Enno Ahrens

Aus dem Schneider

Gleich nach den Sommerferien stand er plötzlich neben mir auf dem Schulhof: „Darf ich mich vorstellen. Ich bin der neue Lehrer, Herr Urban. Und wer bist du?“
„Och, Jens Krawutke aus der 6a“, brummte ich und dachte: Der sieht eher aus wie ein Schlachter, diese prächtigen Arme und roten gesunden Wangen, ein echtes Landei.

„Jens, was sind das hier für abscheuliche Schmierereien an der Schulhofmauer. Weißt du, wer...?“

„Ich, Herr Lehrer, weiß nichts. Denn ich bin ein mieser Schüler.“ Und mir war klar, Kunstlehrer konnte der nicht sein, denn die nackten Frauen auf der Mauer waren mir exzellent gelungen. Und freudig sang ich das coole Lied vom kleinen Scheißhaus, das momentan in der Penne voll „in“ war.
„Was für ein verrufener Text, Jens. Ich merke schon, mit der Moral hapert’ s erheblich.“

Scheiß auf die Moral, überlegte ich. Auf die Musik kommt es an. Ich spiele Flöte und habe Ahnung. Und bei Herrn Urbans Pranken würde sich jedes Musikinstrument verweigern, also Musiklehrer wird er auch nicht sein. Und Sportlehrer konnte so ein Walross auch nicht sein. Und Mathepauker?
„Ich hab mal ne Frage, Herr Urban. Was sind Sie eigentlich für ein Lehrer?“
„Na, rate mal, Bürschchen. Du wirst dich wundern.“
„Ich schätze, ein Mathelehrer.“
„Wie kommst du denn darauf?“
„Och, Sie sehen aus wie ein echter Bosstyp, einer der ständig seine Kohle zählt oder seine Warenbestände.“
„Falsch geraten, Bürschchen. Ich bin einer, bei dem die Schüler auch Gesetze erlernen, aber die der...“
„Lassen Sie’s gut sein. Ich will selber drauf kommen.“
„Nun gut.“
„Was Sie unterrichten, hat sicher nichts mit Lachen zu tun?“
„Genau richtig erkannt. Ich dulde auch keine Widerworte. Wie du siehst, bin ich ein Knochenbrechertyp erster Güte. Deswegen bin ich in euer Sündenpfuhl berufen worden. Und ich werde meine Mission mit Macht durchsetzen.“
„Das hört sich gar nicht gut an.“
„Nun, ich will nur euer Bestes. Ihr sollt zu Anstand und Ehrlichkeit erzogen werden nach den Gesetzen der Moral.“
„Oh, ich werde verrückt, das kommt mir bekannt vor. Sie sind Religionslehrer.“
„Volltreffer.“
„Das Sie mich jetzt züchtigen können, dürfen Sie vergessen.“
„Wieso?“
„Wir Krawutkes sind von Natur aus ehrlich und anständig. Das hat mein Vater Ihrem Vorgänger schon gesagt.“

Auf einmal bog mein Kumpel Kalle Motzke um die Ecke und rief lauthals von weitem: „Man Jens, die Weiberzeichnungen auf der Mauer sind dir echt klasse gelungen.“
„Ja, ich weiß. Und so eindeutig, so eindeutig, dass sich der neue Lehrer daran stößt.“

Und mit erhobenem Zeigefinger maßregelte Herr Urban mich: „Guck an, lieber Jens, bist du also doch nicht anständig und ehrlich. Sonst hättest du mir nicht verschwiegen, dass du der Urheber dieser obszönen Malereien bist.“

„Nein, das bin ich auch nicht, das muss der Teufel in mir gewesen sein.“

Aber um diese Fragen führten andere ganze Kriege. Doch ich brauchte es Gott sei Dank nicht. Ich war vom Religionsunterricht freigestellt.

*

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.07.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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