausschauen, sie - die Heimat, die Freunde, die Liebe. Ob es ihnen gut geht, ihnen allen, wo sie doch wissen, dass ich hier sein muss, weil ich doch für einen guten Zweck gekämpft habe. Ob sie noch leben, sie alle? Gibt es noch das alte, vertraute, das gute Amerika?

In meine Gedankenwelt mischt sich eine Spur trostloser Sentimentalität. Ich sehe mich daheim - bei meiner lieben Mutter, deren ganze heilige Liebe mir galt. Was schenkte ich ihr noch zum Namenstag, zum Geburtstag? Was erfreute sie zu Ostern, zu Weihnachten? Kleinigkeiten, die aus vollem, übervollem Herzen kamen. Zuletzt waren ´s wohl Blumen oder Pralinen - ach nein, das französische Parfum, das sie so gern hatte.

All das ist mir jetzt völlig unbekannt. Habe ich den berauschenden Duft von Blumen überhaupt jemals empfunden? Der Geruch getöteter, zerfetzter und verbrannter Menschen ist sehr viel präsenter! In mir drängen sich Fragen auf, Fragen über Fragen - wie das Leben selbst. Denn auch das Leben, ist es nicht ein einziges großes Fragment? Doch ich werde es wieder sehen, werde neu beginnen, ganz von vorn, und schon wieder werde ich von Gedanken überwältigt...

Werde ich überhaupt diesen endlosen, sandigen Heimweg je hinter mich bringen können? Ein blutiger Weg, Schritt für Schritt, Meile um Meile... Nein, nein - ich schaffe es, muss es; denn die Heimat ruft! Aber - ruft sie wirklich, wirklich mich? Sie ruft, ja, sie ruft - sie muss rufen! Mich. Doch braucht man mich überhaupt dort, wo Bush regiert? Denkt überhaupt jemand an mich und überhaupt... Ach, dummes "überhaupt" quäle mich nicht!

An meinem geistigen Auge ziehen sie vorbei, nicht zivilisierte Menschen mit guter Ausbildung - nein, bösartige, brutale Tiere! Und ich? Bin ich noch Mensch? Ich weiß es nicht mehr, kann es nicht wissen. Denn so ist der Krieg! So ist der Krieg? Das Leben - ist es anders? Ein einziges Fragment, ein unlauteres Teilstück der Ewigkeit! Doch warum nur denken, nachdenken? Eile voraus, Gedanke; denn die Heimat ruft! Die Heimat ruft? Ruft sie wirklich? Doch nicht mehr denken, nein, nur nicht denken. Ich muss mir einreden, dass man mich auch dort braucht, mich benötigt...

Ich will, muss euch alle wieder sehen - Mutter, Verwandte und Freunde in den Staaten, im Heimatland. Hört ihr, ihr müsst mich brauchen, so wie ich euch alle!

RT 2006


In diesem unseligen Krieg, der 2003 unter falschen Voraussetzungen durch GW Bush angezettelt wurde, starben Zehntausende Iraker und über 4500 US-Soldaten. Am Sonntag, den 18.12.2011, verließen endlich die letzten US-Kampftruppen den Irak. Mein Dank dafür gilt auch Barack Obama.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.07.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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