Sie hatte soeben erfolgreich entbunden. Jetzt also war er Vater geworden. Nach mehr als zehnjähriger Ehe, die mehr aus Tiefen, als aus Höhen bestand.
Nach der erstaunlich schnellen Geburt seines ersten Kindes - bewusst war er nicht persönlich dabei gewesen - wollte er dieses neue Gefühl der Vaterschaft angemessen in der Nähe der Klinik begießen. Sein Weg führte ihn nach langer, langer Zeit wieder in die Gaststätte "Zum blauen Affen", einer Kultpinte mit dem Charme der Fünfziger. Genau noch so verräuchert wie früher. Trotzdem, alle Plätze bis auf zwei direkt an der Theke, voll besetzt. Wohl fünfzig Personen mochten sich hier aufhalten. "Für jedes Lebensalter des Etablissements also eine Person", dachte er belustigt.
Auf einem der freien Barhocker nahm er Platz und bestellte bei Dieter, dem alten Wirt, eine Runde "Klavier und Geige", ein Pils und ein Klarer, für alle Gäste. "Auf meinen Filius!" rief er, die Gläser hebend. Ein dankbares "Hoch soll er leben" erschall aus vielen rauen Kehlen, ein Gesang, der ihn an alte Zeiten erinnerte, wenn ihn seine Zechtouren durch die Pinten der Stadt geführt hatten.
In seinen Gedankengang über seine Kleinfamilie - er war nicht mehr nur Ehemann, jetzt auch Vater - mischte sich leise Melancholie. Als dann noch Sinatras "My Way" aus der Musikbox den Kneipenlärm übertönte, sah er sich abrupt mit der veränderten Lebenssituation konfrontiert. Seine bisherigen Seitensprünge hier und dort würde es sicherlich nicht mehr geben, sagte er sich. Nein - die Zeit ist vorbei!
Doch plötzlich stand sie vor ihm, gekommen wie der Blitz aus heiterem Himmel: Anne, mit der sich so wundervoll über Belangloses reden ließ. Und auch sonst war sie recht großzügig... Auf ihre Frage, was ihn denn hierhin getrieben habe, antwortete er: "Ich wollte mein Bedürfnis ausleben, meine Vaterschaft zu begießen!" Sie gratulierte nicht, entgegnete aber, warum denn gerade in dieser Pinte, wo doch der Weg zu ihr nicht weit sei?!
Er überlegte kurz. Dann war sein Entschluss gefasst. Er zahlte und begleitete Anne nach Hause. Sicherlich das letzte Mal, wie er meinte, den Weg, den er so oft schon gegangen war. Und er malte sich schon aus, was ihn noch erwartete. Hurtig stiegen sie die ausgetretenen Treppenstufen zu ihrem Appartement hinauf, in dem er sich so häufig aufgehalten hatte, wenn er seiner Frau sagte, er sei mal für einen Tag auf Geschäftsreise. Schnell öffnete sie die Tür. Nichts hatte sich verändert, auch ihre Gitarre hing noch immer in der Nähe des Bades an der Wand.
Behände öffnete Anne den Kühlschrank, in dem schon die gekühlte Flasche "Pommery" lag. Sie füllte die beiden Champagner-Gläser und stieß auf sein Wohl an. "Das heute wird mein Abschiedsgeschenk für dich", meinte sie, "denn für mich bist du ja nun verloren", während schon ein wohliges Prickeln seinen Körper durchrann.
Dann war sie verschwunden. Wohin nur? Die Badezimmertür öffnete sich. In ihr stand Anne. Nur mit ihrer Gitarre bekleidet, die eben noch an der Wand hing. Als sie dann "My Way" für ihn sang, tat er das, was auf so manchem Junggesellen-Abschied geschieht. Er dachte an nichts mehr, außer das dies mit Sicherheit das letzte "My Way" sein würde.
Denn ab morgen würde sich eh alles ändern.
RT 2007
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.07.2007.
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